"Durch jede Geburt wird Gottes Wirken lebendig"

Hebamme hilft Kindern auf die Welt im Geburtsort Jesu.
©Amira Abu Dayyeh/privat
Hebamme Amira ist glücklich darüber, Kindern in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu, auf die Welt helfen zu dürfen.
"Durch jede Geburt wird Gottes Wirken lebendig"
Eine junge Hebamme bringt in Bethlehem Kinder zur Welt
Die 22-jährige Amira Abu Dayyeh arbeitet als Hebamme in Bethlehem. Im Interview spricht sie über ihre Motivation für den Beruf, ihre Erfahrungen im Kreißsaal, über Probleme und Gewalt gegen Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft und über die Besonderheit, im Geburtsort Jesu heute Kinder zur Welt zu bringen.

Amira, können Sie sich noch an das erste Kind erinnern, das Sie als Hebamme zur Welt gebracht haben?

Amira Abu Dayyeh: Ja, ein kleines Mädchen! Es wurde Mira genannt. Die Mutter war 18 und sie hatte solche Schmerzen – bei Erstgebärenden ist der Geburtskanal noch sehr eng. Ich war 19 damals und kann mich noch sehr deutlich daran erinnern.

Eine Geburt zu begleiten, ist eine verantwortungsvolle und manchmal sicher auch schwere Aufgabe: Warum haben Sie sich für den Beruf entschieden?

Abu Dayeh: Es gibt nichts, was einer Geburt gleicht. Sie ist ein Wunder – in der einen Minute ist die Frau noch voller Schmerz, und im nächsten Moment ist sie so glücklich über das neugeborene Kind. Ich bin mittlerweile sicher, dass Hebamme der richtige Beruf für mich ist. Wir alle mussten uns nach dem Schulabschluss schnell für ein Studium entscheiden, da unsere Prüfungen zuerst an der Schule und dann noch einmal von der Bildungsbehörde abgenommen werden. Letztlich bleiben uns dann kaum zwei Wochen, um uns auf einen Studienplatz zu bewerben. In dieser Zeit habe ich mich an einen Traum erinnert, den ich in der vierten Klasse hatte, nämlich, dass ich ein Baby zur Welt bringe.

Wie verläuft die Ausbildung zur Hebamme?

Abu Dayeh: Nach einem Praktikum habe ich 2015 mit der Ausbildung angefangen. Sie hat vier Jahre gedauert, und ich habe auf Geburtsstationen mitgearbeitet - abwechselnd im Krankenhaus zur Heiligen Familie in Bethlehem und im Alia Hospital in Hebron. Im ersten Jahr war ich im Kreißsaal bei Geburten dabei, habe aber nur zugeschaut. Im zweiten Jahr habe ich dann begonnen, als Assistenzhebamme mitzuarbeiten. In Bethlehem gibt es zum Glück auch ein sehr gutes Simulations-Labor, dort haben wir viel gelernt, bevor wir selbst aktiv bei Geburten mitgearbeitet haben. Pro Semester haben wir für die Ausbildung 800 Jordanische Dinar an die Kliniken gezahlt. Parallel habe ich an der Universität Bethlehem studiert, unter anderem Soziologie und Psychologie.

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Wie ist die Situation auf den Geburtsstationen hier?

Abu Dayeh: In Hebron ist es schwierig: Wie viele öffentliche Krankenhäuser ist die Alia Klinik schlecht ausgestattet. Sehr viele Frauen kommen zur Geburt dorthin, aber es gibt nur zwei Kreißsäle und zu wenig Ärzte. Einmal musste ich ganz allein ein Baby zur Welt bringen – der Arzt war bei einer anderen Geburt, unsere Station war unterbesetzt. An dem Tag kam eine hochschwangere Frau erst so kurz vor der Entbindung, dass ich dachte: „Wir schaffen es nicht mehr in den Kreißsaal, das Kind wird jetzt schon kommen, auf dem Gang.“ Alles ging rasend schnell, und ich war plötzlich allein verantwortlich. Und es gab ein Problem: Die Herztöne des Babys waren sehr schwach. Zum ersten Mal bei einer Geburt hatte ich richtig Angst, ich fühlte mich innerlich wie gelähmt. Aber wir haben es geschafft! Das Kind kam und ich habe ihm sofort eine Sauerstoffmaske aufgesetzt. Als ich später meiner Mutter davon erzählte, habe ich gezittert. Als Auszubildende darf ich eigentlich nur assistierend bei der Geburt dabei sein.

Amira Abu Dayyeh mit Baby auf der Geburtsstation in Betlehem.

In Bethlehem ist die Situation viel besser: Bei jeder Geburt sind ein Arzt und eine leitende Hebamme dabei. Außerdem können Frauen dort selbst entscheiden, in welcher Position sie gebären. Und falls sie wollen, können sie sich zu Musik bewegen – denn Tanzen öffnet den Muttermund. Das Tanzen nehmen aber eher christliche Frauen an. Die muslimischen Frauen fühlen sich da nicht so frei – vor allem dann nicht, wenn ihr Mann bei der Geburt dabei ist.

Sind denn die Väter heutzutage nicht grundsätzlich bei der Geburt dabei?

Abu Dayeh: Sie sind oft dabei, allerdings nicht immer. Entweder begleitet der Ehemann seine Frau zur Geburt des Kindes, oder sie bringt ihre Mutter mit, das kann die Familie sich aussuchen. Jede Frau sollte mindestens einen Begleiter oder eine Begleiterin im Kreißsaal haben.

