TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Unter Campern" (ARD)

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TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Unter Campern" (ARD)
8.3., ARD, 20.15: "Praxis mit Meerblick: Unter Campern"
Darstellerinnen und Schauplätze wechseln, aber das Schema ist in den Freitagsfilmreihen der ARD-Tochter stets das gleiche: Eine Helferin mit Herz kümmert sich rund um die Uhr hingebungsvoll um die Nöte ihrer Patienten, hat in der Liebe aber kein Glück. Letzteres ist natürlich pures Kalkül und soll auf der horizontalen Ebene für durchgehende Spannung sorgen.

Auf diese Weise erzählen "Die Eifelpraxis", "Die Inselärztin" oder "Praxis mit Meerblick" im Grunde immer wieder die gleiche Geschichte. Da die medizinischen Herausforderungen regelmäßig interessant sind und die handwerkliche Umsetzung in der Regel auf gutem Niveau erfolgt, hängt die Qualität der einzelnen Filme nicht zuletzt davon ab, wie originell die Autorinnen und Autoren das Handlungsmuster variieren; und wie gut sie die berufliche und die private Ebene miteinander verknüpfen. Bei "Praxis mit Meerblick" mit Tanja Wedhorn ist das in der Vergangenheit mit wechselndem Erfolg gelungen. Der Auftakt, "Willkommen auf Rügen" (2017), war sehenswert, selbst wenn die Parallelen zur früheren Reihe "Reiff für die Insel" (auch mit Wedhorn und ebenfalls im Auftrag der ARD-Tochter Degeto produziert) unübersehbar waren. Die zweite Episode, "Brüder und Söhne" (2018), plätscherte etwas aufregungslos vor sich hin; die dritte ("Der Prozess") war nicht nur stimmiger, sondern auch spannender, weil die Ärztin angeblich den Tod eines Patienten verursacht hatte.

Nun zeigt ARD drei neue Filme, und gleich der erste, "Unter Campern", ist wieder ein Rückschritt. Das Drehbuch stammt wie bei "Brüder und Söhne" von Michael Vershinin, der unter seinem früheren Namen Michael Illner vor allem als Autor für Krimireihen und -serien bekannt ist. Regie führte wie bei "Willkommen auf Rügen" Jan Růžička, der für die Degeto schon viele sehenswerte Tragikomödien ("Annas Geheimnis", "Den Tagen mehr Leben") gedreht hat. Diesmal schafft er es jedoch nicht, die verschiedenen Erzählebenen in einen schlüssigen Handlungsfluss zu betten, weshalb "Unter Campern" an einen Erlebnisaufsatz erinnert ("und dann…"): Weil sich ihr WG- und Praxispartner Richard (Stephan Kampwirth) verlobt hat, sucht Nora Kaminski (Wedhorn) nach einer neuen Bleibe. Richard, der gerade erst eine Keimphobie überwunden hat, erleidet angesichts des neuen Beziehungsstatus’ mit Johanna (Anja Antonowicz) jedoch einen Rückfall in den alten Waschzwang. Seine Freundin wiederum fragt sich, ob Nora "tief in ihrer Seele" eifersüchtig ist, immerhin hat sie ausgerechnet bei Richards feierlicher Verlobungsverkündung den Ring verloren. 

Auch die berufliche Ebene sorgt zunächst nicht gerade für Nervenkitzel. Campingplatzwart Kubatsky (Michael Kind), in den ersten Episoden im Hinblick auf die neue Ärztin noch sehr skeptisch, mittlerweile aber ein großer Fan, macht sich Sorgen um einen kleinen Jungen. Tim leidet offenbar unter den ständigen Spannungen zwischen seinen Eltern. Das Kind hat nicht nur Asthma und Schwächeanfälle, es macht auch jede Nacht ins Bett. Die Mutter lehnt Noras Hilfsangebote jedoch brüsk ab, weil sie ganz auf alternative Heilmethoden vertraut. Leider muss Milena Dreißig die ständig an ihrem Mann Olaf (Thomas Arnold) herumnörgelnde Frau auf eine Weise verkörpern, die dem Gatten im Fall eines Mordes womöglich mildernde Umstände einbringen würde, zumal er mitten in einer dieser Tiraden einen Herzinfarkt erleidet. Die Attacke ist zum Glück nur leicht; trotzdem ist die Feststellung der pubertierenden Tochter, ihr Vater sei selbst schuld, "so wie er trinkt und raucht", starker Tobak. Tim trifft es am Ende ungleich heftiger. Die vertikal in die Höhe steigende Kamera deutet schon sein Ableben an, weshalb es einigermaßen absurd anmutet, dass seine Mutter glaubt, ihn mit einer Handvoll Heilsteine retten zu können.

Der zentrale Handlungsstrang mit Nora und ihrem persönlichen Umfeld ist ohnehin facettenreicher und vor allem überraschender, wirkt aber wegen der vielen Subthemen wie eine Sammlung von Augenblicken; der Film erzählt nicht eine große, sondern viele kleine Geschichten. Die sind zwar dank der ansprechenden Bildgestaltung (Gunnar Fuß) sehr sympathisch, doch die Struktur ähnelt dem "Weißt du noch"-Erinnerungsaustausch alter Freunde: wie Richard aus dem Draht einer Champagnerflasche einen Verlobungsring gebastelt hat; wie Nora bei der Feier am Strand den richtigen Ring anprobiert und nicht wieder abbekommen hat, bis er in schließlich in hohem Bogen weggeflogen ist; wie sie gegen Ende gemeinsam mit Kubatsky, Olaf, ihrem Sohn Kai (Lukas Zumbrock) und Praxishilfe Mandy (Morgane Ferru) den Sand durchkämmt hat; wie sich Kai und Mandy zunächst noch nähergekommen sind, aber dann hat Mandy Schluss gemacht, weil sie keine Fernbeziehung wollte; wie Richard in der Praxis einen Mann namens Ritter aufgerufen hat und der auch wie ein Ritter verkleidet war; wie sich Kubatsky als Nacktmodell für einige Hobbymaler zur Verfügung gestellt hat, ein Philodendronblatt vor dem Unterleib, mit dem er Nora zur Begrüßung zugewedelt hat. Schließlich endet "Unter Campern" mit zwei Überraschungen. Die eine ist amüsant und bezieht sich auf den heimlichen Auftraggeber der Anwerberin, die zweite ist betrüblich und nur deshalb kein Schock, weil Růžička am Schluss verräterisch ausführlich zeigt, wie Richard mit seinem Motorrad über die Insel braust; Nora, eben noch guter Dinge, steht derweil erschüttert in der Brandung, als habe sie den Hauch des Todes gespürt.