TV-Tipp: "Der Prag-Krimi: Wasserleiche" (ARD)

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TV-Tipp: "Der Prag-Krimi: Wasserleiche" (ARD)
6.12., ARD, 20.15 Uhr
Als der Krimi in den frühen Siebzigern das Fernsehen eroberte, waren die Titelfiguren der ZDF-Klassiker "Der Kommissar" oder "Derrick" korrekte Beamte ohne Eigenschaften oder gar Privatleben. Ein paar Jahrzehnte und Hunderte von Ermittlern später ist es eine echte Herausforderung, Protagonisten zu erschaffen, die es nicht schon dutzendfach gegeben hat.

Die Autoren haben längst alle nur denkbaren Schattierungen ausprobiert. Früher reichte es, einen Kommissar "unkonventionell" ermitteln zu lassen; heute muss seine Vorgehensweise derart extravagant sein, dass er in den Augen seiner Mitarbeiter eine Macke hat. Deshalb staunt die brave Prager Polizistin Klára nicht schlecht, als der Kollege aus Deutschland mit den Tatverdächtigen ein Theaterstück aufführt. Der Mann ist die Hauptfigur der neuen "Prag-Krimis" und heißt Jan Koller, ein Name, bei dem vor allem die Fans von Borussia Dortmund zunächst mal an einen ziemlich erfolgreichen tschechischen Mittelstürmer denken werden. Einzige Parallele zwischen dem Kicker und dem Kommissar ist jedoch die Tatsache, dass beide gebürtige Tschechoslowaken sind. Der Ermittler hatte in seiner Kindheit ein offenbar traumatisierendes Erlebnis; entsprechende Alpträume deuten an, dass es da noch Einiges aufzuarbeiten gibt.

Roeland Wiesnekker, ohnehin wie geschaffen für Figuren, die ein bisschen neben der Spur sind, ist die perfekte Besetzung für den deutschen BKA-Kommissar, der nach Prag geschickt wird, weil dort die Leiche seines Freundes und früheren Partners Frank Müller gefunden worden ist. Und weil Dirk Borchardt diese Rolle selbstredend nicht nur für die Szene in der Rechtsmedizin übernommen hat, ist klar, dass die Drehbuchautoren (Jaroslav Rudiš, Martin Behnke, Felix Benesch) viel mit Rückblenden arbeiten werden. Wie sie das tun, ist allerdings eine in der Tat originelle Idee, zumal die beiden Zeitebenen kunstvoll miteinander verwoben sind: Müllers letzter Lebensabend war der Junggesellenabschied seines Bruders Jörg (Hendrik Heutmann). Um den Beteiligten langwierige Vernehmungen zu ersparen, schlägt Koller vor, die Feierlichkeiten minutiös zu rekonstruieren, wobei er selbst die provokante Rolle des toten Müller übernimmt. Der Kollege war Kunstfälschern auf der Spur, und es ist natürlich kein Zufall, dass fast alle Beteiligten aus dem Kunstgewerbe stammen: Jörg ist Maler, Galerist Radek (Arnd Klawitter) verkauft die Bilder, ihr gemeinsamer Freund René (Tom Keune) ist Kunsthistoriker und stellt für Radek Expertisen aus. Fünfter im Bunde war Sven (Max Hegewald), Franks Sohn; später stieß noch Jörgs Verlobte Jitka (Alina Levshin) dazu.

Eine weitere Hauptdarstellerin ist selbstverständlich Prag. Gerade die Nachtaufnahmen machen dem Beinamen "Goldene Stadt" all Ehre. Kameramann Hannes Hubach gehört zu den bevorzugten Mitstreitern von Regisseur Nicolai Rohde, der in den letzten Jahren viele gute und einige sehr gute Krimis gedreht hat. "Brandmal" (2015), der dritte Film aus der Craig-Russell-Reihe der ARD, war dabei ebenso vorzüglich fotografiert wie "Tod auf der Insel" (2015) oder sein Langfilmdebüt "Zwischen Nacht und Tag" (2005), für das Hubach mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet wurde. Respekt gebührt aber auch den Autoren. Die Qualität des Drehbuchs zeigt sich nicht zuletzt im Detail. Bei einer nächtlichen Bootsfahrt, die Koller mit einem Kollegen von der Prager Wasserschutzpolizei unternimmt, weist ihn der WaPo-Mann auf eine von Kommunisten in den Fünfzigerjahren um gut dreißig Meter versetzte Kapelle hin. Was zunächst wie eine etwas bizarre Anekdote wirkt, hat schließlich maßgeblichen Anteil an der Klärung des Falls.

Einige der Rollen sind allerdings etwas klischeehaft besetzt: Die Filmografie von Max Hegewald besteht quasi nur aus zornigen jungen Männern, Arnd Klawitter hat in seiner Laufbahn schon viele halbseidene Typen verkörpert. Auch für Dirk Borchardt ist die Rolle des "Proletenvaters" nicht neu, selbst wenn er diese Typen immer wieder eindrucksvoll authentisch spielt. Irritierend ist wie bei den meisten Auslandskrimis der Degeto wieder einmal die sprachliche Ebene. Gabriela Maria Schmeide, Tochter sorbischer Eltern, gibt sich zwar redlich und glaubwürdig Mühe, mit starkem tschechischem Akzent zu radebrechen, aber die Beteiligten der Abendgesellschaft, obschon teilweise einheimisch (zumindest der Kunsthändler und die Verlobte), reden allesamt deutsch. Seltsam auch, dass die Prager Polizistin ihren Chef auf Tschechisch anspricht und er in gebrochenem Deutsch antwortet. Davon abgesehen ist die bärbeißige Klára, die Eishockey genauso spielt wie sie Auto fährt, nämlich ohne Rücksicht auf Verluste, sehr unterhaltsam und allemal origineller als Kollers übergriffige und auch etwas gruselige Mutter (Gertie Honeck). Der Rechtsmediziner (Andreas Schröders) ist ebenfalls ein skurriler Typ. Er hat den Obduktionssaal mit Gemälden großer Meister dekoriert, lauter Fälschungen aus der Asservatenkammer, und trägt mit seinem künstlerischen Sachverstand gleichfalls zur Lösung bei. Spannendste Figur ist trotzdem der Ermittler. Wiesnekker hat spürbar Spaß an diesem Koller, der so gern Geschichten über U-Bahnfahrgäste erzählt und eine gute Laune vor sich her trägt, hinter der sich jedoch Tief- und Abgründigkeit gleichermaßen verbergen: Die vermeintlichen Alpträume sind tatsächliche Erinnerungen. Der Schluss schürt erfolgreich die Neugier auf die Fortsetzung, "Der kalte Tod" (13. Dezember).