Die Verifizierung der Welt

Mitarbeiter von Amnesty International verwenden viel Zeit darauf, Falschnachrichten, die bewusst verbreitet werden zu verifizieren..
Foto: Unsplash/Daniel Fazio
Bei "Amnesty International" gehören Laptop, Handy und Schreibzeug dazu, wenn kritische Faktenchecks und Verifizierungs-Recherchen gemacht werden.
Die Verifizierung der Welt
Immer mehr Machthaber bezeichnen unliebsame Informationen als "Fake News". Andere verbreiten bewusst Fehlinformationen. Dagegen setzt Amnesty International auf kritische Faktenchecks und verifizierbare Recherchen. Ein Gastbeitrag von Tirana Hassan, Leiterin des Amnesty-Krisenredaktionsteams.

Die rasante Entwicklung des Internets macht vor Menschenrechtlern nicht Halt. Fotos und Videos aus sozialen Netzwerken und Chat-Apps haben viele Amnesty-Berichte der vergangenen Jahre überhaupt erst möglich gemacht. Sei es über die verbrannten Dörfer der Rohingya in Myanmar, über die völkerrechtswidrige Belagerung ganzer Städte in Syrien oder über die Drangsalierung von Geflüchteten auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus. Weil billige Handys mit hochauflösenden Kameras überall erhältlich sind, können Menschenrechtsverletzungen fast überall dokumentiert werden – von fast jedem.

Amnesty kann Betroffenen aber nur dann wirklich Gehör verschaffen, wenn die gesammelten Informationen stimmen. Deshalb verwenden unsere Mitarbeiter viel Zeit darauf, sie zu verifizieren. Denn nur selten sind die Mitglieder unseres Krisenteams genau dann vor Ort, wenn Menschenrechte verletzt werden. Meist lässt sich erst im Nachhinein überprüfen, ob bestimmte Vorgänge sich tatsächlich so abgespielt haben, wie zum Beispiel von Journalisten berichtet. Um das sicherzustellen, sind unsere Mitarbeiter in den Techniken des Verifizierens geschult.

Falschnachrichten oder Fehlinformation

Das ist auch deshalb so wichtig, weil immer mehr Machthaber Informationen als "Fake News" abtun, nur weil sie mit der Verbreitung bestimmter Fakten nicht einverstanden sind. Syriens Präsident Baschar al-Assad etwa bezeichnete den Amnesty-Bericht über Tausende Exekutionen im Saydnaya-Gefängnis 2017 als "Fake News".

Wir sollten nicht in die Falle tappen, diesen Begriff ebenfalls zu verwenden, denn er unterstellt, dass Menschen lügen, um ­andere absichtlich in die Irre zu führen. Gerade weil der Begriff "Fake News" so einprägsam ist, übernimmt man ihn schnell. Doch indem wir ihn benutzen, spielen wir denen in die Hände, die Fakten verfälschen wollen. Anders sieht es bei Desinformation aus – dabei handelt es sich um Falschnachrichten, die bewusst verbreitet werden.

Forscher der Harvard-Universität sprechen deshalb auch von Fehlinformationen statt von "Fake News". Begriffe bewusst zu setzen, hilft, um denen entgegenzutreten, die die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen diskreditieren wollen. Oft ist den Nutzern von Facebook, Twitter oder anderen sozialen Medien gar nicht bewusst, dass sie "Fake News" teilen. Umso wichtiger ist die Differenzierung.

Zumal die Entwickung im digitalen Raum weiter rasant fortschreitet. So ist es zum Beispiel längst möglich, in Videos Gesichter von Personen einzufügen, die überhaupt nicht vor Ort waren. Die Qualität nachträglich bearbeiteter Videos – auch als "Deep Fake" bekannt – wird immer besser. Mit einem Mausklick lässt sich eine Aufnahme von Winter- auf Sommerwetter umstellen.

Was bedeutet das für die Welt, wenn solche Videos alltäglich werden? Wozu könnten sie genutzt werden? Zur Panikmache vielleicht? In einer Welt im Umbruch, in der es viele potenzielle Wohlstandsverlierer gibt, eignen sich manipulierte Videos sehr gut dazu, deren Ängste zu instrumentalisieren.

Autoritäre Politiker und Bewegungen lieben "Fake News". Dagegen setzen Menschenrechtler die digitalen Entwicklungen bewusst ein, um eine zunehmend vergiftete Atmosphäre sichtbar zu machen. Wir kämpfen weiterhin mit aller Kraft für eine Welt, in der sich jeder auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte berufen kann, ohne Gefahr für Leib und Leben ­befürchten zu müssen. Dabei können leider auch Fehler pas­sieren – deshalb ist es für unsere Arbeit so wichtig, ­alles zu ­verifizieren.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal im August 2018 im Amnesty Journal.