Verbände kritisieren wachsende Armut in Deutschland

Portemonaie mit 9,19 Euro
Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Portemonaie mit 9,19 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn wird zum 1. Januar 2019 auf 9,19 Euro pro Stunde angehoben.
Verbände kritisieren wachsende Armut in Deutschland
Armut trotz Arbeit - nach Ansicht von Wohlfahrtsverbänden verstößt Deutschland damit gegen grundlegende Menschenrechte. In der kommenden Woche muss sich die Bundesregierung gegenüber den Vereinten Nationen verantworten.

Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften haben der Bundesregierung vorgeworfen, zu wenig gegen die wachsende Armut im Land zu tun. So sei Armut selbst für viele Menschen in Beschäftigung bittere Realität, obwohl Wirtschaft und Arbeitsmarkt boomen, sagte die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschen, am Freitag in Berlin.

Schlechte Umsetzung sozialer Menschenrechte in Deutschland

Das Forum Menschenrechte, ein Netzwerk von 50 Nichtregierungsorganisationen, kritisierte eine unzureichende Umsetzung sozialer Menschenrechte in Deutschland. Dazu gehörten etwa der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die fehlende Einbindung Behinderter in den Arbeitsmarkt und eine unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen.

Hintergrund ist eine für Dienstag in Genf angesetzte Anhörung der Bundesregierung vor dem Sozialausschuss der Vereinten Nationen (UN) im Rahmen des regelmäßigen Staatenberichtsverfahrens. Dabei soll überprüft werden, inwieweit Deutschland den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den UN-Sozialpakt, umsetzt. Ergänzend zum Staatenbericht der Bundesregierung haben dazu unter anderem die Nationale Armutskonferenz als Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Betroffeneninitiativen sowie das Forum Menschenrechte "Parallelberichte" vorgelegt.

Politik und Gerichte unzureichend informiert

Sie sollen zeigen, "welche gravierenden Umsetzungslücken in Deutschland existieren", sagte der Erlanger Politikwissenschaftler Michael Krennerich vom Forum Menschenrechte. Krennerich forderte die Bundesregierung auf, künftig auch ein individuelles Beschwerdeverfahren vor dem Sozialausschuss zuzulassen. Dazu müsste Deutschland wie bei anderen Menschenrechtsabkommen auch ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt ratifizieren. Er kritisierte auch, dass hierzulande Politik und Gerichte nur wenig mit der Auslegung sozialer Menschenrechte vertraut seien.

Eschen betonte, prekäre Beschäftigung schaffe Unsicherheit, führe in Altersarmut und behindere die Lebensplanung. Die sogenannte Erwerbsarmut habe sich zwischen 2004 und 2014 verdoppelt. Der Anteil der "working poor" an allen Erwerbstätigen stieg demnach von 4,8 Prozent auf 9,6 Prozent, sagte Eschen, die auch Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist.

Erhöhung des Mindestlohns und Regelsätze für die Grundsicherung

Sie sprach sich unter anderem für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und der Regelsätze für die Grundsicherung aus. Sanktionen bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende seien dagegen problematisch. "Das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard darf nicht vom Verhalten abhängig gemacht werden", unterstrich die Diakonie-Chefin. Eschen kritisierte auch die gekürzten Leistungen für Asylbewerber und den Ausschluss von EU-Bürgern von existenzsichernden Leistungen.

Das Forum Menschenrechte sprach sich für ein Gesetz zur menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung aus. Hintergrund sind Aktivitäten von deutschen Unternehmen oder deren Tochterunternehmen im Ausland, die zu Menschenrechtsverletzungen führen. Als Beispiel wurde etwa auf die Vertreibung von Kleinbauern und indigenen Gemeinschaften im Zusammenhang mit illegalen Landverkäufen an Agrarkonzerne in Brasilien und auf den Export hochgefährlicher Pflanzenschutzmittel ins Ausland verwiesen.



Mit der Außenwirtschaftsförderung hätte die Bundesregierung einen "enormen Hebel", Unternehmen zu verpflichten, ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu beachten, sagte Maren Leifker vom Forum Menschenrechte.