TV-Tipp: "Tatort: Das Leben nach dem Tod" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Das Leben nach dem Tod" (ARD)
10.11., ARD, 20.15 Uhr
Meldungen wie diese stehen immer wieder mal in der Zeitung: Verstorbener Rentner erst nach Wochen gefunden. Stets wird dann die Frage gestellt, warum ein Mensch so lange tot in seiner Wohnung liegt, ohne dass die Nachbarn etwas mitbekommen. In dem Krimi "Das Leben nach dem Tod", dem zehnten Berliner "Tatort" mit Meret Becker und Mark Waschke, zeigt sich jedoch, dass so etwas selbst einem Kriminalhauptkommissar passieren kann: zwei Monate Wand an Wand mit einer Leiche.

Zu diesem Teil der Geschichte kommt Drehbuchautorin Sarah Schnier jedoch erst später. Der Film beginnt mit einem Überfall: Zwei junge Frauen beobachten einen alten Mann an der Supermarktkasse, folgen ihm bis zur Wohnungstür, stoßen ihn nieder und nehmen mit, was ihnen wertvoll erscheint. Als der hochbetagte Herr eins der Mädchen am Bein festhält, tritt ihm das andere ins Gesicht, und der Bildschirm wird schwarz. Es folgt ein Zeitsprung, und nun wird’s eklig: Acht Wochen später soll ein Hausmeister die Spuren einer Leiche beseitigen. Die Wohnung wimmelt nur so von Fliegen und Maden, der Gestank muss bestialisch sein, und prompt wird dem Putzmann ganz blümerant; die Vermieterin dagegen verzieht keine Miene.

Der Umschnitt vom Überfall auf die Maden legt selbstredend den Schluss nahe, dass es sich bei dem Toten um den im Prolog überfallenen Rentner handelt. Wenn Schnier und Regisseur Florian Baxmeyer dies so wollten, bleibt zumindest unbeantwortet, welche Überlegung sich dahinter verbergen könnte. Es wäre allerdings schade um den großen Otto Mellies gewesen, der dann nur einen Kurzauftritt gehabt hätte. So ist es einigermaßen überraschend, als der Rentner wieder auftaucht. Er heißt Gerd Böhnke und ist Richter im Ruhestand. Seinen Beruf hat er in der DDR bekleidet; das wird noch wichtig für die Geschichte. Zunächst steht jedoch Karow (Mark Waschke) im Mittelpunkt, denn er ist überzeugt, sein Nachbar sei keines natürlichen Todes gestorben. Tatsächlich stellt sich bei der Obduktion raus, dass er regelrecht hingerichtet worden ist. Karow verrennt sich ein bisschen in die These, es habe sich um Entmietung per Mord gehandelt, zumal Karin Neuhäuser die Hausbesitzerin auf eine Art verkörpert, die alle nur denkbaren Schandtaten nahelegt; aber das klingt doch etwas weit hergeholt. Außerdem fragt sich der geneigte Krimifan, warum der Hausmeister (Christian Kuchenbuch) und seine Frau (Britta Hammelstein) eine zunehmend größere Rolle spielen. Kurze Rückblendefetzen deuten an, dass er eine große psychische Last mit sich herumträgt; eine Panikattacke, die ihn kurz nach Verlassen des Tatorts ereilt, hat offenbar nicht allein mit den unappetitlichen Überresten in der Wohnung zu tun.

Es sind vor allem diese offenen Fragen, die den Reiz der Geschichte ausmachen. Interessant ist allerdings auch das Binnenverhältnis von Karow und seiner Nina Rubin (Meret Becker). Das Duo war sich nicht immer grün, aber diesmal kommt es sogar zu einem Moment inniger Nähe; außerdem muss Rubin Abbitte leisten, weil sie die Vermutung des Kollegen, der Nachbar sei Opfer eines Gewaltverbrechens geworden, anfangs als Spinnerei abgetan hat. Davon abgesehen wird offenbar schon Beckers Ausstieg in die Wege geleitet: Der Kommissarin macht nach wie vor zu schaffen, dass sie beim letzten Fall ("Der gute Weg") einen uniformierten Polizisten erschießen musste, und hat sie keine Lust mehr auf Mord und Totschlag; ihr Versetzungsantrag entwickelt sich allerdings zu einem Running Gag. Der Film ist angesichts der Thematik ohnehin immer wieder unerwartet amüsant (Karow ruft dem kotzenden Putzmann ein aufmunterndes "Mahlzeit!" zu), selbst wenn die Handlung alles andere als witzig ist: Das Drehbuch erinnert daran, dass in der DDR lange die Todesstrafe galt. Auch diesen Hintergrund, der für eine überraschende Wende der Geschichte sorgt, offenbart der Film erst sehr spät.

Baxmeyer hat in den letzten zehn Jahren vor allem mit dem mittlerweile verabschiedeten "Tatort"-Team aus Bremen gearbeitet. Sehenswert waren die dabei entstandenen 14 Filme so gut wie immer. Das gilt auch für seine zweite Arbeit mit Waschke und Becker; das Berliner Debüt des Regisseurs war die düstere Episode "Dein Name sei Harbinger" (2017). In "Das Leben nach dem Tod" resultiert die Spannung allerdings vor allem aus der Frage, was den von grausigen Albträumen und blutigen Halluzinationen heimgesuchten Hausmeister mit den beiden Rentnern, dem toten und dem lebenden, verbindet. Die Bildgestaltung ist sorgfältig, aber am auffälligsten ist im Grunde die subjektive Perspektive im Prolog, als der Blick des böse gestürzten Überfallopfers durch den Sprung in seinem zerbrochenen Brillenglas eingeschränkt wird, weshalb auch das Kamerabild verzerrt ist.

Obwohl sie acht Wochen lang nicht gefüttert worden sind, geht es den Bewohnern des Aquariums in der Wohnung des Toten blendend; offenbar haben sich die Maden den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Dabei verdeutlichen doch viele Szenen, dass sich Buch und Regie eine Menge Gedanken gemacht haben. Einmal scheint Karow regelrecht ein Loch in die Wand starren zu wollen, während sich die Kamera geradezu an Waschkes markantigen Gesichtszügen weidet. Später stellt sich raus, dass das Nachbarwohnzimmer kleiner ist als das des Kommissars, was natürlich ebenso seine Bewandnis hat wie das ypsilonförmige Gabelkreuz an der Wand des Toten.