"Ich habe eigene Methoden, Lügner zu überführen"

Arbeiten mit Behinderung: Pamela Pabst, 39, selbstständige Rechtsanwältin in Berlin ist blind
Foto: Insa Hagemann
Die Robe ist Pamela Pabsts Arbeitskleidung im Berliner Strafgericht.
"Ich habe eigene Methoden, Lügner zu überführen"
Pamela Pabst, 39, selbstständige Rechtsanwältin, Berlin, ist blind
Pamela Pabst ist von Geburt an blind und arbeitet als selbstständige Rechtsanwältin im größten Strafgericht Europas in Berlin-Moabit. An der Stimme anderer kann sie vieles ablesen und die Kraft liegt in ihren Worten.

Das Kriminalgericht Moabit mit seinen altehrwürdigen Hallen, den verschlungenen Gängen, den großen Gerichtssälen, in denen seit mehr als hundert Jahren Verbrechen verhandelt werden. Hier fühlt sich Pamela Pabst zu Hause. "Genau hier wollte ich immer sein, hier wollte ich immer arbeiten, in diesem Gebäude", sagt die Strafverteidigerin, die jetzt die Stufen des neobarocken Baus emporeilt. Sie will vor ihrer ersten Verhandlung am größten Strafgericht Europas noch einmal mit dem Mandanten sprechen, einem rechtsextremen Totschläger. Heute geht es darum, ob er frühzeitig entlassen wird.

Treppauf, treppab im größten Strafgericht Europas, in Berlin-Moabit.

Anwälte, die zum ersten Mal hier sind, verlaufen sich in diesem Labyrinth häufig. Pamela Pabst nicht. Sie kennt hier jeden Winkel, jeden Gerichtssaal, fast jeden Mitarbeiter. Seit 1995, seit sie bei dem Rechtsanwalt ihrer Eltern ein Praktikum gemacht hat, geht sie im Kriminalgericht ein und aus. Sie hat in ihrer Studienzeit sogar Führungen durch das Gebäude organisiert.

In der Paragraphen-Welt kennt sie sich aus

Der Anwalt ihrer Eltern war ihr Vorbild. "Ich wollte mich auch so eloquent ausdrücken können wie er", erinnert sie sich. "Ich wurde dann Dauerpraktikantin bei dem Anwalt", erzählt Pabst. Auch nach Unterrichtsschluss ist sie ständig im Gericht. Hört bei Verhandlungen zu. Sie entdeckt, welche Kraft die Sprache entfalten kann. Wer sie gekonnt einsetzt, der beeinflusst das Leben von Menschen, erwirkt vor Gericht ihren Freispruch.

Das beeindruckt sie umso mehr, da Äußerlichkeiten in ihrer Welt keine Rolle spielen. Pamela Pabst ist blind. Von Geburt an. Neben dem Kriminalgericht hat sie noch einen weiteren Rückzugsort: Pamela Pabst ist 39 Jahre alt, aber sie wohnt noch bei ihren Eltern in Britz, im Berliner Süden. Wenn sie morgens das Haus verlässt, reicht ihr Vater ihr den Mantel und den Blindenstock. In der komplizierten Welt der Paragraphen kennt sie sich perfekt aus, nur in den banalen Dingen im Alltag braucht sie manchmal noch Hilfe. Ihr Elternhaus ist ihr kleines Stück Sicherheit, ihr Ruhepol im großen lauten Berlin. Nebenan führt sie ihre Kanzlei zusammen mit ihrem Lebensgefährten. Ihr macht es nichts aus, dass sie von hier aus mit Bus und Bahn jeden Tag drei Mal umsteigen muss, wenn sie zum Gericht fährt. Eine Assistentin, bei der sie sich unterhaken kann, begleitet sie in der Regel auf dem Weg. Was würde Pamela Pabst nicht alles auf sich nehmen, um hierher zu gelangen? Heute grüßen sie die Pförtner mit Namen, auch die Sicherheitsbeamten, alle kennen "Frau Pabst". Sie ist hier jemand.

Pamela Papst (links) auf dem Weg zur Arbeit mit ihrer Assistentin (rechts), die ihr beim Arbeitsweg hilft.

In der Schule wurde Pabst dagegen gehänselt, sie geht auf eine Regelschule. Weil sie wegen ihres Handicaps zusätzliche Einzelstunden erhält, glauben die Mitschüler, sie würde bevorzugt. "Einmal hat mir einer die Haare mit einem Feuerzeug angebrannt", erinnert sie sich. "Als ich 1999 mein Abi gemacht habe, wollten die nicht aufs Foto mit mir." Dieses Muster setzt sich fort. An der Uni sind ihre Kommilitonen zwar überzeugt von ihrer fachlichen Kompetenz. "Aber keiner von ihnen wollte mich nach dem Studium einstellen", erzählt Pabst. "Sie konnten sich nicht vorstellen, dass eine blinde Anwältin den gleichen Job machen kann wie sie." Schließlich macht Pabst sich im Jahr 2007 selbstständig.

