TV-Tipp: "Tatort: Blut" (ARD)

TV-Tipp: "Tatort: Blut" (ARD)
28.10., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Blut"
Dieser Film ist wahrlich nichts für schwache Nerven und dürfte die "Tatort"-Gemeinde vermutlich wieder mal entzweien: In Bremen meuchelt eine junge Vampirin ihre Mitbürger. Weil Autor und Regisseur Philip Koch mit Hilfe von Musik, Soundeffekten und Bildgestaltung gekonnt alle Register des Horrorgenres zieht, wird er so manchem Zuschauer das Gruseln lehren; "Blut" erzählt eine dieser Geschichten, die anscheinend nichts anderes wollen, als die Angstlust zu bedienen.

Schon der Auftakt entspricht dem typischen Muster moderner Horrorfilme: Drei Freundinnen schauen sich nachts einen Thriller an, nehmen die Darbietungen aber nicht ernst ("kranker Scheiß"). Dann geht die Gastgeberin in die Küche, um frisches Popcorn zu machen, und prompt vermittelt die dräuende Musik wachsendes Unbehagen. Geschickt baut Koch die Spannung auf, zögert den Höhepunkt jedoch hinaus; die junge Frau findet ihre Freundinnen nicht wie erwartet tot im Wohnzimmer vor. Das Grauen schlägt erst zu, als sich zwei der drei verabschieden und getrennt nach Hause gehen. Am nächsten Tag wird die eine mit zerfetzter Kehle im Park gefunden; die andere ist spurlos verschwunden.

Gerade für Horrorfans liegt der Reiz des Films im Spiel mit dem Genre. Während sich Hauptkommissarin Lürsen (Sabine Postel) nicht von ihrer Überzeugung abbringen lässt, dass Vampire nicht existieren, ist sich Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) da nicht so sicher; erst recht, als ihn die Vampirin (Lilith Stangenberg) gebissen hat. Sie will ihn zu ihrem Gefährten machen, und alsbald weist der Kommissar all’ jene Symptome auf, die ein Professor in einem Buch über die Geschöpfe der Nacht beschrieben hat. Dass der Mann selbst etwas unheimlich wirkt und flüchtige Ähnlichkeit mit Dracula-Darsteller Christopher Lee hat, gehört zu den kleinen Freuden, die Koch und Koautor Holger  Joos den Freunden des Genres bereiten. Sie verzichten zwar auf ohnehin antiquiert anmutende Details wie Knoblauch oder Kruzifixe, aber ihre Blutsaugerin trägt durchaus Verbrennungen davon, wenn das Sonnenlicht sie berührt. Stedefreunds im Fieberwahn erlebter vermeintlicher Transformationsprozess äußert sich in zunehmenden Unschärfen; selbst sein Spiegelbild scheint zu verschwinden. Kenner des Vampirmythos wissen: Letztlich hilft dem Kommissar gegen den Spuk nur ein angespitzter Holzpflock im Herz des Verursachers.

Gekonnt inszeniert sind auch Stedefreunds Alpträume; den blutrünstigen Visionen seines Wahns fällt nicht nur der Rechtsmediziner (Matthias Brenner), sondern auch die Kollegin zum Opfer. Gerade in diesen Momenten zeigt sich, dass „Blut“ bestes Handwerk ist, denn um mit den Konventionen des Genres zu spielen, muss man es perfekt beherrschen. Der Bildgestaltung ist außerdem anzusehen, dass der Regisseur und sein Kameramann Jonas Schmager nie die erstbeste Einstellung gewählt haben, wenn sich auch ungewöhnlichen Perspektiven finden ließen; die suggestive Kameraführung sorgt gerade in den Nachtszenen für eine Atmosphäre permanenter Bedrohung. Dass Dunkelheit und Zwielicht ohnehin eine nicht unerhebliche Rolle spielen, versteht sich von selbst.

Koch setzt mit "Blut" seine vorzügliche Filmografie fort. Seit seinem Debüt, dem grausamen Gefängnisfilm "Picco" (2011), hat er ausschließlich sehenswerte und vor allem völlig unterschiedliche Arbeiten abgeliefert. "Im toten Winkel" (2018), ebenfalls aus Bremen, war ein unangenehm realitätsnaher und sehr bedrückender "Tatort" über alte Menschen, die sich das Leben nicht länger leisten können; der spritzige Krimi "Hardcore" (2017), ein "Tatort" aus München, spielte im Porno-Milieu. Ebenfalls aus München stammte "Der Tod ist unser ganzes Leben" (2017), ein düsterer und gleichfalls von Schmager vorzüglich fotografierter Film über die verschiedenen Gesichter der Wahrheit. Nicht minder sehenswert war zudem die im Sommer vom ZDF ausgestrahlte grimmige Kinosatire "Outside the Box" (2016) über ein Wochenend-Seminar für junge Unternehmensberater, das komplett aus dem Ruder läuft.

"Blut" bleibt diesem hohen Niveau treu, selbst wenn es mitunter den Anschein hat, als passe die Geschichte so wenig zu einem "Tatort" aus Bremen wie Sabine Postel ins Horrorgenre; Oliver Mommsen hat dank Stedefreunds Reise durch seine seelischen Abgründe ohnehin die deutlich reizvollere Rolle. Aber auch diesen Einwand kontert Koch mit einem ebenso cleveren wie tragischen Twist am Ende, als sich zeigt, dass die Geschichte die ganze Zeit ein Krimi war. Dass sein Film eine raffinierte Täuschung sein könnte, deuten bereits die ersten Bilder an: Sie stammen aus dem Thriller, den sich die drei Freundinnen anschauen.