TV-Tipp: "Familie Lotzmann auf den Barrikaden" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Familie Lotzmann auf den Barrikaden" (ARD)
28.8., ARD, 22.45 Uhr
Mitunter sind die Wege der ARD-Programmplanung unergründlich: Dass das "Erste" diese kurzweilige Komödie an einem Dienstag um 22.45 Uhr zeigt, ist kaum nachzuvollziehen. Dieser Sendeplatz ist ein Abstellgleis für Fernsehfilme, die die Fernsehfilmkoordination der ARD nicht um 20.15 Uhr ausstrahlen möchte, weil sie mutmaßlich nur Minderheiten erreichen. Bei "Familie Lotzmann auf den Barrikaden" sind solche Bedenken jedoch völlig unangebracht. Der Film ist im Auftrag der im Wesentlichen für die Freitagsfilme zuständigen ARD-Tochter Degeto entstanden, und dort, auf den Freitag, gehört er auch hin.

Nach einem Drehbuch von Sönke Andresen erzählt der für Improvisationsarbeiten wie "Ich fühl mich Disco" oder "Alki Alki" vielfach ausgezeichnete Regisseur Axel Ranisch von einem äußerst turbulenten Tag im ansonsten sehr beschaulichen Leben der kleinbürgerlichen Titelfamilie: Mutter Annemarie (Gisela Schneeberger) ist sauer, weil dem Gatten (Jörg Gudzuhn) die Rettung des von der Schließung bedrohten Hallenbads wichtiger ist als ihr siebzigster Geburtstag, den er schlicht vergessen hat, weshalb sie ihm zwischendurch den gepackten Koffer vor die Tür stellt. Hubert hat allerdings ganz andere Sorgen: Als der Tag vorüber ist, hat er zwar einen turbulenten Skateboard-Ritt auf dem Staubsauger Marke Fuzzbuster (von den Lotzmanns so gesprochen, wie man’s liest) und einen Ausflug in die Müllpresse überlebt, gilt aber als islamistischer Terrorist.

Andresen hat für Ranisch auch die Vorlagen für zwei improvisierte "Tatort"-Episoden aus Ludwigshafen geliefert. "Babbeldasch" war jedoch ein völlig missglücktes Laienspiel, und auch bei "Waldlust" ist das Experiment nur halbwegs gelungen. Womöglich waren es diese Erfahrungen, die die ARD bewogen haben, "Familie Lotzmann" in die Nacht zu verschieben, schließlich sind Improvisationen nicht jedermanns Sache; das gilt für Schauspieler wie Zuschauer gleichermaßen. Die Komödie unterscheidet sich stilistisch allerdings kein bisschen von anderen Fernsehfilmen; falls die Mitwirkenden auch hier ohne vorgegebene Dialoge auskommen mussten, so ist ihnen das zumindest nicht anzumerken. Abgesehen davon orientiert sich Andresen geradezu vorbildlich am klassischen Komödienmotto "Kleine Ursache, große Wirkung". Der vergessene Geburtstag ist wie ein Steinchen, das am Ende zur ausgewachsenen Lawine wird, denn es folgt Missgeschick auf Missgeschick. Erstes Opfer ist der Wellensittich Herr Neumann: Die erzürnte Annemarie drückt ihrem Gatten den Staubsauger in die Hand, weil sie Gäste erwartet. Da Hubert auch den Käfig reinigen soll, kommt ihm der Staubsauger gerade recht. Die Begegnung von Vogel und Gerät aber tut beiden nicht gut, und auch Huberts Lebensglück droht, auf der Strecke zu bleiben, denn Annemarie setzt ihm ein Ultimatum: Um sechs gibt’s Abendessen, bis dahin ist der Staubsauger repariert, sonst kann er sehen, wo er bleibt. Für den braven Hubert beginnt nun das größte Abenteuer seines Lebens, während daheim Annemarie und ihre beiden älteren Schwestern Ingeborg und Margot (Sigrid Schnegelsiepen-Sengül, Grudrun Ritter) alte Rechnungen begleichen.

Schon allein die Verkettung lauter völlig absurder Umstände macht diese Komödie zu einem großen Vergnügen, zumal sämtliche Mitwirkenden mit großer Spielfreude dabei sind. Dank der ausnahmslos vorzüglichen Schauspieler werden aus den zunächst klischeehaft anmutenden Charakteren authentische Menschen, die auch in der Nachbarschaft wohnen könnten. Die schönsten Nebenrollen haben die barocke Sigrid Schnegelsiepen-Sengül als gern mal in Gesang ausbrechende Walküre mit Hang zum Drama und Ercan Durmaz als Achmed. Huberts Freund ist Bademeister und Mitstreiter in der Bürgerinitiative; der Eierlikör, den Ingeborg dem Abstinenzler einflößt, bricht seinen Widerstand gegen ihre Annährungsversuche.

Entscheidenden Anteil an den Verwicklungen hat Tochter Bille (Eva Löbau), eine radikale Kapitalismuskritikerin, die gegen die Neueröffnung eines Elektro-Discounters protestiert. Die Filiale ist die 10.000 ihrer Art, das soll entsprechend gefeiert werden. Selbst die Konzernchefin (Gayle Tufts) ist angereist, findet sich schließlich allerdings als Geisel wieder; und all’ das nur, weil Hubert den Regeln der Wegwerfgesellschaft trotzt und keinen neuen Staubsauger will, zumal Herr Neumann wider Erwarten überlebt hat und nun im Bauch des Geräts unverdrossen ein Geburtstagslied pfeift. Derweil mutiert Hubert zum Staatsfeind Nummer eins, zumindest für den Chef der örtlichen Polizei (Mišel Matičević), dabei hat Kassiererin Gabi (Christina Große) längst das Kommando übernommen. Und so wird aus der Komödie eine gerade gegen Ende mit grotesken Einfällen fast schon überfrachtete Familienfilmsatire, die immer wieder mit schönen Details überrascht, wenn beispielsweise ein Streicherensemble am Straßenrand die Filmmusik spielt. Für den versöhnlichen Ausklang sorgt Manfred Krugs Lied "Niemand liebt dich so wie ich".