"Ich wollte auch am Gericht arbeiten, weil ich dachte, dass die Angeklagten auch keiner mag. Trotzdem müssen sie gerecht behandelt werden." Sie sehnt sich nach einer gerechten Welt, die sie am Gericht vermutet. Und hat sie sie dort gefunden? Nicht ganz. Ihr ursprünglicher Wunsch, Strafrichterin zu werden, wird Pabst verwehrt. Strafrichter dürfen laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht blind sein. "Ich finde das eine Riesensauerei", sagt Pabst. "Viele Sehende denken häufig: 'Oh, wie furchtbar das sein muss, blind zu sein.' Aber das ist es nicht. Ich habe meine eigenen Methoden, Lügner zu überführen", erklärt sie. "An der Stimme zum Beispiel kann man sehr vieles ablesen." Bilder, die im Prozess als Beweismittel dienen, lässt sie sich als Anwältin von einer Assistentin beschreiben, die sie jeden Tag ins Gericht begleitet. Wieso sollte das nicht als Strafrichterin möglich sein?

Zwar hätte Pabst Zivilrichterin werden können. "Aber das wäre mir zu langweilig", so die 39-Jährige. Das Verbrechen, es ist für sie ein essenzieller Teil ihres Lebens. "Ich hatte schon immer ein Faible für Krimis." Als Kind wünschte sie sich, dass ihre Eltern, beide Schauwerbegestalter bei der Polizei arbeiteten. "Ich wäre auch selbst gerne Polizistin geworden, aber da wäre ich als Blinde als dienstuntauglich eingestuft worden." Aber jetzt verteidigt sie doch die Verbrecher, die sie ursprünglich als Polizistin jagen oder als Richterin verurteilen wollte? Darunter Vergewaltiger, Mörder und Neonazis. Wie rechtfertigt sie das? "Meine Aufgabe ist es ja nicht, meine Mandanten ihrer gerechten Strafe zu entziehen", sagt Pabst, "sondern wenn sie unschuldig sind, dafür zu sorgen, dass sie nicht verurteilt werden. Oder wenn sie bestraft werden, dafür zu sorgen, dass alle Aspekte berücksichtigt werden."

Zusammen mit einer Kollegin bei der Arbeit.

Pabst ist jetzt bei dem Gerichtssaal angelangt, in dem entschieden werden soll, ob der rechtsextreme Totschläger früher aus der Haft entlassen wird. "Das hat kaum Aussichten auf Erfolg", sagt Pabst. "Das habe ich meinem Mandanten auch gesagt." Der Richter befragt den kahlrasierten Mann, warum er sich nicht in eine Therapie begeben habe, warum er immer noch trinke und warum er sich nicht von seinem rechtsextremen Gedankengut distanziere. Der Mann antwortet, aber der Richter versteht ihn kaum. Er nuschelt und berlinert zu sehr. Immer wieder fragt er nach. Pabst muss für den Richter übersetzen, erklären, was ihr Mandant meint. Der Richter lehnt den Antrag auf frühzeitige Haftentlassung ab. Der Verurteilte muss noch rund zehn Monate im Gefängnis bleiben. Der Mann bleibt ruhig und lässt sich von den Beamten abführen. Pabst hatte ihn gut auf die Entscheidung vorbereitet.

400 Fälle bearbeitet sie im Jahr

Für die 39-Jährige geht es jetzt direkt weiter zur nächsten Verhandlung. Diese enge Taktung ist für Pamela Pabst kein Problem. Sie ist im Leben gerne schnell unterwegs. Während des Jurastudiums hilft ihr eine Assistentin, die ihr die Gesetzestexte vorliest. Trotz ihres Handicaps studiert Pabst zügig, schafft das gefürchtete Examen sehr schnell. 2004 absolviert sie ihr erstes Staatsexamen, 2006 ihr zweites. Als sie sich 2007 selbstständig macht, hat sie anfangs 62 Fälle pro Jahr, heute sind es 400. Drei Viertel entfallen auf das Strafrecht, ein Viertel auf das Zivilrecht. "Ich fahre höchstens drei Tage pro Jahr in den Urlaub. Dann am liebsten nach Bayern", sagt sie und ist schon in den nächsten Gerichtssaal gehuscht.

