TV-Tipp: "Schöne heile Welt" (ARD)

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Schöne heile Welt" (ARD)
20.2., ARD, 20.15 Uhr
Der Mann geht vermutlich schon längst nicht mehr wählen, aber als Dauernörgler, Wutbürger und Verschwörungstheoretiker entspricht er perfekt dem Klischee des Protestwählers, der sein Kreuz aktuell bei der AfD machen würde.
Dabei ist Willi (Richy Müller), die Rente in Sichtweite, vor allem ein Rebell in eigener Sache: Der Sturkopf ist der letzte Mieter eines Hauses, das abgerissen werden soll. Er meckert über alles und jeden, was ihn jedoch nicht davon hält, der Allgemeinheit nach Kräften auf der Tasche zu liegen: Seit der Elektromeister nach dreißig Jahren seine Arbeit verloren hat, erschwindelt er sich als Langzeitarbeitsloser alle nur denkbaren Sozialleistungen; angeblich machen Verdauungsprobleme eine geregelte Beschäftigung unmöglich. Tatsächlich ist Willi im Grunde ein armes Schwein. Seine einzigen Kontakte sind der stumme Friseur, dem er ständig sein Leid klagt, und die Walküre an der Käsetheke im Supermarkt, die ihm zwar ihr wogendes Dekolletee entgegenreckt, aber nichts mit ihm zu tun haben will, solange er arbeitslos ist. Sein Leben ändert sich, als er im Auftrag eines Kneipenwirts zwei schwarzafrikanische Frauen in dem leerstehenden Mietshaus unterbringt. Eine der beiden hat einen circa zehn Jahre alten Sohn. Als dem Jungen langweilig ist, drückt Willi ihm einen Besen in die Hand, und das ist tatsächlich der Beginn einer Freundschaft, die einen neuen Menschen aus dem Grantler machen wird.
 
Die Geschichte ist eine Mischung aus dem Fernsehfilm "Glückskind" (2014) und dem Kinofilm "Dreiviertelmond" (2011): In "Glückskind" findet ein verwahrloster Mann (Herbert Knaup) ein Baby im Müll und dadurch neuen Lebensmut, in "Dreiviertelmond" kümmert sich ein schlecht gelaunter fremdenfeindlicher Taxifahrer um ein sechsjähriges türkisches Mädchen. In "Schöne heile Welt" nimmt Willi den kleinen Afrikaner Fianarantsoa (N’Tarila Kouka), den er der Einfachheit halber Franz nennt, unter seine Fittiche. Als Franz in seiner Wohnung ein Paar Schlittschuhe findet, fahren sie regelmäßig in die Eissporthalle, denn Franz entpuppt sich als Naturtalent und will unbedingt an einem Eiskunstlaufwettbewerb teilnehmen.
 
Autor und Regisseur Gernot Krää, 1992 durch den Kinderkrimi "Die Diste"“ bekannt und später für den Kinderfilm "Paulas Geheimnis" (2007) mehrfach ausgezeichnet worden, begeht zum Glück nicht den Fehler, sein realistisches Märchen sentimental zu überhöhen. Willi bleibt seinem Naturell treu, selbst wenn recht bald deutlich wird, dass er an Franz wiedergutmachen will, was er einst verbockt hat: Der Junge hat die Schlittschuhe in einem Kinderzimmer entdeckt, in dem Willi offenbar nichts verändert hat. Zunächst bleibt zwar offen, was aus dem Kind geworden ist, aber hin und wieder beobachtet Willi heimlich und aus der Ferne einen Rettungssanitäter, der sich später als sein Sohn (David Liske) entpuppt. Davon abgesehen tut Richy Müller nichts dafür, Willi sympathisch wirken zu lassen. Verstohlen huscht bei Franz’ Fortschritten auf dem Eis die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, aber ansonsten schaut Willi exakt so grimmig drein, wie es angesichts seiner vermeintlich verdrießlichen Lage angebracht ist; schließlich ist er der einzige, der weiß, "wie der Hase läuf"“, während alle anderen durch die Volksverblödung in Radio und Fernsehen gehirngewaschen sind. Die entsprechenden Szenen spielt Müller mit größtmöglicher verbaler und mimischer Lakonie. Als er die Familie im leeren Haus untergebracht hat, stellt er angesichts einer lautstarken afrikanischen Party zynisch fest, Neger im Haus habe er sich schon immer gewünscht. Aber er profitiert auch von den neuen Nachbarn, und das nicht nur wegen der "Miete", die er kassiert: Seine Verdauungsprobleme lösen sich hörbar in Luft auf, als Franz ihm einen passenden Tee bringt.
 
Die entsprechende geräuschvolle Untermalung hätte nicht sein müssen, und auch Müller selbst sorgt für kleine Irritationen: Der Film spielt im Badischen, doch Willi klingt, als habe er einen bayerischen Migrationshintergrund; laut SWR soll er jedoch (wie Müller selbst) aus der Kurpfalz stammen. Viel wichtiger für die akustische Ebene ist aber die Musik von Stephan Römer, zumal der Komponist seinen entspannten Jazz mit afrikanischen Liedern durchsetzt hat, die eine fröhliche Lebensfreude verströmen. Römer hat die Songs eigens für den Film geschrieben und mit einem afrikanischen Sänger eingespielt. Die Musik entspricht Krääs ruhiger Inszenierung, wobei Aufnahmen wie jene von Willis trostloser und wie ausgestorben wirkender Straße einen reizvollen Kontrast zu Römers Kompositionen bilden. Die Musik nimmt in gewisser Weise seinen Sinneswandel vorweg. Erstes deutliches Signal ist Willis Reaktion, als Franz in der Bahn zwei Uniformierte erblickt und Angst bekommt; Willi setzt sich neben ihn und klopft ihm beruhigend auf den Oberschenkel. Krää sorgt ohnehin dafür, dass die Zustände nicht zu idyllisch werden; der Filmtitel ist selbstredend die pure Ironie, und Franz’ Angst hat natürlich ihre Gründe. Außerdem kehrt er eines Tages, als er allein in die Eishalle musste, ohne Schlittschuhe heim. In einem ziemlich coolen Auftritt lässt Willi die drei jungen Männer ihre Tat zwar bereuen, aber das letzte Wort haben dennoch sie. Der Schluss bleibt der reizvollen Mischung aus Drama und Märchen ebenfalls treu, und auch hier findet Krää genau den richtigen Mittelweg zwischen Kitsch und Tristesse.