Theologe Schleiermacher ist "bestürzend aktuell"

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher wurde geboren in Breslau am 21.11.1768  und starb in Berlin am 12.02.1834.
©epd-bild/akg-images/Friedrich August Andorff
Profil des evangelischen Theologen und Philosophen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher.
Theologe Schleiermacher ist "bestürzend aktuell"
Der Berliner Philosoph Andreas Arndt sieht den Theologen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) als Vorbild für die aktuelle Wissenschaftspolitik. Der Universalgelehrte, der vor 250 Jahren geboren wurde, habe vor "abgeschotteten einzelnen Disziplinen" gewarnt und für Austausch sowie einen universalen Zusammenhang des Wissens geworben, sagte Arndt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Buchautor und emeritierte Professor hatte einen Lehrstuhl für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin inne.

Schleiermachers Wissenschaftsauffassung sei mit in die 1809 gegründete Berliner Reformuniversität eingeflossen, sagte Arndt. Schleiermacher sei der eigentliche geistige Gründervater. Wie man heute weiß, habe Wilhelm von Humboldt viel von ihm übernommen. Man könne von einer "Humboldt-Schleiermacherschen Universitätsidee sprechen", sagte Arndt. Die spätere Humboldt-Universität zu Berlin hatte Anfang des 19. Jahrhunderts eine neue Ära von Universität und Wissenschaft eingeleitet, die weltweit zum Leitbild wurde.

Das Fremde aufnehmen ohne das eigene aufzugeben

Andreas Arndt
Als gesellschaftliches Ideal strebte Schleiermacher eine kulturelle Synthese an, sagte Arndt. In dieser Verknüpfung spielten zwar die Eigenarten der Nationen eine Rolle, im Vordergrund stehe aber ganz stark der wechselseitige Austausch: "Das hat eine geradezu bestürzende Aktualität heute, wenn er sagt, man solle das Fremde aufnehmen ohne das Eigene aufzugeben." Schleiermacher sei der Überzeugung gewesen, "dass sich in der Entwicklung der Menschheit Grenzen auflösen, die kulturelle Vielfalt bildet letztlich eine Einheit".

Auch in seinem religiösen Denken habe Schleiermacher einen universellen Ansatz vertreten. Arndt wies Tendenzen zurück, ihn allein auf Begriffe wie "reine Innerlichkeit" und "Subjektivität" einzuschränken. Religion übersteige Schleiermacher zufolge alle Begriffe und stifte Kultur: "Er hat das Ideal einer universellen Menschheit im Blick, Religion ist für ihn etwas, was nationale, sprachliche oder rassische Schranken nicht anerkennt und darüber hinausgeht." Auch das sei ein Punkt, an dem Schleiermacher heute ungeheuer gegenwärtig sei, erklärte der 1949 geborene Arndt, der als einer der führenden Experten in der Hegel- und Schleiermacher-Forschung gilt.

Alle Menschen sind Künstler

Die Universalität Schleiermachers zeige sich auch in dessen Kunstanschauung. Dafür stehe etwa sein rund 200 Jahre vor Joseph Beuys (1921-1986) formulierter Satz "Alle Menschen sind Künstler". Arndt: "Schleiermacher hat in seiner Ästhetik avantgardistische Elemente." Mit diesem Instrumentarium könne man auch die Kunst des 20. Jahrhunderts deuten, bis hin zur Aktionskunst.

Der am 21. November 1768 in Breslau geborene Daniel Friedrich Ernst Schleiermacher ist der führende theologische Denker des frühen 19. Jahrhunderts. Er lehrte ab 1810 bis zu seinem Tod 1834 als ordentlicher Professor der Theologie und Philosophie an der Berliner Universität. In seiner berühmtesten Schrift "Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern" von 1799 beschreibt er Religion als Anschauung und Gefühl des Universums.