Hier trifft sie einen alten Bekannten wieder. Sie wird Carsten Schulte (Name geändert) vertreten, einen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilten Mörder, einen "LLer", wie man ihn im Gefängnis nennt. Seit 1999 sitzt Schulte in Haft. Es hat in der JVA Tegel eine Schlägerei gegeben, Schulte ist dazwischen gegangen und ist jetzt wegen versuchter Körperverletzung angeklagt. "Er ist mein erster Knacki", sagt Pabst scherzhaft über Schulte, der jetzt von zwei Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt wird.

Autor:in
Rebecca Erken
Rebecca Erken

Rebecca Erken arbeitet als freie Journalistin in Düsseldorf

"Lass dich ma drücken, meene Kleene", sagt Schulte, ein großer, stämmiger Mann, und umarmt die zierliche Anwältin. "Ich kenne die Päm noch als Studentin", sagt Schulte stolz. Eigentlich dürfen Pabsts Klienten sie nicht duzen, aber bei Schulte macht sie eine Ausnahme. Zu Beginn ihres Studiums im Jahr 2000 lernt sie Schulte bei einem Besuch im Gefängnis kennen. Damals fragt sie ihn, ob er hin und wieder an seine Tat denke. "Natürlich tue ich das", habe Schulte geantwortet. "Sonst würde ich mir auch Sorgen machen. Denn das würde ja bedeuten, dass ich kein Mensch mehr bin, sondern ein Tier." Bei der jungen Studentin hat er damit einen bleibenden Eindruck hinterlassen. "Als ich ihm einmal gesagt habe, dass mich seine Worte ziemlich beeindruckt haben, hat er auf dem Boden seiner Zelle gesessen und vor Rührung geweint", sagt Pabst.

Doch der Weinende ist ein Mörder. Der Berliner DJ hatte 1999 nach einem Streit um Geld einen Bekannten erschossen. "Was genau vorgefallen ist, weiß ich gar nicht", sagt Pabst, "aber das ist für das jetzigen Verfahren auch unerheblich". Schultes Fall ist in dem Verfahren ein Nebenschauplatz. Dem Hauptangeklagten wird vorgeworfen, im Gefängnis gedealt zu haben. Die Schlägerei, in die Schulte sich einmischte, brach aus, nachdem der Hauptangeklagte von den Justizvollzugsbeamten mit dem Vorwurf der Dealerei konfrontiert wurde.

Ihre Plädoyers spricht sie frei

Während der Verhandlung verbarrikadieren sich die anderen Anwälte, der Staatsanwalt und die Richterin hinter Türmen von Gesetzen und Akten. Vor Pamela Pabst liegt nichts. Sie spricht immer vollkommen frei, auch wenn sie Plädoyers hält. Der anwesenden Rechtsreferendarin bleibt nach einer von Pabsts Ausführungen der Mund offen stehen. Während die Richterin versucht, auf einen Whatsapp-Chat im beschlagnahmten Handy des Hauptangeklagten zuzugreifen, reden Schulte und Pabst leise miteinander. Ihr Verhältnis ist ein Besonderes. "Wie jeht Dir denn, Päm?", fragt der 39-Jährige. "Mir fehlt das Musikmachen", gesteht der ehemalige DJ leise. Gegenüber "Päm" ist der stämmige Schulte mit der Totenkopf-Tätowierung im Nacken handzahm.

Am Computer hat sie spezielle Programme, die ihr helfen.

Doch als zwei Polizeibeamte ihn in einer Verhandlungspause in Handschellen nach draußen führen wollen, wird Schulte auf einmal ein anderer. Er baut sich vor ihnen auf und raunt einem der beiden Beamten zu: "Du kannst mal einen anderen Ton bei mir anschlagen". Schulte ist von einer Sekunde auf die andere aggressiv geworden, wo er doch eben noch so sanft wirkte.

Pabst verwundert das nicht. Dafür kennt sie ihn schon zu lange. "Einmal wollte er sich nicht vorführen lassen", erinnert sich Pabst an einen Tag mit Schulte. "Da war er psychisch total labil, hat um sich getreten und die Polizisten hatten schon Kampfmontur an, um ihn in den Gerichtssaal zu bringen." Doch bevor es hart auf hart kam, haben sie Pabst um Hilfe gebeten. Die zierliche Anwältin ging ohne jeglichen Schutz in Schultes Zelle und sprach beruhigend auf ihn ein. "Das bringt doch jetzt alles nichts", sagte sie. "Reiß Dich lieber zusammen. Willst Du, dass die Dich hier rauszerren?" Und Schulte? Der hörte auf Pabst. Und die Kraft ihrer Worte.