TV-Tipp: "Terror - Ihr Urteil" (RBB)

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TV-Tipp: "Terror - Ihr Urteil" (RBB)
13.11., RBB, 22 Uhr
Ferdinand von Schirachs Drama "Terror" ist eins der erfolgreichsten und meistdiskutierten Stücke der jüngeren Theatergeschichte; und die Verfilmung ein mutiges Fernsehexperiment. Wie im Theater, so endet auch der Film offen: Das letzte Wort haben wie schon bei der ARD-Premiere vor zwei Jahren die Zuschauer.

Sie sind als Schöffen gefragt, sollen ein Urteil fällen und müssen die Frage beantworten, ob ein Luftwaffenpilot ihrer Ansicht nach moralisch richtig gehandelt hat. Das entsprechende Szenario konstruiert ein klassisches Dilemma: Ein islamistischer Entführer hat einen Airbus auf dem Weg von Berlin nach München gekapert. Er will die Maschine offenkundig auf die vollbesetzte Allianz Arena abstürzen lassen. Kampfpilot Koch wird in Anlehnung an ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts untersagt, das Flugzeug abzuschießen. Also handelt der Major auf eigene Faust und nimmt den Tod von 164 Menschen in kauf, um 70.000 zu retten; und nun muss er sich vor Gericht für diese Tat verantworten.

Erfolgsproduzent Oliver Berben, der schon Schirachs Kurzgeschichtensammlungen "Verbrechen" und "Schuld" verfilmen ließ, hat sich die TV-Rechte des Stücks frühzeitig gesichert und war gemeinsam mit dem Autor und Regisseur Lars Kraume eigenhändig an der Adaption beteiligt. Dem Trio ist das Kunststück gelungen, der Bühnenversion treu zu bleiben und den Film trotz der Einheit von Zeit und Raum dennoch nicht wie verfilmtes Theater wirken zu lassen. Bis auf einen kurzen Prolog, der ein Flugzeug vor blauem Himmel zeigt, trägt sich die Handlung ausschließlich im Gerichtssaal zu, einem nüchternen, überwiegend in Grau gehaltenen Zweckbau aus Beton. Zu Beginn wendet sich der Richter (Burghart Klaußner) direkt an die TV-Zuschauer und erklärt sie zu Schöffen, die anschließend per Telefon oder Internet ihr Urteil abgeben sollen; der Rest ist Prozess. Es wird unentwegt geredet, die Kamera konzentriert sich bis auf wenige Ausnahmen auf die Beteiligten.

Trotzdem ist der Film von Anfang bis Ende durchgehend spannend wie ein Thriller, zumal Ferdinand von Schirach die moralisch hochkomplexe Herausforderung so geschickt umgesetzt hat, dass sie weit mehr als bloß eine philosophische Denksportaufgabe ist. Während der Verteidiger im Sinne der angelsächsischen Rechtsprechung und mit Blick auf das kleinere Übel selbstverständlich für Freispruch plädiert, verdeutlichen die Ausführungen der Staatsanwältin die grundsätzliche Dimension der Fragestellung. Schon allein die Vielzahl der Denkanstöße macht "Terror – Ihr Urteil" zu einem besonderen Film. Das Drehbuch lotet die ganze ethische Tiefe des komplexen Themas aus, was zu spannenden rhetorischen Wortgefechten führt: Wo zieht man die Grenze, wenn man das Leben Unschuldiger gegeneinander abwägt? Der Pilot argumentiert, die Passagiere seien ohnehin dem Tod geweiht gewesen. Die Staatsanwältin belehrt ihn, mit der gleichen Argumentation könne man einen Todkranken töten, um mit seinen Organen Leben zu retten. In die Defensive drängt sie Koch schließlich mit der Frage, ob er die Maschine auch abgeschossen hätte, wenn seine Familie an Bord gewesen wäre.

Endgültig zu einem preiswürdigen Werk wird der Film durch die herausragenden darstellerischen Leistungen. Die bühnenerfahrenen Schauspieler sind die denkbar beste Besetzung für ihre Figuren: Klaußner als Richter, der den Prozess mit väterlicher Strenge führt, Martina Gedeck als Staatsanwältin, Lars Eidinger als Verteidiger, Rainer Bock als Oberstleutnant, der als Zeuge die Überwachung des deutschen Luftraums erläutert und die Ereignisse jener Nacht schildert. Am schwierigsten war womöglich die Besetzung des Angeklagten. Florian David Fitz spielt diesen hochintelligenten Soldaten vorzüglich; aber er macht ihn natürlich allein aufgrund seiner Filmografie und seines Auftretens zum Sympathieträger. Eine kleine, aber besondere Rolle hat Jördis Triebel als Witwe eines der Opfer; sie gibt den Hinterbliebenen Gesicht und Stimme.

Auch filmisch ist "Terror" interessant. Kraume hat komplett auf die üblichen Spannungsverstärker verzichtet; es gibt zum Beispiel überhaupt keine Musik. Der Film wirkt daher wie die Rekonstruktion einer authentischen Verhandlung. Da sämtliche Schauspieler während der kompletten Drehzeit zugegen waren, konnte Kraume mit bis zu drei Kameras gleichzeitig drehen (Bildgestaltung: Jens Harant). Meist zeigt das Bild Einstellungen aus der Distanz. Als Koch befragt wird, geht die Kamera allerdings näher heran und umkreist ihn; prompt fällt ein rascher Zoom in die Nahaufnahme, als die Staatsanwältin dem Piloten die Familienfrage stellt, aus dem Rahmen. Ansonsten, betont Kraume, behandele die Kamera alle Figuren gleich, aber das stimmt nicht: Beim Schluss seines Plädoyers schaut Eidinger als Verteidiger direkt in die Kamera; der Staatsanwältin ist ein derart emotionalisierender Moment nicht vergönnt. Eidinger versieht seine Rolle zudem gerade zu Beginn mit einigen ungewöhnlichen Manierismen: Der Verteidiger lümmelt auf seinem Stuhl herum und ist zuweilen flegelhaft vorlaut wie ein pubertierender Teenager.

Ansonsten sind Kraume gelegentlich kleine Anschlussfehler unterlaufen, die vor allem die Sitzpositionen betreffen. Außerdem ist Fitz für einen Mann, der fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht hat, entschieden zu gut gebräunt. Aber das sind Marginalien, die nichts daran ändern, dass "Terror" zu den Höhepunkten des Jahres gehört; Kraume und Berben beweisen, wie mitreißend intelligentes Fernsehen sein kann.