TV-Tipp: "Preis der Freiheit" (ZDF)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Preis der Freiheit" (ZDF)
4.11., ZDF, 20.15 Uhr
Vermutlich ist es gar nicht so einfach, rund um die friedliche DDR-Revolution im Jahr 1989 noch Themen zu finden, die nicht bereits in Filmen und Serien aufgearbeitet worden sind. Die ARD hat mit den vier Staffeln der Grimme-preisgekrönten Serie "Weissensee" über das letzte Jahrzehnt der DDR ohnehin fast alle nur denkbaren Facetten berücksichtigt. Der dreiteilige Fernsehfilm "Preis der Freiheit" ist gewissermaßen das "Weissensee"-Pendant des ZDF, denn auch hier steht eine Familie im Zentrum.

Barbara Auer, Nadja Uhl und Nicolette Krebitz spielen drei Schwestern, die verschiedene Schicksale repräsentieren: die eine systemtreu, die zweite kritisch, die dritte ist in den Westen geflohen. Allerdings füllt das Drehbuch, an dem mit Michael Klette, Charlotte Wetzel, Produzentin Gabriele Sperl und Regisseur Michael Krummenacher gleich vier Autorinnen und Autoren beteiligt waren, diese Prototypen auf interessante Weise mit Leben.

Margot (Auer), die älteste, gehört zum "Roten Adel": Sie ist im Ministerium für Außenhandel einer der wichtigsten Köpfe der Kommerziellen Koordinierung. Leiter dieser Einrichtung war Alexander Schalck-Golodkowski (im Film von Thomas Thieme verkörpert), Mitglied des Zentralkomitees der SED, der unter anderem 1983 mit Franz Josef Strauß einen westdeutschen Milliardenkredit für die DDR ausgehandelt hat. Nach einem Prolog im Herbst 1989 blendet Teil eins zurück ins Jahr 1987: Margot weiß ebenso wie der "KoKo"-Chef, dass die DDR vor der Zahlungsunfähigkeit steht. Gemeinsam versuchen sie zu retten, was im Grunde nicht mehr zu retten ist. Derweil wird Buchhändlerin Lotte (Nadja Uhl) Mitglied einer Umweltbewegung. Dank eines Spitzels ist die Staatssicherheit über jeden Schritt der Gruppe informiert; auch über das berühmte Video "Bitteres aus Bitterfeld", das die Aktivisten drehen. Silvia (Nicolette Krebitz), die jüngste, ist angeblich als junge Frau bei einem Unfall gestorben, in Wirklichkeit jedoch mit Margots Hilfe geflüchtet; ihre beiden Kinder sind bei der Schwester aufgewachsen. Silvia heißt heute Ina, ist beim Ministerium für innerdeutsche Beziehungen für den Freikauf ostdeutscher Häftlinge zuständig und eine erbitterte Feindin der DDR. Tragische Figur der Geschichte ist Margots Mann (Joachim Król), der aus Loyalität zur Gattin viel zu lange beide Augen zudrückt.

Rund um die drei zentralen Figuren entwickelt das Drehbuch eine Vielzahl von Geschichten. Margot ist zwar überzeugte Sozialistin, weiß aber auch, dass die DDR dem Untergang geweiht ist, wenn sich nichts ändert. Die Arbeit der Kommerziellen Koordinierung bildet das Rückgrat der Handlung, zumal der neue Koko-Mitarbeiter Markus (Jonathan Berlin) als Erzähler fungiert. Markus genießt alsbald die Privilegien seines Jobs: Da die Mauer für die Koko-Leute kein Hindernis ist, tummelt er sich regelmäßig mit Margots Vertrautem Ilja im Westen. Oliver Masucci verkörpert diesen Mann, der ohne Skrupel BRD-Giftmüll im- und Waffen in Krisengebiete exportiert, als Abenteurer und Grenzgänger. Der junge Jonathan Berlin wiederum ist nicht nur ein ausgezeichneter Erzähler; er war schon in der Lutz-Seiler-Verfilmung "Kruso" ganz vorzüglich und beweist hier erneut sein besonderes Talent. Als sich Markus in Inas Tochter Christa (Janina Fautz) verliebt, ist ein weiterer Bezug zur Familie hergestellt. Ausgerechnet der Sohn von Regimekritikerin Lotte schließt sich dagegen einer Gruppe von Neo-Nazis an.

Angesichts der Komplexität der Handlung ist selbst die Gesamtlänge von knapp 300 Minuten im Grunde zu kurz. Dank einer geradezu verschwenderisch namhaften Besetzung verliert man allerdings nie den Überblick. Eine ungewohnt ernste Rolle hat zum Beispiel Milan Peschel als Gerhard Schürer, Vorsitzender der Staatlichen Planungskommission, der als "Saboteur" abgestempelt wurde, als er im Politbüro auf die Zahlungsunfähigkeit der DDR hinwies. Zwei wichtige Nebenrollen spielen Godehard Giese und Fabian Hinrichs als Strippenzieher in leitender Funktion: Der eine bringt beim Ministerium für Staatssicherheit seine Schäfchen ins Trockene, der andere bereitet im Finanzministerium, wo schließlich auch Ina landet, die Übernahme der DDR vor.

Die wichtigste Personalie des Projekts ist jedoch die Frau im Hintergrund. Gabriela Sperl wollte nicht nur vom wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR erzählen, sondern auch deutlich machen, warum die "kleinen Leute" dieses auf "Menschenverkäufen, Müllhandel, Umweltsünden, Überwachung und Unterdrückung" basierende System irgendwann nicht mehr wollten. Der Dreiteiler sollte zudem "die tiefen emotionalen, wirtschaftlichen und ideologischen Gräben zeigen, die einer wirklichen Annäherung zwischen Ost und West immer noch entgegenstehen." Nadja Uhl meint vermutlich das gleiche, wenn sie sagt: "Die Brücke aus der Vergangenheit ist immer der Weg zum tieferen Verständnis heutiger Vorgänge."

Die promovierte Historikerin Sperl hat für Konzept und Produktion des ARD-Mehrteilers "Mitten in Deutschland" über das terroristische Treiben des Nationalsozialistischen Untergrunds den Grimme-Preis bekommen. Die von ihr produzierten TV-Dramen behandeln immer wieder historische Themen behandeln und sind vielfach ausgezeichnet worden, darunter "Stauffenberg", "Nicht alle waren Mörder", "Die Flucht", "Mogadischu", "Operation Zucker", "Die Spiegel-Affäre" oder "Tannbach – Schicksal eines Dorfes". Im Vergleich zu dieser imposanten Filmografie ist der Regisseur fast ein unbeschriebenes Blatt; immerhin hat der Schweizer Michael Krummenacher mit "8 Tage" (Sky) für eine der spannendsten Serien dieses Jahres gesorgt. "Preis der Freiheit" entspricht über weite Strecken zwar nicht dem Tempo, das der auf die Beats des Eurythmics-Hit "Sweet Dreams" geschnittene Vorspann und die diversen zeitgenössischen Popsongs vorgeben, aber der erzählerische Reichtum ist enorm und die darstellerischen Leistungen sind ausnahmslos sehenswert. Im Anschluss an Teil eins zeigt das ZDF eine Dokumentation zum Thema; die Teile zwei und drei folgen am 5. und 6. November.