Gehorsam, Kontrolle und Abschottung

Duisburger Wera-Gemeinde
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Die Gemeinschaft der Duisburger Wera-Gemeinde scheint nach außen harmonisch, doch Kritik oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Predigten sind nicht erwünscht.
Gehorsam, Kontrolle und Abschottung
Evangelische Kirche besorgt über Sektenstrukturen in freier Gemeinde
Singen, tanzen, beten: Nach außen scheint alles harmonisch in der Duisburger Wera-Gemeinde. Doch Aussteiger berichten von Ärger bei kritischen Worten oder zu wenig Spenden. Die evangelische Kirche beobachtet die sektenähnlichen Strukturen mit Sorge.

Die überwiegend von Russlanddeutschen besuchte freie Gemeinde "Wera-Forum" in Duisburg sorgt für Unruhe bei der evangelischen Kirche. Der Pfarrer der Auferstehungsgemeinde Duisburg Süd, Rainer Kaspers, äußerte sich gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) äußerst besorgt über Vorgänge in der Wera-Gemeinde. Berichte ehemaliger Mitglieder und Dokumente lassen nach seiner Ansicht nur den Schluss zu, "dass es sich nicht um eine Freikirche handelt, sondern um eine christliche Sekte". Auch der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Duisburg, Armin Schneider, sagte, er teile diese Sorge.

Kaspers erklärte, nach den Aussagen ausgetretener Gemeindeglieder sehe sich der Pastor der Wera-Gemeinde als alleiniger Inhaber der Wahrheit und setze sich als Richter über seine Gemeinde an die Stelle Gottes. Er verlange unbedingten Gehorsam und habe mit seinen Familienangehörigen und Leitungsmitgliedern "ein System der Angst und der Überwachung" aufgebaut. Zweifel an seiner Gemeindeführung lasse er nicht zu, Kritiker mache er mundtot und verfluche sie als vom Satan besessen. 80 Mitglieder sollen inzwischen ausgetreten sein.

Mit Liebe bombardiert und dann gemaßregelt

Anfangs sei ihm noch alles harmonisch erschienen, erzählte ein ehemaliges Wera-Mitglied dem epd: "In der ersten Zeit wird man mit Liebe bombardiert." Sportangebote, Veranstaltungen mit Musik und Tanz, gemeinsame Gebete hätten eine freundschaftliche Atmosphäre vermittelt. Später habe es jedoch Vorwürfe gegeben und man habe sich rechtfertigen müssen, wenn man keine Zeit für die Mitarbeit beim Putzen, Essen austeilen oder Bauen am neuen Gemeindezentrum hatte. Dann habe es geheißen: "Wie willst Du Gott dienen? Wie willst Du in den Himmel kommen?"

Vor allem für Kinder gebe es sehr viele Angebote, sie sollten möglichst ihre gesamte Freizeit im Gemeindezentrum verbringen. Kritik oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Predigten und Entscheidungen der Gemeindeleitung seien nicht erwünscht, erzählen andere Aussteiger: "Wer zu viele Fragen stellt, gilt als Rebell." Kritische Äußerungen in Hauskreisen oder Gruppen würden weitergegeben an die Leitung. Zur Leitung zitiert und scharf kritisiert wurden ehemalige Mitglieder nach eigenen Angaben auch, wenn sie nicht genug spendeten. Die Bezahlung des "Zehnten", also ihres regelmäßigen Beitrags, sei anhand von Gehaltsabrechnungen kontrolliert worden.

Pastor Alexander Epp der Christlichen Gemeinde WERA Forum.
Besonders entsetzt ist Kaspers über Abschottungs- und Ausgrenzungsmechanismen. Abtrünnige Gemeindemitglieder wurden nach eigenen Angaben mit einer Kontaktsperre belegt, Mitglieder aufgefordert, Freundschaften mit Ausgetretenen zu beenden. Selbst für Kinder gebe es Besuchs- und Kontaktverbote. "Die Risse gehen durch Familien", hat der Pfarrer in Seelsorge-Gesprächen erfahren. Ehemalige Wera-Anhänger berichteten dem epd, sie würden von Gemeindemitgliedern nicht mehr gegrüßt, ihre Kinder von den früheren Freunden bei WhatsApp blockiert. Ein solches "System der Angst, der Kontrolle, des Drucks, der Ausgrenzung und der Entwürdigung von Menschen" stehe nicht auf dem Boden des Evangeliums, betonte Kaspers.

Andrew Schäfer, Landespfarrer für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland, hält die Sorgen des Pfarrers für berechtigt. Er beobachte die Wera-Gemeinde und ihren Leiter bereits seit 2005, sagte er dem epd. Nach seiner Einschätzung verbindet sich dort christlicher Fundamentalismus mit einem Absolutheits- und Machtanspruch des Gemeindeleiters. Hinzu kämen eine Abschottung nach außen, die Abwertung von Kritikern, eine soziale Kontrolle der Mitglieder sowie Einflussnahme auf deren Privatleben - auch das seien weitere Strukturmerkmale für eine Sekte und "geistlichen Missbrauch" durch den Pastor.

Auseinandersetzen mit dem Thema muss sich jetzt auch die Evangelische Allianz, ein Netzwerk von evangelikalen Christen aus Freikirchen und Landeskirchen, in dem das Wera-Forum Mitglied ist. Der Vorsitzende der Allianz-Ortsgruppe Duisburg-Süd, Pfarrer Jürgen Muthmann, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), es habe bereits ein erstes Gespräch mit der Wera-Gemeinde gegeben, weitere sollten folgen. Über den Inhalt sei Stillschweigen vereinbart worden.

Zu den Gottesdiensten des Wera-Forums kommen nach eigenen Angaben jede Woche 500 Besucher. Träger ist der Verein Evangeliumskirche "Glaubensgeneration". Neben der Duisburger Gemeinde gibt es Tochtergemeinden in Castrop-Rauxel, Wuppertal und Heilbronn. Eine Dortmunder Tochtergemeinde hat sich inzwischen abgespalten.

Die Wera-Gemeinde nannte die Vorwürfe in einer Stellungnahme "absurd" und sprach von Missverständnissen. Ihr Leiter Pastor Alexander Epp habe "als Vorsitzender natürlich das letzte Wort, aber dieses ist weder absolut noch unangreifbar". Der Gemeindeleiter berufe sich immer auf die Bibel als Wort Gottes und fordere keinen Gehorsam sich gegenüber, sondern der Bibel gegenüber. Darüber hinaus sei "Gehorsam ja erst mal nichts Verwerfliches, sondern ein biblisches Prinzip", heißt es in der Stellungnahme. Finanzielle Zahlungen seien keine Pflicht der Mitglieder, sondern freiwillig.