Kunstvolles Esslinger Kirchenmodell weckt Experten-Spürsinn

Manfred Wörner
© Evangelischer Kirchenbezirk Esslingen/Ulrike Rapp-Hirrlinger
Manfred Wörner mit Postkarte und mit einem von ihm konstruierten und als Bastelbogen herausgegebenen Papiermodell der Kirche.
Kunstvolles Esslinger Kirchenmodell weckt Experten-Spürsinn
Die Suche nach einem verschollenen Werk ist gestartet
Manfred Wörner aus Balingen ist nicht nur Kirchenführer, sondern auch begeisterter Modellbauer. Nun sucht er nach einem Kirchenmodell aus der Zeit der späten 1920er-Jahre, von dessen zumindest ehemaliger Existenz er zufällig erfahren hat. 

Manfred Wörner ist seiner Geburtsstadt Esslingen am Neckar immer verbunden geblieben. Er gehört beispielsweise zu einem Team, das Kirchenführungen in der Esslinger Stadt-, Frauen- und Franziskanerkirche anbietet. Dieses Hobby hat den 58-Jährigen, der in Balingen lebt und arbeitet, jetzt auf die spannende Spur eines alten Kirchenmodells gebracht. 

Der Ergotherapeut und Gesundheitsmanager recherchiert für seine Kirchenführungen öfter spannende Details aus der Geschichte Esslinger Kirchen, auch im Internet. Dabei stieß er auf eine Postkarte. Diese wurde 1929 von Stuttgart nach Heidenheim geschickt und zeigt ein ungewöhnlich detailgetreues Modell der Esslinger Stadtkirche St. Dionys.

"Wenn man die Fotografie mit der Lupe betrachtet, findet man Details, von denen viele Esslinger heute sicher nicht einmal mehr wissen, dass die da waren", berichtet Wörner. Da gibt es barocke Lampen auf den Strebepfeilern und Mauerblenden an den Türmen. Kreuze sind nachgebildet, die Dachplatten und das Maßwerk der Fenster. Auch das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs hat der damalige Modellbauer nachgeschaffen. "Er muss sehr viel Zeit investiert haben", sagt Wörner.  

Existiert das Modell noch?

Einige Informationen gibt die Postkarte bereits: Das Modell sei gefertigt "in Schnitz- und Laubsägearbeit von Otto Nord". Auch die Zeit ist durch den Poststempel von 1929 eingrenzbar. "Ich würde dieses Modell allzu gerne finden oder zumindest mehr über seine Geschichte und denjenigen erfahren, der es gebaut hat", wünscht sich Wörner.

Im Esslinger Stadtarchiv erfuhr er schon, dass ein Otto Nord mit der Berufsbezeichnung "Zeichner" 1929 in der Milchstraße 6 in Esslingen gemeldet war. Ob das Modell noch irgendwo existiert, vergessen auf einem Dachboden, fragt sich der Kirchenexperte.

Vielleicht hätte auch jemand Informationen, der mit der Karte zu tun hatte. Sie kam damals von Stuttgart nach Heidenheim. Wörner holte sich Hilfe für die Sütterlin-Schrift und bekam heraus, dass da wohl eine "Lili" an ein "Fräulein Gertrud Seidel" schrieb, die bei einem "Herrn E. Geiger" in der Grabenstraße in Heidenheim lebte. 

Geheimnisvoll ist eine Zeile mit nicht entzifferbaren Schriftzeichen am Rand. "Junge Mädchen hatten damals oft eine Geheimsprache", hat die Schrift-Übersetzerin Wörner berichtet. Auffällig auch die nach rechts gekippte Briefmarke. In der "Briefmarkensprache" bedeutet das: "Innige Küsse!" 

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Postkarte und Modell?

Wörner wüsste zu gerne mehr über das Kirchenmodell und seine Geschichte. Ob es mit der Geschichte der Postkarte zusammenhängt? 

Er hat sich "schon immer für Kirchenbau und Architektur interessiert", sagt er. Da war sein Hobby Kirchenführungen ebenso naheliegend wie sein zweites: der Papiermodellbau von Kirchen. Als Esslinger sei ihm das quasi in die Wiege gelegt: die Stadt ist Heimat des Schreiber-Verlags, der für seine Kartonmodelle berühmt ist, und zahlreicher mittelalterlicher Kirchen. "Modelle zu bauen, schult Feinmotorik, Konzentration, Ausdauer und räumliches Vorstellungsvermögen", erklärt Wörner. Das entstehende Werk sei daher nicht nur was fürs Auge.

 

Wörners eigene Modellbau-Bögen gingen schon bis in die Schweiz, wohin ein Dominikanerpater sich ein Modell der Esslinger Kirche St. Paul schicken ließ, um seine Sammlung mit Modellen von Dominikanerkirchen zu komplettieren. Wörner setzt vor allem regionale mittelalterlicher Kirchen und Burgen in Bastelbogen um. Modellbau sei "ein Hobby für Tüftler, aber die sterben aus", meint er. Die Zukunft werde dem 3-D-Drucker gehören. 

Doch "Einzelne wird es immer geben", ist er überzeugt, die in sorgfältiger Kleinarbeit aus bedruckten Bögen auch die Esslinger Stadtkirche, die Johanniskirche Schwäbisch Gmünd oder die Kirchen der Bodenseeinsel Reichenau nach Wörners "Werkmeistermodelle"-Vorlagen nachbauen. Dass unter diesen Exoten noch jemand ist, der wie Otto Nord ein detailgetreues Modell aus Holz schafft, hält er dagegen für eher unwahrscheinlich.