TV-Tipp: "Wolfsland: Der steinerne Gast" (ARD)

TV-Tipp: "Wolfsland: Der steinerne Gast" (ARD)
24.5., ARD, 20.15 Uhr: "Wolfsland: Der steinerne Gast"
Mit "der steinerne Gast" ist der ARD-Tochter Degeto ein richtig guter Krimi gelungen, meint unser TV-Kritiker Tilmann Gangloff.

Die erste Episode war durchwachsen, die zweite deutlich besser, aber mit "Der steinerne Gast" scheint sich "Wolfsland" endgültig als ernstzunehmende Ergänzung zu den Auslandskrimireihen der ARD-Tochter Degeto zu etablieren zu haben. Der Film ist ein richtig guter Krimi, bei dem alles zusammen passt: die Bildsprache zur Geschichte, die beiden gegensätzlichen Hauptfiguren zueinander, die horizontale Handlung zum konkreten Fall. Schon die Auftaktsequenz verdeutlicht, dass "Wolfsland" anders funktioniert als die Krimis aus Lissabon, Barcelona oder Bozen: Die fließenden Bewegungen einer subjektiven Kamera sorgen für einen unmittelbaren Sog. Die nächtliche Fahrt endet am Bett einer schlafenden Frau, die von einem Mann mit einem Messer bedroht wird; und dann erwacht Hauptkommissarin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) endlich aus ihrem Albtraum. Das gelblich-organgefarbene Licht der ersten Szene wird sie durch den Film verfolgen, und selbstredend wird der Albtraum am Ende Wirklichkeit.

Die zweite Ebene der clever konstruierten Geschichte von Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser, die bislang alle Drehbücher der Reihe geschrieben haben, beginnt mit einem Leichenfund. Mord verjährt zwar nicht, aber in diesem Fall wird der Täter nicht mehr zu fassen sein: Die Leiche unter den Dielen eines uralten Görlitzer Hauses ist mindestens 500 Jahre alt. Gleich daneben findet sich jedoch ein zweiter Körper, der noch nicht lange tot ist, und nun muss sich Delbrücks Kollege Butsch Schulz (Götz Schubert) eingestehen, dass er vor fünf Jahren einen großen Fehler gemacht hat. Damals ist beim Überfall auf ein Juweliergeschäft der Besitzer erschossen und seine Frau schwer verletzt worden. Schulz war überzeugt, die Täter stammten aus Russland, und als kurz drauf drei russische Gangster im benachbarten Polen bei einem Unfall starben, war der Fall für ihn erledigt; aber nun deutet viel darauf hin, dass die Raubmörder aus Görlitz waren und nach wie vor hier leben.

Neuwöhner und Poser offenbaren die Identität der beiden Verbrecher zwar recht früh, aber das nimmt dem Film nichts von seiner Spannung, im Gegenteil: Nun können die Autoren aus Sicht von Timo Klein (Jan Krauter), dem Kopf der Bande, schildern, wie es sich anfühlt, immer mehr in die Enge getrieben zu werden. Außerdem überrascht das Drehbuch mit einem kleinen Knüller, als sich rausstellt, welche Beziehung der Mann zum Juweliergeschäft hat. Die Krimiebene ist zudem geschickt mit der Vorgeschichte verknüpft, die dafür sorgt, dass Viola keine ruhige Minute hat: Ihr Mann Björn lässt nach wie vor nichts unversucht, um sich die Frau, die er für sein Eigentum hält, zurückzuholen. Johannes Zirner verkörpert den offenkundig gestörten Ex-Gatten zwar gelegentlich als typischen Film-Irren, dosiert das aber so sparsam, dass die Figur eine verstörende Faszination entwickelt. Spätestens zum Finale, als Björn seine Ex-Frau entführt und zu den Klängen von "Blue Velvet" aus dem gleichnamigen Film von David Lynch (1986) inmitten eines Kerzenmeers eine tödliche Hochzeit arrangiert, wird deutlich, welche Atmosphäre Buch und Regie vorschwebte. Regisseur Max Zähle hat bereits mit dem Kinodebüt "Schrotten!" (2016) sowie der "Nord bei Norwest"-Episode "Sandy" (2017) sein Talent bewiesen. Sein "Wolfsland"-Beitrag aber ist dank der Zusammenarbeit mit Frank Küpper, dem langjährigen Kameramann des verstorbenen Regisseurs Carlo Rola, auch optisch ein Erlebnis.

Ohnehin ist "Der steinerne Gast" – der Titel bezieht sich nicht auf die gleichnamige Oper, sondern auf eine Kneipe – im Unterschied zum zweiten "Wolfsland"-Film, der noch ein paar kleinere Unwuchten hatte, rundum gelungen. In "Tief im Wald" wirkte beispielsweise die bemüht drollige Figur von Kriminaltechniker Böhme (Jan Dose) noch wie ein Fremdkörper. Diesmal ist der Mann besser integriert. Dass er seine Kollegen mit der fixen Idee, den Mord an "Götzi" (Görlitzer Ötzi) in einen Zusammenhang mit einer ebenso alten Tuchmacherverschwörung im 16. Jahrhundert zu setzen, stets zu ungünstigen Zeitpunkten behelligt, sorgt ebenso für subtil komische Kontrapunkte wie die gelegentlich coolen Auftritte von Schulz. Ein weiteres Merkmal ist die verzögerte Preisgabe von Informationen, die immer wieder kleine Verblüffungen zur Folge hat. Das gilt nicht nur für inhaltliche Details, sondern auch für Zähles Inszenierung. Dieser lakonische Stil prägt unter anderem eine Szene, die verdeutlicht, wie gut Catterfeld und Schubert als Team funktionieren: Schulz, der die Kollegin vor dem Stalker beschützen will, ist in Björns Hotelzimmer eingedrungen und wird dort unentdeckt Zeuge, wie sie ihrem Ex handgreiflich klarmacht, dass er sie in Ruhe lassen soll. Anschließend trifft er Viola vor dem Aufzug. Es folgt ein Dialog, der kaum knapper ausfallen könnte, aber in Kombination mit den entsprechenden Blicken alles sagt: "Im Schrank?" "Unterm Bett." Beim ausführlichen Finale zieht Zähle dank Bildgestaltung, Musik (Andreas Weidinger) und entsprechenden Soundeffekten alle Thriller-Register, als in langer Parallelmontage während einer Gewitternacht drei Morde in die Wege geleitet werden: Klein, der sich schon seines Komplizen entledigt hat, muss eine letzte Zeugin beseitigen und hat keine Ahnung, dass ihm das gleiche Schicksal droht; und auch Björn will sein Werk vollenden. Geschickt schüren Neuwöhner und Poser die Vorfreude auf den nächsten Film mit einem cleveren Cliffhanger. Die Fortsetzung (31. Mai) nimmt diese Vorlage allerdings gar nicht auf und erzählt stattdessen eine Geschichte, die in keiner Weise aus dem Krimialltag herausragt.