TV-Tipp: "Die Hände meiner Mutter" (ZDF)

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TV-Tipp: "Die Hände meiner Mutter" (ZDF)
19.7., ZDF, 23.00 Uhr
Manchmal genügt ein harmloser Vorfall, um den Zugang zu verschütteten Erinnerungen freizulegen. Bei Markus ist es ein Kratzer an der Stirn seines Sohnes. Der Junge hat sich die Wunde zugezogen, als er während eines Familienfestes mit seiner Oma auf dem Klo war. Aus heiterem Himmel wird Markus von der Vergangenheit überwältigt: Plötzlich erinnert er sich daran, dass seine Mutter "so Sachen" mit ihm gemacht hat, als er klein war.

"Die Hände meiner Mutter" hat Florian Eichinger (Buch und Regie) sein Familiendrama genannt. Der Titel wirkt zunächst völlig unverfänglich. Viel später, als die Erinnerungen Markus längst überrollt und ihm komplett den Boden unter den Füßen weggezogen haben, vertraut er sich einem guten Freund an. Er erzählt, dass er als Kind missbraucht worden ist. Der Freund ist schockiert: Das hätte er Markus’ Vater nie zugetraut. Schon allein darin liegt daher ein Mehrwert des Films: Kaum jemand denkt bei Missbrauch an Frauen, weil die meisten Täter Väter, Onkel, Trainer oder andere Männer aus dem kindlichen Umfeld sind. Aber eben nicht alle; und deshalb ist der scheinbar harmlose Titel geradezu perfide.

Der mit dem Prädikat "Besonders wertvoll" bedachte Film ist als Koproduktion mit der ZDF-Redaktion "Das kleine Fernsehspiel" entstanden und wird im Rahmen der Reihe "Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten" ausgestrahlt. Während das ZDF die beiden bisherigen Beiträge, "Outside the Box" und "Die letzte Sau", durchaus auch auf seinem Fernsehfilmtermin montags um 20.15 Uhr hätte zeigen können, ist "Die Hände meiner Mutter" um 23 Uhr gut aufgehoben. Stilistisch orientiert sich die Inszenierung an der Machart der dänischen Dogma-Filme; tatsächlich hat eines der ersten und wichtigsten Dramen dieser Art, "Das Fest" (1998) von Thomas Vinterberg, eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Die Bildgestaltung (Timo Schwarz) ist naturalistisch, was die Optik ausgesprochen schmucklos und wenig "filmisch" wirken lässt. Die Kamera rührt sich kaum von der Stelle, Musik gibt es praktisch gar nicht, die Schauspieler sind mit Ausnahme von Jessica Schwarz (als Markus’ Ehefrau Monika) allenfalls gesichtsbekannt. Im Grunde gibt es nur zwei Einstellungen, die aus dem Rahmen fallen: Am Anfang zerschneidet das aus der Vogelperspektive gefilmte Boot, auf dem das Familienfest stattfindet, den Bildschirm vertikal von unten nach oben. Gegen Ende zitiert der Regisseur diesen Blickwinkel mit einer ähnlichen Draufsicht auf einen Gebäudekomplex, in dem der Schlussakt stattfinden wird.

All’ das spricht natürlich nicht gegen den Film, aber es trägt gemeinsam mit der Geschichte dazu bei, dass die 106 Minuten sehr freudlos sind. Gespielt ist das alles jedoch vorzüglich. Gerade Andreas Döhler verkörpert den Abgrund, der sich unversehens vor und in Markus auftut, ganz ausgezeichnet. Eine einfache, aber wirkungsvolle Idee verdeutlicht zusätzlich, wie sehr die kindliche Missbrauchserfahrung und das Leben des Erwachsenen miteinander verbunden sind: In den Rückblickszenen, als sich die Mutter mit Hilfe des Jungen selbstbefriedigt, wird der kleine Markus ebenfalls von Döhler verkörpert. Auf diese Weise hat Eichinger nicht nur das Problem gelöst, wie er solche Momente mit einem Kind drehen soll; durch Döhlers passende Körpersprache ergibt sich auch ein verblüffender und berührender Effekt, der allerdings fast ins Gegenteil umschlägt, wenn Markus mit einem scheinbar winzigen Ranzen in die Schule geht. Katrin Pollitt wiederum versieht die Mutter auch dank strenger Brille und Frisur mit einer eindimensional negativen Aura, die die Frau von Beginn an unsympathisch wirken lässt. Pollitt hat schon viele schmallippige Frauen verkörpert und darf zumindest im Film viel zu selten zeigen, dass sie solche Figuren durchaus mit Zwischentönen versehen kann. Mildernde Umstände gewährt Eichinger der Mutter nur indirekt, als Markus rausfindet, dass auch die Täterin einst Opfer war.

Nicht immer schlüssig ist zudem die Aufteilung in verschiedene Akte, die die Namen der handelnden Personen tragen. Schade auch, dass die Entwicklung der Hauptfigur bloß per Dialog vermittelt wird: Weil Monika irgendwann träumt, dass ihr Mann den kleinen Sohn anfasst, muss er ausziehen. Markus bekommt Angstzustände und wird von einer Depression erfasst, er vernachlässigt seine Arbeit und nimmt unbezahlten Urlaub, aber das wird alles nur erzählt. Die Sitzungen bei verschiedenen Therapeuten, allesamt eher abschreckende Gestalten, inszeniert Eichinger zudem auf eine Weise, als wolle er Betroffene davon abhalten, einen Psychologen aufzusuchen. Der Regisseur durfte sein Drama zwar auf einigen Festivals präsentieren, aber im Kino hatte der Film nur wenige tausend zahlende Besucher. Im Rahmen des Filmfests München sind Eichinger und Hauptdarsteller Andreas Döhler 2016 mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino geehrt worden.