Eine sehr wichtige Begleiterin der Frau sind ja Sie. Betreuen Sie die Frauen auch schon vor oder noch nach der Geburt?

Abu Dayeh: Nein. Ich würde die Frauen gern schon während der Schwangerschaft begleiten, aber ich bin nur im Kreißsaal bei der Geburt dabei. Wir Hebammen sind für die werdenden Mütter also erst einmal Fremde. Es kommt öfter vor, dass Frauen uns gegenüber sehr aggressiv werden und uns auch laut anschreien. Es gibt Kolleginnen, die überfordert das schon mal und sie schreien zurück. Aber wir müssen uns immer in die Frauen hineinversetzen: Sie sind in einer Ausnahmesituation, sie haben Schmerzen und wissen nicht, was jetzt gleich auf sie zukommt – niemand kann den Verlauf einer Geburt genau vorhersehen. Mehr noch: Während einer Geburt kommen oft unterdrückte Dinge hoch, etwa erlittene Gewalterfahrungen, Traumata oder Konflikte. Viele Frauen hier haben Probleme mit ihren Ehemännern oder in ihren Familien. Das ist meist entscheidender als der eigentliche Geburtsschmerz. Der ist heftig, ja, aber in der Regel auszuhalten. Weil ich weiß, unter welchem Druck die Frauen stehen, bleibe ich entspannt und rede ruhig mit ihnen: „Ich bin Deine Hebamme und begleite Dich, ich stehe das hier gemeinsam mit Dir durch, vom Anfang bis zum Ende: Jede Wehe, jeder Schmerz bringt Dich Deinem Kind näher.“ Die Frauen werden dann viel entspannter – Kommunikation ist der Schlüssel zu allem!

Gewalt und Probleme in Familien – ist das für viele Frauen ein Thema?

Abu Dayeh: Viele Frauen hier in Palästina kennen ihre Rechte gar nicht. Wir leben in einer sehr patriarchalen Kultur, wobei es Unterschiede zwischen muslimischen und christlichen Familien gibt. Es fängt damit an, dass ich Mütter nach der Geburt frage, wie sie ihr Baby nennen wollen. Die meisten antworten: „Das entscheidet mein Mann.“ Und ich entgegne ihnen dann: „DU hast das Kind unter Schmerzen zur Welt gebracht!“ Aber es geht nicht nur darum, wer nach der Geburt den Namen des Kindes aussucht, sondern um die Mündigkeit der Frauen. Zum Beispiel habe ich für meine Masterarbeit an der Uni Bethlehem eine soziologische Befragung von jungen Müttern durchgeführt. Eine der Fragen war, wie Frauen ihren Körper nach der Geburt wahrnehmen, ob sie damit zufrieden sind. Und wirklich viele Frauen haben gefragt, ob sie das Ausfüllen der Fragebögen nicht lieber ihren Männern überlassen sollen. Für mich war es ein Schock, in meiner Ausbildung mit solchen Verhältnissen konfrontiert zu werden. Denn ich bin in Talitha Kumi zur Schule gegangen: Dort hatten wir Mädchen und Frauen alle Rechte. Ebenso ist es bei uns zu Hause mit meinen Eltern, in unserer Familie.

Was hat sie denn bei der Befragung, auf der Ihre Masterarbeit basiert, am meisten überrascht?

Abu Dayeh: Unmittelbar nach der Geburt sollte eine Frau keinen Sex haben: Und es ist schockierend, wie viele der Ehepartner das nicht wissen. Es gibt Mütter, die kurz nach der Geburt ihres Kindes zum Geschlechtsverkehr überredet oder gezwungen werden. Das ist schlimm. Wir müssen Schwangere und ihre Partner aufklären und insgesamt mehr Gleichberechtigung einfordern. Ich finde es auch nicht gut, dass unsere Ärzte oft männlich und die Hebammen nur weiblich sind: Beides sollte sich ändern!

Sie sind lutherische Christin. Bedeutet es Ihnen etwas, dass sie gerade in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu Christi, Kinder zur Welt zu bringen?

Abu Dayeh: Ja, als Christin bedeutet es mir viel. Ich persönlich empfinde es als Segen, dass ich in Bethlehem aufgewachsen bin – es ist eben nicht nur der Ort, an dem ich zur Schule und zur Universität gegangen bin, sondern Jesus wurde hier geboren. Diesem Heiligen Ort täglich erneut zu begegnen, ist schon etwas Besonderes. Und was meinen Beruf betrifft: Jede einzelne Geburt ist ein Wunder - so sehe ich es jedenfalls. Ein Kind zu gebären ist für die Frauen eine so einschneidende und tiefe Erfahrung. Und der weibliche Körper ist im Grunde ebenfalls ein Wunder, es ist phänomenal und auch erstaunlich, was er während der Geburt vollbringt. Es ist ein Glück, Frauen während dieses Prozesses begleiten zu dürfen. Denn ich sehe in jeder Geburt auch Gottes Wirken in uns Menschen. Als Hebamme an einer Geburt mitzuwirken, bedeutet, Gottes Werk zu preisen. Deswegen begreife ich mich sozusagen in mehrfacher Hinsicht als gesegnet. Vor beinahe 2020 Jahren brachte die Jungfrau Maria Jesus Christus hier in Bethlehem zur Welt: Durch jede Geburt in dieser Stadt erneuert sich dieses Wunder und Gottes Wirken wird im Hier und Jetzt für uns lebendig.