TV-Tipp: "Tatort: Freies Land" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Freies Land" (ARD)
3.6., ARD, 20.15 Uhr
Es ist schon lange überfällig, dass sich auch der Fernsehfilm mit dem Phänomen der sogenannten Reichsbürger beschäftigt. Als der Bayerische Rundfunk vor zwei Jahren mit der Entwicklung dieses "Tatorts" begann, galten sie als versprengte Sonderlinge. Mittlerweile ist bekannt, dass es allein in Bayern und Nordrhein-Westfalen jeweils einige tausend gibt. Die "Tatort"-Redaktion wollte wissen, wie Menschen dazu kommen, die Bundesrepublik Deutschland als legitimes Staatengebilde zu hinterfragen und einen eigenen Staat gründen.

Holger Joos, der neben diversen Donna-Leon-Adaptionen und zwei Drehbüchern zur sehenswerten ARD-Reihe "Die Diplomatin" für die Münchener Kommissare auch den famosen Krimi "Der Tod ist unser ganzes Leben" (2017) geschrieben hat, sollte die psychologischen Hintergründe schildern, und schon tappt der Film in eine Falle, die immer lauert, wenn ein sperriges Thema populär als Sonntagskrimi verpackt wird: Die Mördersuche ist bloß ein Vorwand, um eine Geschichte zu erzählen, die als "Mittwochsfilm im Ersten" bedeutend weniger Zuschauer interessieren würde. Dazu passt auch die Wahl des Regisseurs: Der mehrfache Grimme-Preisträger Andreas Kleinert hat zwar diverse Male für "Tatort" und "Polizeiruf 110" gearbeitet, ist aber im Grunde eher ein Mann für Dramen.

Davon abgesehen fällt "Freies Land" schon deshalb aus dem Rahmen, weil Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) weit außerhalb ihres üblichen Jagdreviers ermitteln. Ein mit offenen Pulsadern in der Wanne seiner Mutter aufgefundener junger Mann war Mitglied einer Gruppe, die irgendwo im Hinterland in ihrem eigenen Staat "Freiland" lebt. Da die Beamten keine Tatwaffe entdecken, müssen sie von Mord ausgehen. Leitmayr überredet den Kollegen zur dreistündigen Fahrt ins Grenzgebiet zu Niederbayern, wo sie nicht weiter überraschend in einer anderen Zeit zu landen scheinen; einzig die Satellitenschüsseln an den heruntergekommenen Häusern verraten, dass sie sich immer noch im 21. Jahrhundert befinden. Wenn Stadtkommissare in der Provinz ermitteln, erleben sie immer erst mal eine Art negativen Kulturschock, und selbstredend kommen ihnen die Einheimischen wie Hinterwäldler vor. Das gilt auch für die Mehrzahl der Menschen, die sich um den vom unkooperativen Dorfpolizisten (Sigi Zimmerschied) bloß "König Ludwig" genannten Ludwig Schneider (Andreas Döhler) geschart haben: Bei den Mitgliedern, die der Film in den Vordergrund rückt, handelt es sich überwiegend um tumbe Toren, die den Ausstieg aus der Gesellschaft als Mischung aus Schullandheim und Wehrsportgruppe betrachten. Gerade psychologisch kommen die Charaktere viel zu kurz. Die Ausländerfeindlichkeit der Freiländer reduziert Joos auf die von Rassisten gern genutzte Metapher, eine Kuh bleibe eine Kuh, auch wenn sie im Pferdestall geboren sei. Selbst der durchaus charismatische Wortführer kriegt keine Tiefe. Schneider hat zwar mehrere Auftritte, bei denen er große Reden schwingt, aber offenbar wollten Buch und Regie auf jeden Fall vermeiden, dass er womöglich zur Identifikationsfigur wird. Umso seltsamer, dass Kleinert und sein Stammkameramann Johann Feindt das Abendessen der Aussteiger wie da Vincis berühmtes Gemälde "Das Abendmahl" gestaltet haben. Optisch ist der Film ohnehin ein Genuss; einige Bilder würden jeden Landschaftskalender schmücken.

Eine nicht unerhebliche Schwäche ist jedoch die Krimiebene, denn die spielt irgendwann überhaupt keine Rolle mehr, was auch damit zu tun hat, dass die Geschichte gar kein Krimi ist. Stattdessen gefällt sich "Freies Land" vor allem darin, sich am Entfremdungseffekt der beiden Städter zu weiden. Ihre Nahrung besteht im Wesentlichen aus gekochter Wurst aus einem Automaten, die Begegnungen mit den ablehnenden Einheimischen sind überwiegend unangenehm, und wenn sie auf Schneiders Schergen treffen, artet das regelmäßig in aggressive Wortgefechte aus, weil sich Leitmayr gern durch Beschimpfungen wie "Volksverbrecher" provozieren lässt; prompt kommt es zum Krach zwischen den Kommissaren. Die trocken humorvollen Dialoge des Duos sind allerdings prima, zumal der Film ohnehin immer wieder mal unverhofft witzig ist, wenn Kleinert beispielsweise die Begegnung Leitmayrs mit einer Kuh wie eine Westernszene inszeniert. Dazu passt auch das Finale, als ein Sondereinsatzkommando das Grundstück der Freiländer belagert. Spannend aber ist "Freies Land" zu keiner Zeit.