TV-Tipp: "Babylon Berlin" (ARD)

TV-Tipp: "Babylon Berlin" (ARD)
30.9., ARD, 20.15 Uhr: "Babylon Berlin"
Als der Bezahlsender Sky im Herbst 2017 die gemeinsam mit der ARD produzierte Serie "Babylon Berlin" ausgestrahlt hat, war die Begeisterung grenzenlos. Der Preisregen zu Beginn dieses Jahres mit vier Deutschen Fernsehpreisen und der Rekordzahl von 14 Grimme-Preisen war ein weiteres Signal: Hier freute sich eine ganze Branche.

Viel zu lange hatte das deutsche Fernsehen den internationalen Serientrend verschlafen. Es gab ein paar positive Ausreißer wie etwa "Weissensee", aber während Streamingdienste wie Amazon und Netflix ein vor allem junges Publikum zum nächtelangen Dauerglotzen verführte, hielten ARD und ZDF immer noch an ihren verstaubten Konzepten fest. Nun kommt "Babylon Berlin", längst in hundert Länder verkauft, endlich ins "Erste". Wie prestigeträchtig das Projekt ist, zeigt schon allein der Sendeplatz: Die ARD stellt die Serie mitten ins Schaufenster; mit "Tatort" und "Anne Will" müssen gleich zwei als unantastbar geltende Größen weichen. Das ist durchaus mutig, denn wer nicht weiß, was ihn erwartet, weil er mit dem üblichen Sonntagskrimi rechnet, wird sich wundern: "Babylon Berlin" ist zwar im Grunde ein Krimi, aber eben auch ein zwölf Stunden langer Spielfilm in 16 Teilen, der sich für seine Geschichte ähnlich viel Zeit nimmt wie skandinavische Serien. Immerhin sind die ersten Folgen geradezu lustvoll verrätselt; das sollte die Krimifreunde freuen. Der Anspruch sprengt allerdings alle Fernsehgewohnheiten, und auch deshalb ist die Entscheidung der ARD respektabel. Andererseits hätte sie sich nicht nur angesichts der vielen Auszeichnungen, sondern auch wegen des enormen Aufwands gar nichts anderes leisten können: Mit einem Budget von 40 Millionen Euro ist "Babylon Berlin" die teuerste Produktion, die je fürs deutsche Fernsehen entstanden ist.

Abgesehen davon entwickelt die Serie dank der großen Kinomusik (Johnny Klimek und Tom Tykwer) sowie einer formidablen Bildgestaltung (Frank Griebe, Bernd Fischer, Philipp Haberlandt) eine Faszination, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Das von den drei Regisseuren Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries gemeinsam geschriebene Drehbuch basiert auf dem Roman "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher, dem Auftakt zu einem bislang achtteiligen Zyklus über den Kölner Kriminalkommissar Gereon Rath, der im Berlin der späten Zwanzigerjahre ermittelt. Sein erster Fall trägt sich im Frühjahr 1929 zu und hat einen pikanten Hintergrund: Er ist auf der Suche nach einem "unappetitlichen" Film, bei dem der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer eine eher unrühmliche Rolle gespielt hat. Die Geschichte ist zwar weit mehr als nur ein Vorwand, um das rauschende Leben der Goldenen Zwanziger zu erzählen, dessen Ende 1929 längst in Sicht war, aber die Zeitläufte spielen natürlich eine große Rolle. Weil die Serie auch die ökonomischen und politischen Schattenseiten jener Jahre betont, machen gerade die Kontraste den Reiz der Erzählung aus: hier der Tanz auf dem Vulkan, dort die unbeschreibliche Armut der Menschen als Vorbote der Weltwirtschaftskrise sowie die Bedrohungen von links und rechts für die noch junge Weimarer Republik. Und mittendrin ein Polizist (Volker Bruch) aus dem Sittendezernat, der allen Intrigen und Komplotten zum Trotz versucht, ein guter Mensch zu bleiben. Wie alle anderen Figuren hütet auch Rath ein Geheimnis: Seit dem Krieg ist er ein "Zitterer" und somit für den Polizeidienst eigentlich nicht mehr tauglich. Parallel zur Suche nach dem Film, die Rath in die Untiefen der Berliner Unterwelt führt, erzählt die Serie die Geschichte von trotzkistischen Revolutionären, denen ein spektakulärer Coup gelingt.

Neben den Schauwerten und der faszinierenden Handlung imponiert die Serie durch eine Besetzung, die in der deutschen Fernsehgeschichte ihresgleichen sucht. Es gibt vier Dutzend Sprechrollen, die fast ausnahmslos namhaft besetzt sind. Herausragend neben Bruch sind dabei Peter Kurth als Oberkommissar Wolter, der den Kollegen unter seine Fittiche nimmt und ihm seine eigenen Methoden der Verbrechensbekämpfung beibringt, sowie Liv Lisa Fries als Stenotypistin in der Mordinspektion. Die hübsche junge Frau ist arm, aber sexy, außerdem ziemlich klug und wird sich nicht nur in beruflicher Hinsicht als unverzichtbar für Rath erweisen. In weiteren Rollen wirken unter anderem Matthias Brandt als Chef der Politischen Polizei, Mišel Matičević als König der Unterwelt sowie Lars Eidinger als Industriellensohn mit, außerdem Hannah Herzsprung, Ernst Stötzner, Thomas Thieme, Benno Fürmann und, Udo Samel. Sehr speziell sind auch die Auftritte der Litauerin Severija Janušauskaitė als Königin der Nacht; ihr Lied "Zu Asche, zu Staub" ist ein echter Ohrwurm.

Die ARD zeigt heute drei Episoden am Stück, die weiteren Teile folgen donnerstags um 20.15 Uhr. Womöglich ist man der Meinung, für den gewohnten Serienplatz am Dienstag sei "Babylon Berlin" zu anspruchsvoll. Im Vergleich zu leichter Ware wie "Familie Dr. Kleist" oder "Um Himmels Willen" ist das sicher richtig; aber "Weissensee" hat dort auch funktioniert. Im Anschluss (22.30 Uhr) folgt die Dokumentation "1929: Das Jahr Babylon". Kiepenheuer & Witsch hat Kutschers Buch pünktlich zur ARD-Ausstrahlung neu aufgelegt und um Fotos aus der Serie, Hintergrundinformationen zur Verfilmung und einem Interview mit dem Autor ergänzt (566 Seiten, 12 Euro). Nicht minder reizvoll ist die bereits vor zwei Jahren im Carlsen erschienene Comic-Adaption von Arne Jysch ("Der nasse Fisch", 216, Seiten, 17,99 Euro). Die Graphic Novel erscheint ebenfalls in einer erweiterten Ausgabe: In einem ausführlichen Interview beschreibt der Zeichner die Zusammenarbeit mit Kutscher.