TV-Tipp: "Tatort: One Way Ticket" (ARD)

 Alter Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: One Way Ticket" (ARD)
26.12., ARD, 20.15 Uhr
Die ersten Bilder sind wie aus einem Traum, aber dann geht die Musik nahtlos in die Geräusche von kreischenden Bremsen und splitterndem Glas über. Der Mann, der bei dem Unfall stirbt, hat kurz zuvor beim Notruf der Polizei seinen eigenen Tod angekündigt: Er ist vergiftet worden.

Bei der Obduktion ergeben sich Hinweise auf eine Pflanze, die vor allem in Afrika vorkommt, was der Rechtsmediziner nur deshalb entdeckt, weil er einst "ein Techtelmechtel mit Tropenmedizin" hatte. Außerdem stellt sich raus, dass das Gift dieser Pflanze einst bei den Agenten der Hauptabteilung Aufklärung, dem Auslandsnachrichtendienst der ostdeutschen Staatssicherheit, als bevorzugtes Tötungsmittel diente. Aber warum sollten ehemalige Stasi-Agenten dreißig Jahre nach dem Mauerfall einen offenbar unbescholtenen Mitarbeiter einer Organisation für Entwicklungshilfe ermorden? Die Kommissare Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) stehen vor einem kompletten Rätsel.

"One Way Ticket" ist ein fast zu sachlicher Titel für diesen sehenswerten "Tatort" aus München, der neben der auf interessante Weise verzwickten Handlung und den ausnahmslos guten Darstellern vor allem durch sein visuelles Konzept beeindruckt. Regie führte der Österreicher Rupert Henning. Er gehört unter anderem zu den Schöpfern der ORF-Kultserie "Vier Frauen und ein Todesfall" und hat für den "Tatort" aus Wien einige gute Drehbücher geschrieben; der Ebola-Thriller "Virus" (2017) zum Beispiel war nicht nur ein fesselnder Krimi, sondern auch ein wunderbares Beispiel für die österreichische Schmähkultur. Meist überlässt Henning die Inszenierung seiner Drehbücher anderen, aber wenn er diese Aufgabe selbst übernimmt, sind die Ergebnisse regelmäßig sehenswert, etwa bei "Schock" (2017), einem weiteren Wiener "Tatort", der sich auf fesselnde Weise mit dem Leistungsdruck der "Millennials" auseinandersetzt. 

Bei seiner ersten Arbeit für einen deutschen "Tatort" kann es sich Henning leisten, weitgehend auf vordergründigen Nervenkitzel zu verzichten; der Krimi lebt vor allem von einer Geschichte, die ständig unerwartete Haken schlägt. Schon die verschiedenen Einführungsszenen, mit denen der Film die unterschiedlichen Handlungsebenen anreißt, weckt eine große Neugier darauf, wie das alles miteinander zusammenhängen mag. Wer ist zum Beispiel die auffallend attraktive Afrikanerin aus den ersten Bildern, die sich später als Fahrerin des Unfallwagens entpuppt? Und was haben die älteren Herrschaften, die regelmäßig als Entwicklungshelfer nach Kenia fliegen, mit dem Unfall zu tun?

Gemeinsam mit seinem Kameramann Josef Mittendorfer hat Henning bei "One Way Ticket" eine faszinierende Anmutung erarbeitet, die dem Film auch optisch drei Stimmungsebenen verleiht: Während die Ermittlungen der Kommissare in nüchternem und vergleichsweise kühlem Licht geschildert werden und die afrikanischen Außenaufnahmen warm und freundlich wirken, sorgt Mittendorfer für eine kränklich wirkende gelblich-grüne Beleuchtung, sobald die Rentner ins Spiel kommen. Einer aus der Gruppe wird vom Zoll in Nairobi mit einem Koffer voller Geld erwischt. Gemeinsam mit der Musik (Verena Marisa), die wie ein akustisches Damokles-Schwert über dem Mann (Siemen Rühaak) schwebt, sorgt das Licht in der grün gestrichenen Zelle für eine Atmosphäre größten Unbehagens; tatsächlich entgeht der Deutsche dem Tod nach einem Mordversuch nur um Haaresbreite. Für seinen Traum vom Glück stehen die Sehnsuchtsbilder, mit denen der Film beginnt. Der Name der Afrikanerin (Cynthia Micas, gebürtige Berlinerin) heißt übersetzt "Schöne Hoffnung". Als sie später in die Fänge der ominösen Hintermänner gerät und eingesperrt wird, verdeutlicht das kranke Licht beizeiten, welches Schicksal sie erwart; mit dem Tod der schönen Hoffnung stirbt in dieser Geschichte mehr als nur ein Mensch. 

Wie das alles miteinander sowie mit einer erschreckend gut funktionierenden alten Stasi-Seilschaft zusammenhängt, ist durchaus verblüffend, zumal Henning schließlich, als er die Identität des Drahtziehers lüftet, auch noch für einen kleinen Besetzungsknüller sorgt; dass der Mann Böses im Schilde führt, verdeutlichen spätestens die an Darth Vader erinnernden Atemgeräusche seiner Sauerstoffzufuhr. Die Nebenrollen sind ohnehin markant besetzt, unter anderem mit Hans-Uwe Bauer als schweigsamem Wortführer der Rentner-Gang, Harald Schrott als hartherzigem Vater des Opfers und Jürg Löw als pensioniertem Staatsschützer. Mit dem früheren Milieu der Geheimdienste hatte schon Hennings Fernsehfilmregiedebüt zu tun: In "Grenzfall" (2015), ein weiterer ORF-"Tatort", der ebenso wie "One Way Ticket" auf wahren Begebenheiten basierte, fand sich die Lösung für einen aktuellen Fall gar erst im Jahr 1968.

Natürlich muss ein Sonntagskrimi immer den Markenkern berücksichtigen, zumal die entsprechenden Merkmale beim Duo aus Wien ganz ähnlich sind wie bei den beiden Münchnern. Auch in dieser Hinsicht wird der "Tatort" den Erwartungen gerecht: Die Wortwechsel zwischen den Kommissaren und ihrem Famulus Kalli (Ferdinand Hofer) sind von gewohnt amüsanter Qualität, zumal die beiden alten Hasen auch mal nachdenkliche Klänge einfließen lassen. Unbedingt zu erwähnen ist auch Robert Joseph Bartl als Rechtsmediziner. Kleines Schmankerl für Opernfreunde: Bei der Arbeit hört der Mann die Arie "Ach, ich habe sie verloren" aus "Orpheus und Eurydike".