Helgoland soll singen

James Krüss wurde am 31. Mai 1926 auf der Nordsee-Insel geboren.
© epd-bild / James Krüss Erben
Der Schriftsteller James Krüss ("Timm Thaler"), selbst auf Helgoland geboren, scheint auf diesem Bild die Schweigsamkeit der Insulaner zu beschwören.
Helgoland soll singen
Bei einer "Helgoländer Singwoche" im Januar sollen sowohl Insulaner als auch Gäste der Hochseeinsel eingeladen werden, wieder mehr zu singen. Denn daran hapert es, meint der Insel-Kantor.
04.12.2019
epd
Catharina Volkert

Unter den Helgoländern erhebt kaum jemand regelmäßig seine Stimme, weiß Gerald Drebes. Diesen Notstand möchte er ändern und lädt deshalb Sangesfreudige auf die Insel ein. Die Singwoche richte sich an alle zwischen 3 und 80 Jahren, sagt er. "Insulaner und Gäste sollen dann gemeinsam singen."

Kantor Gerald Drebes will die Menschen wieder zum Singen bringen.

Drebes lebt seit 2017 auf Helgoland. "Ich bin der einzige Berufsmusiker der Insel", erzählt der Kantor der Kirchengemeinde Helgoland, dessen Stelle zuvor lange vakant war. An der örtlichen James-Krüss-Schule gibt es keinen Musiklehrer für die 80 Inselkinder. Mit der "Helgoländer Singwoche" möchte er erreichen, dass die jüngsten Inselbewohner ihre Stimmen kennenlernen. Drebes will in dieser Woche täglich die evangelische Kita besuchen, um mit den Kindern zu singen. Und auch die Schüler, die normalerweise keinen Musikunterricht haben, sollen singen - unter der Leitung des Kammersängers Martin Petzold. Der Pastorensohn Petzold ist Stimmbildner und Solist beim Thomanerchor Leipzig.

Arbeit auch in Kleingruppen

Der Sänger werde zudem täglich mit den Teilnehmern der Singwoche arbeiten, auch in Kleingruppen könne der Unterricht stattfinden, verspricht Kantor Drebes. Sowohl weltliche als auch geistliche Chormusik hat er für die Singwoche ausgewählt. Drebes hat aus der Not der wenigen Inselstimmen längst eine Tugend gemacht. "Ich beziehe den Tourismus gerne mit in meine Chorarbeit ein", sagt er. Andere Kirchenmusiker erreichen die Leute aus dem Umland. Das funktioniere auf der Insel nicht, so müsse er sein Amt "teilweise neu erfinden", schildert Drebes seinen Alltag auf der 1500-Einwohner-Insel.

Die St.-Nicolai-Kirche ist das geistliche Zentrum der Insel. Die Angebote der Gemeinde wenden sich auch an Touristen - so auch die Singwoche im Januar.

Die Lösung des Problems sieht er in den Touristen: Die Chorproben sind offen - so können jederzeit Gäste am Dienstagabend zum Singen ins Gemeindehaus kommen. Taizé-Lieder, einfache Gospels und swingende Kanons werden dann geübt. Manchmal kommen drei Teilnehmer zur Probe, manchmal treffen sich 25 oder mehr. Neben dem Kirchenchor gibt es zwei Männer-Shantychöre auf der Insel.

"Man braucht zum mehrstimmigen Singen eine kritische Masse", erklärt der Musiker. Ungeübte orientieren sich dann an sicheren Stimmen. Da es auch an der Mehrstimmigkeit oft hapert, hat sich Drebes noch etwas einfallen lassen: Eine "Helgoländer Kanon-Messe" soll in der Singwoche uraufgeführt werden und damit Einzug in die Insel-Chorliteratur erhalten. Uli Führe hat sie eigens für die Sänger vom roten Felsen geschrieben.

Kanon-Messe - frisch komponiert

Führe, Komponist und Musikpädagoge aus Freiburg, hatte beim Komponieren seiner Messe "ganz normale Leute mit der besonderen Besucherüberschwemmung tagsüber" vor Augen. "Abends ist dann Ruhe auf der Insel. Nur noch ein paar Hoteltouristen in den Kneipen", skizziert er sein Bild. Er selbst war 1967 als Zehnjähriger auf Helgoland. "Meiner Mutter war auf der Überfahrt schlecht, weil es mächtig schaukelte. Mich störte das nicht. Ich lief auf dem Schiff herum und fand den Wind und die Wellen großartig", erinnert er sich.

Verzögerungen durch Winterstürme hat Drebes in die Singwoche bereits eingeplant: "Wir starten am Montagnachmittag schleichend", sagt er. Sollten Schiffe aufgrund der Witterung nicht am Festland ablegen, kann das Singen auch am Dienstag beginnen.