TV-Tipp: "Extraklasse" (ZDF)

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TV-Tipp: "Extraklasse" (ZDF)
17.12., ZDF, 20.15 Uhr: "Extraklasse"
Es ginge sicher etwas zu weit, die Tragikomödie "Extraklasse" mit dem amerikanischen Schulklassiker "Die Saat der Gewalt" (1955) zu vergleichen, aber gewisse Parallelen sind im Handlungskern durchaus erkennbar: Ein Mann, der eigentlich kein Lehrer ist, übernimmt eine Schulklasse, die sich als kompliziert bis rebellisch erweist. Es dauert eine Weile, bis sich beide Seiten aneinander gewöhnt haben, es gibt Missverständnisse und tragische Momente, aber am Ende sind Lehrer und Schüler ein Herz und eine Seele.

Matthias Tiefenbacher ist einer jener Regisseure, deren Namen nur den wenigsten Zuschauern etwas sagen, obwohl er seit zwanzig Jahren regelmäßig überdurchschnittlich gute Arbeit leistet, ganz gleich, ob im Rahmen von Krimireihen ("Kommissar Dupin", "Der Tel-Aviv-Krimi") oder in Form von Einzelfilmen. Mit Axel Prahl hat er neben einigen sehenswerten "Tatort"-Episoden aus Münster fürs ZDF auch "Die Lichtenbergs - Zwei Brüder, drei Frauen und jede Menge Zoff" gedreht. In der dem Titel zum Trotz wunderbaren Komödie spielt Prahl ein Zwillingspaar, das die Rollen tauscht, weshalb er quasi vier Figuren verkörpert. In "Extraklasse" ist es nur eine, aber auch hier darf der Schauspieler sein komödiantisches Talent ausleben. Dabei ist die Hauptfigur im Grunde gar keine komische Rolle: Ralph Friesner, um die fünfzig, war einst ein gefeierter und preisgekrönter Journalist und Ressortleiter Politik einer großen Berliner Tageszeitung. Irgendwann ist er nach unten durchgereicht worden; Job weg, Frau weg, Wohnung weg. Nun lebt er als Untermieter bei der Mutter eines früheren Praktikanten. Weil die Angehörigen seiner Generation alle mal "auf Lehramt" studiert haben, schickt ihn das Jobcenter zu einer Abendschule in Marzahn, wo er auf unterschiedlichste und zum Teil auch etwas verkrachte Existenzen trifft.

Schon die Konstellation offenbart das enorme tragikomische Potenzial der Geschichte: hier der arrogante Star-Journalist, der es für unter seiner Würde erachtet, "Kevin und Chantal" zum Hauptschulabschluss zu verhelfen, dort ein zusammengewürfeltes Dutzend aus lernwilligen und renitenten Schülerinnen und Schülern. Die Qualität des Drehbuchs, das Tiefenbacher nach einer Vorlage von Gernot Gricksch geschrieben hat, zeigt sich unter anderem im Umgang mit den naheliegenden Klischees, die nach und nach glaubwürdig aufgebrochen werden. Da ist zum Beispiel Rina (Jennifer Ulrich), eine allzu früh Mutter gewordene junge Kassiererin, die bereits ihr drittes Kind erwartet. Mike (Dennis Moyen) ist der unvermeidliche Rüpel, der sich mal mit dem Lehrer, mal mit den anderen Schülern anlegt. Der türkische Kioskbesitzer Gökdal (Vedat Erincin) möchte lesen lernen, weil seine Tochter ein Buch geschrieben und ihm gewidmet hat. Crystal (Mercedes Müller), pretty in pink, hängt permanent am Smartphone. Der Haitianer Bob (Tony Harrisson Mpoudja) wird von seiner deutschen Frau wie ein Sklave gehalten. Und dann ist da noch Norbert (Nico Randel), ein junger Mann mit Trisomie 21, der zwar für Stimmung sorgt, aber eines Tages während des Unterrichts einen Herzinfarkt bekommt.

Friesner hat zunächst alle Hände voll damit zu tun, die Klasse zu bändigen, sodass an Unterricht kaum zu denken ist, und begeht zudem einen miesen Verrat, als er sich bei einer Geburtsfeier über seine Schüler lustig macht, nicht ahnend, das Crystal, die als Bedienung hilft, alles mitbekommt. Nach und nach wachsen ihm die Schülerinnen und Schüler jedoch immer mehr ans Herz, zumal der erste Schein in vielen Fällen trügt; Mike zum Beispiel entpuppt sich als begnadeter Graffiti-Künstler und erklärt sich bereit, Gökdal Nachhilfe zu geben. Die strenge Schulleiterin (Aglaia Szyszkowitz) bleibt trotzdem skeptisch. Als sich Friesner gerade mit der Aufgabe anzufreunden beginnt, droht eine neue Gefahr: Sollte die Klassengröße auf unter zehn Schüler schrumpfen, wird sie aufgelöst.

Natürlich lebt "Extraklasse" vor allem vom Sinneswandel der Hauptfigur, zumal Prahl die Metamorphose vom Zyniker zum Einmischer jederzeit glaubwürdig und nachvollziehbar verkörpert: Der Film beginnt als Tragödie eines lächerlichen kleinen dicken Mannes, der sich schließlich zu ungeahnter Größe aufschwingt. Die weiteren Mitwirkenden, allesamt vortrefflich besetzt, sind allerdings mehr als bloß Stichwortgeber, zumal sich Tiefenbacher allen mit der gleichen Zuneigung widmet. Außerdem hat er selbst für kleinere Rollen eine großartige Besetzung gefunden. Ein Genuss sind schon allein die Auftritte von Katharina Thalbach als Vermieterin, die ihr Herz auf der Zunge trägt und Friesner quasi adoptiert hat. Inka Friedrich spielt seine Ex-Frau, der er immer noch nachtrauert, und Simon Schwarz seinen besten Freund, einen Kneipier, dessen düsteres Lokal kaum Gäste hat, bis er eines Tages unvermutet sein Glück findet. Es sind nicht zuletzt diese vielen kleinen Seitenstränge, die "Extraklasse" zu einem großen und vor allem warmherzigen Vergnügen machen. Eher herzhaft sind dagegen mitunter die Dialoge; gerade Thalbach darf auf ihre unverwechselbare Art einige markante Zeilen vortragen. Krönung des Films ist die Musik (Biber Gullatz, Andreas Schäfer, Lukas Kiedaisch) mit ihren Reggae-Elementen, und auch die Auswahl der Songs ist ziemlich gut getroffen. Dass Friesner gleich zu Beginn klatschnass wird, als ein Auto durch eine tiefe Pfütze fährt, ist dagegen eher überflüssig; der Dampf verrät zudem, dass Tiefenbacher seinem Hauptdarsteller kein kaltes Wasser zumuten wollte.