"Protestanten kamen nie in der Weimarer Republik an"

100 Jahre Weimarer Republik
Foto: dpa
Am 6. Februar 1919 tritt die Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung in Weimar erstmalig zusammen, die Eröffnungsrede hält der Volksbeauftragte Friedrich Ebert.
"Protestanten kamen nie in der Weimarer Republik an"
Die Trennung von Staat und Kirche in der Bundesrepublik geht auf die Verfassung der Weimarer Republik zurück. Der Staat wahrt zwar weltanschauliche Neutralität, Kirchen tragen aber vor allem in der Wohlfahrt große gesellschaftliche Verantwortung, wie der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting erklärte. Der Protestantismus habe jedoch mit der ersten deutschen Demokratie gefremdelt. "Große Teile des Protestantismus haben in der Republik nie ein Zuhause gefunden", sagte Großbölting dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am 6. Februar 1919 trat die verfassungsgebende Nationalversammlung erstmals in Weimar zusammen.

Kann man sagen, dass das heutige Modell der Trennung zwischen Staat und Kirche auf die Weimarer Verfassung zurückgeht?

Thomas Großbölting: Ja, das ist so. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes übernehmen 1949 die entsprechenden Paragrafen aus der Weimarer Verfassung und verwenden sie fast wortgleich für das Grundgesetz.

Wie kommt das?  

Großbölting: Das hat zwei Gründe. Zum einen wissen die Verfasser des Grundgesetzes, dass das Verhältnis zwischen Staat und Kirche immer ein hochstrittiges Thema war, und diesen Streit will man jetzt nicht riskieren. Und zweitens ist die politische Kultur der Nachkriegsjahre von einer starken Re-Christianisierungseuphorie getragen. Das geht nicht nur von den Kirchen aus, sondern auch viele Menschen in der Politik sind davon überzeugt, dass das Christentum ein Fundament bietet für den gesellschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands: Das Militär ist besiegt, die Nation zerbrochen. Die Werte, die vorher wichtig waren, existieren nicht mehr. Aus dieser Haltung heraus schafft man eine Konstellation, in der Kirche und Staat zwar getrennt sind, die Religionsgemeinschaften aber staatsnah bleiben.

Hat sich diese Trennung Ihrer Meinung nach bewährt?  

Großbölting: In den 1950er Jahren ist diese Konstellation eine Win-win-Situation. Der Staat profitiert auf der einen Seite davon, dass die Kirchen ein moralisches Fundament bieten. Auf der anderen Seite sind die Kirchen in ihrem Verkündigungsauftrag gut bedient, wenn sie in sämtlichen staatlichen Rundfunkräten, in staatlichen Ethikkommissionen mit dabei sind und wenn sie als Körperschaften des Öffentlichen Rechts an Staates statt Aufgaben zum Beispiel in der Krankenversorgung oder Pflege übernehmen. Und mit der besonderen Konstellation des Kirchensteuereinzugs sind die Bistümer und Landeskirchen in Deutschland mit die reichsten religiösen Organisationen weltweit. Diese "hinkende Trennung" von Kirche und Staat wird aber immer problematischer, umso diverser das religiöse Feld in Deutschland wird: Wo es immer mehr Nichtkonfessionelle gibt und auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, wird die zu Anfang der alten Bundesrepublik gefundene Konstellation immer problematischer.

Zurück zur Weimarer Republik: Wie ist es zu erklären, dass die Schreiber der Weimarer Verfassung sich für dieses Modell entschieden haben?

Großbölting: Dahinter steht der Wille, mit der engen Verbindung von Thron und Altar zu brechen. Das preußische Herrscherhaus und der Kaiser sahen sich in enger Verbindung zu den protestantischen Landeskirchen, da sie ihre Legitimation nicht zuletzt auf der Idee vom Gottesgnadentum des Herrschers aufbauten. Auch wenn es keine Staatskirche im engeren Sinne gab, so bedeutete diese Nähe doch eine Verbindung, die die Republik dann brechen wollte, um einen säkularen Staat zu etablieren.

Was bedeutet die neue Neutralität für die Katholiken?

Großbölting: Die Katholiken überwinden 1918/1919 ihr Kulturkampf-Trauma. Während sie im Kaiserreich in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre noch massiv angegriffen wurden, gelingt es den Bistümern nun, in einigen Ländern wie Bayern, Preußen oder Baden Konkordate abzuschließen und das Kirchenleben auf eine rechtlich sichere Grundlage zu stellen.

Wie entwickelt sich denn in der Weimarer Republik das Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und den Regierenden?

Großbölting: Die Protestanten kommen in der Republik eigentlich nie an. Sie sind geschockt, dass sie vom Thron getrennt sind. Dazu kommt, dass man in den einzelnen Landeskirchen auch dominierende konservative Strömungen hat, die die Republik und die Demokratie als Staatsform ablehnen. Das wird zusätzlich befeuert durch einen grassierenden Antikommunismus.

"All diese Umstände machten viele Protestanten hoch anschlussfähig an die NS-Bewegung"

Wie sehen Sie die Rolle der Protestanten am Ende der Weimarer Republik?

Großbölting: Die Protestanten tragen wenig zur Stabilität der Weimarer Republik bei. So gibt es keine protestantische Partei, etwa wie das Zentrum auf katholischer Seite, die die Republik unterstützt hätte. Protestanten engagieren sich vor allem in den bürgerlichen Parteien, die gerade zum Ende der Weimarer Republik eine große Krise erleben und sich auflösen. Das Zentrum hingegen, die katholische Partei, hat eine sehr starke Bindekraft unter den Katholiken. Die Partei ist - trotz all ihrer Probleme und trotz ihrer Selbstauflösung 1933 - zusammen mit der Mehrheits-Sozialdemokratie eine der Stützen der Republik. Wenn die Weimarer Republik funktioniert, dann sind es Zentrum und SPD, die das Ganze stabilisieren.

Wie würden Sie das Verhältnis des Protestantismus zum Nationalsozialismus beschreiben?

Großbölting: Große Teile des Protestantismus haben in der Republik nie ein Zuhause gefunden und verharrten im Wunsch nach einer autoritären Staatsform. Der Weg in den Nationalsozialismus wurde dann zusätzlich gebahnt durch einen ausgeprägten Antijudaismus und Antisemitismus - den es auch auf der katholischen Seite gab. All diese Umstände machten viele Protestanten hoch anschlussfähig an die NS-Bewegung.