TV-Tipp: "Tatort: Lakritz" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Lakritz" (ARD)
3.11., ARD, 20.15 Uhr
Ob sich Jan Josef Liefers und Axel Prahl nach Drehschluss immer noch gut verstehen, wissen nur Eingeweihte. Vor der Kamera jedenfalls funktioniert das Gespann prächtig, weshalb es den Zuschauern relativ egal sein kann, ob die beiden ihren Umgang miteinander à la Mick Jagger und Keith Richards ansonsten aufs Nötigste beschränken. "Lakritz" ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie gut das Duo auch nach 17 gemeinsamen "Tatort"-Jahren noch miteinander harmoniert.

Dieses Kriterium haben die bislang 35 Episoden bislang allerdings ohnehin stets erfüllt; Schwächen hatten die Krimis immer dann, wenn die gegenseitigen Frotzeleien von Hauptkommissar Thiel (Prahl) und Rechtsmediziner Boerne (Liefers) dem Selbstzweck dienten und die Mördersuche bloß ein Vorwand für ihre Wortgefechte war.

Diese Balance zwischen Krimi und Comedy ist Thorsten Wettcke, der seine bisherigen  Drehbücher für den "Tatort" aus Münster gemeinsam mit Christoph Silber geschrieben hat, bei "Schwanensee" (2015) nicht gelungen; "Zwischen den Ohren" (2011) und "Gott ist auch nur ein Mensch" (2017) waren dagegen ausgezeichnete Beispiele für todernste Krimikomödien. Für "Lakritz", von Wettcke allein verfasst, gilt das nicht minder, zumal die Geschichte von eindrucksvoller Komplexität ist, weil der Autor zwei Handlungsebenen miteinander verwebt: Als Thiel und Boerne nach dem Mörder des Wochenmarktmeisters suchen, wird der Rechtsmediziner unerwartet mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Mit 13 war Karl-Friedrich, schon damals ein unerträglicher Besserwisser, in die Tochter der Lakritzherstellers Maltritz verliebt. Die junge Frau hatte jedoch nur Augen für den doofen Bernhard, der dem kleinen Boerne außerdem ein Lakritztrauma verpasst hat. Als die schöne Monika Karl-Friedrich auf dem Speicher des Geschäfts trotzdem einen Moment der Gunst gewährt, wird die erotische Vorfreude durch ein Drama jäh beendet. An dieses Erlebnis wird Boerne erinnert, als er rausfindet, woran der Marktleiter gestorben ist: Der Mann wurde mit Zyankali vergiftet, das einer Portion Lakritz beigemischt war. Prompt führt die Spur ins Haus von Boernes Jugendliebe; und weil schon der junge Karl-Friedrich ein untrügliches Gespür für rechtsmedizinische Vorgänge hatte, kann er dank seiner damaligen Aufzeichnungen im "Detektivtagebuch" rekonstruieren, was damals im Hause Maltritz passiert muss.

Wie beim "Tatort" aus Münster gewohnt, sorgt Wettcke rechts und links von der Handlung für amüsante Details. Schon der kunterbunt gestaltete Titel ist ein erster Hinweis auf die Tonart, in der Randa Chahoud das Drehbuch umgesetzt hat. Die Regisseurin hat bislang vorzugsweise fürs ZDF gearbeitet. Für ihre erste Arbeit, die Satireserie "Ion Tichy – Raumpilot", ist sie im Rahmen des Deutschen Fernsehpreises 2007 mit dem Förderpreis Regie ausgezeichnet worden. Ein "Tatort" aus Münster ist natürlich nicht nur wegen des Renommees eine ganz andere Sache, aber die überdurchschnittliche Qualität von "Lakritz" spricht für sich. Zu den beiläufig einstreuten unterhaltsamen Nebenschauplätzen zählt unter anderem der radikal umgestellte Lebenswandel Thiels, der sich nun ausschließlich von Smoothies und Gemüse ernährt.

Ein zweiter roter Faden sind die Kurzauftritte von Thiel senior: "Vaddern" (Claus D. Clausnitzer) treibt einen schwunghaften Handel mit Rauschmitteln und sorgt für Halligalli im Altenheim. Was bei einem weniger guten Drehbuch leicht wie erzwungene Heiterkeit wirken könnte, ist hier harmonisch in die Handlung integriert, zumal die entsprechende Seniorenresidenz eine wichtige Rolle für die Geschichte spielt: Dort ist nicht nur der alte Maltritz (Walter Hess) untergebracht, hier treibt auch Bernhard (Patrick von Blume), der frühere Peiniger des jungen Karl-Friedrich, als Pfleger sein Unwesen; und der hat einst eine Ausbildung zum Apotheker absolviert. Verdächtige gibt es ohnehin zuhauf, denn der Marktmeister hat in Dutzenden Aktenordnern seit Jahrzehnten fein säuberlich notiert, welche Leichen seine Mitbürger im Keller haben; und selbstredend hat er sie alle erpresst.

Gerade die Kombination von Gegenwart und Vergangenheit ist Chahoud ausgezeichnet gelungen. Als Boerne am Lakritz schnuppert, bricht ein regelrechtes Schnittgewitter mit Bildern aus seiner Jugend über ihn herein. Da in der Lakritzmanufaktur die Zeit stehen geblieben ist, sind die Übergänge fließend. Auf diese Weise wird Boerne Zeuge, wie sein dickliches Alter Ego vergeblich versucht, einem ignoranten Polizisten klarzumachen, dass sich Monikas Mutter unmöglich selbst umgebracht haben kann. Sehr gut ist auch die Arbeit mit den Schauspielern. Gerade bei den jungen Mitwirkenden ist die Darstellerführung naturgemäß umso wichtiger; Vincent Hahnen macht seine Sache als unglücklich verliebter junger Karl-Friedrich ebenso prima wie Jamie Bick als Traum von Karl-Friedrichs schlaflosen Nächten (Annika Kuhl spielt die heutige Monika). Prahl und Liefers dagegen kämen vermutlich auch ohne Regie klar, aber ihre Dialogduelle wirken irgendwie frischer als sonst. Der Film profitiert ohnehin davon, dass Thiel und Boerne diesmal weniger darauf aus sind, sich gegenseitig mit Bosheiten zu traktieren, sondern sich tatsächlich wie Freunde verhalten, selbst wenn der Kommissar dies umgehend relativiert ("Freund, Kollege, Nervensäge"); das ist zur Abwechslung auch mal ganz schön. Die präzise gespielten kleinen Slapstickeinlagen, wenn Boerne beispielsweise von Thiels Sitzball fällt, gibt’s gratis dazu.