Abschlussbericht dokumentiert Gewalt in Korntaler Kinderheimen

Brüdergemeinde Korntal
Foto: Daniel Naupold/dpa/Daniel Naupold
Abschlussbericht dokumentiert Gewalt in Korntaler Kinderheimen
Brüdergemeinde Korntal bei Stuttgart bittet Betroffene um Vergebung
Brutale Schläge, Psychoterror, sexuelle Übergriffe - Straftaten dieser Art kamen in den drei Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde in Korntal bei Stuttgart und Wilhelmsdorf bei Ravensburg bis in die 1980er Jahre offenbar häufig vor.

Das zeigt der am Donnerstag in Stuttgart vorgelegte, mehr als 400 Seiten starke Abschlussbericht, den die Aufklärer Brigitte Baums-Stammberger und Benno Hafeneger vorgelegt haben. So habe ein langjähriger Hausmeister in Korntal mindestens 30 Kinder zu sexuellen Handlungen gezwungen. Die Brüdergemeinde bat die Opfer um Vergebung.

Die pensionierte Frankfurter Richterin Baums-Stammberger führte in den vergangenen 15 Monaten 115 Interviews mit ehemaligen Heimkindern über die Zeit zwischen 1949 bis in die 1980er Jahre. Davon sind 105 in den Abschlussbericht eingeflossen. 56 Befragte berichteten von sexualisierter Gewalt. Am schlimmsten hätten sich neben dem Hausmeister ein Stallmitarbeiter, ein Bäcker und ein Kinderarzt an den Schutzbefohlenen vergangen.

Richterin: Heime waren in nichts besser oder schlechter als andere

Von den Interviewten sagten 93, sie seien körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen. Ein langjähriger Korntaler Heimleiter habe das damals geltende Züchtigungsrecht sehr häufig überzogen. "Er suchte nach Gründen zum Schlagen und hat dann auch zugeschlagen", sagte Baums-Stammberger. Auch eine lange beschäftigte Erzieherin sei ein "sadistischer Typ" gewesen. Die Heime seien in nichts besser oder schlechter gewesen als andere Heime dieser Zeit, betonte die frühere Richterin. Einzelne Betroffene berichteten, dass sie vor oder nach ihrer Korntaler Zeit in anderen Heimen den "reinen Horror" erlebt hätten. Sexuelle Gewalt ist dem Bericht zufolge in Korntal nicht nur von Betreuern, sondern in erheblichem Ausmaß auch von anderen Heimkindern ausgegangen.

Der Marburger Erziehungswissenschaftler Hafeneger wies auf das negative Kinderbild der damaligen Zeit hin. Jungen und Mädchen seien in den Dokumenten oft als verwahrlost, renitent und sündhaft beschrieben worden. Mit Härte, Strenge und Gewalt habe man sie an Gesellschaft und Kirchengemeinde anpassen wollen.

Brüdergemeinde zahlt Anerkennungsleistung

Die Betroffenen haben von der Diakonie der Brüdergemeinde Korntal auf Antrag eine Anerkennungsleistung erhalten, die in der Regel 5.000 Euro und im Einzelfall bis zu 20.000 Euro beträgt. Laut Klaus Andersen, weltlicher Vorsteher der Gemeinde, wird die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Zahlung von Anerkennungsleistungen voraussichtlich mehr als eine Million Euro kosten.

Andersen sprach den Betroffenen das Bedauern über die Gewalterfahrung aus und bat im Namen der Brüdergemeinde um Vergebung. Noch bis Juni 2020 werde es die Möglichkeit geben, Anträge auf Anerkennungsleistungen zu stellen. Andersen dankte dem ehemaligen Heimkind Detlev Zander dafür, 2014 den Missbrauch öffentlich gemacht und damit den Stein ins Rollen gebracht zu haben. Zander sagte, er sei vom Umfang der Enthüllungen in dem Aufklärungsbericht "geschockt und noch mal gekränkt". Er fordert, Gewalttaten nach 1990 nun gesondert aufzuarbeiten. Außerdem solle die Evangelische Brüdergemeinde alle Ehrungen für Täter und Mitwisser zurücknehmen.

Unabhängige Aufarbeitung

Versöhnlich zeigte sich Zander gegenüber dem Brüdergemeinde-Vorsteher Andersen. Diesem habe er "immer abgenommen, dass er den Laden aufräumen wollte". Der nun vorliegende Aufklärungsbericht unter der Überschrift "Uns wurde die Würde genommen" mache deutlich: "Wir haben nicht gelogen." Verschiedene Mitglieder der Aufklärungsgruppe lobten die Unabhängigkeit der Aufarbeitung - die Brüdergemeinde habe keinerlei Einfluss genommen. Moderatorin Elisabeth Rohr sagte, die überwiegende Mehrheit der Betroffenen habe dem Aufklärungsverfahren und den Anerkennungsleistungen zugestimmt. Dennoch sei es nicht möglich gewesen, alle zu erreichen - "es bleibt ein nicht versöhnbarer Teil". Dieser bleibe eine Mahnung für die Zukunft.