TV-Tipp: "Blind ermittelt: Die toten Mädchen von Wien" (ARD)

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TV-Tipp: "Blind ermittelt: Die toten Mädchen von Wien" (ARD)
5.5., ARD, 20.15 Uhr
Spätestens seit Sherlock Holmes und Dr. Watson wissen Krimifreunde den Kontrast zu schätzen: hier der brillante Detektiv, dort sein bester Freund und Partner, der zwar kein Genie ist, aber dafür mit beiden Beinen im Leben steht. In "Die toten Mädchen von Wien", dem möglichen Auftakt zu einer neuen deutsch-österreichischen Krimireihe mit dem Titel "Blind ermittelt", sind es jedoch nicht die Beine, sondern die Augen, die den Unterschied machen.

Seit vor zwei Jahren eine Bombe sein Auto zerfetzt hat, ist der frühere Wiener Chefinspektor Alexander Haller (Philipp Hochmair) blind; bei dem Anschlag ist seine Freundin Kara ums Leben gekommen. Schon das erste Zusammentreffen mit dem Mann, der sein neuer Partner wird, ist bezeichnend für die zukünftige Beziehung des Duos: Haller lässt sich zu einer abgelegenen Wiese bringen, wo er sich erschießen will, was der Taxifahrer im letzten Moment verhindert. Nikolas Falk (Andreas Guenther) kommt aus Berlin und hat keine Wohnung mehr, weshalb er im Taxi zu nächtigen pflegt. Weil er deshalb seinen Job verliert, kommt ihm Hallers Angebot gerade recht: Er soll ihm nicht nur als Fahrer, sondern auch als Augenersatz dienen. Der Ex-Polizist schöpft neuen Lebensmut, als ihm klar wird, dass der Anschlag damals keineswegs ihm, sondern seiner Freundin galt. Kara war Staatsanwältin und einer brisanten Sache auf der Spur. Kurz zuvor waren die skelettierten Leichen mehrerer Teenager gefunden worden; offenbar hat der zuständige Polizist bei den Ermittlungen mutwillig geschlampt. Irgendjemand hat allerdings dafür gesorgt, dass Haller den Mann nicht mehr befragen kann. Als ein weiteres junges Mädchen vor den Augen des Duos entführt wird, verbeißen sich die ungleichen Partner endgültig in den Fall, ohne zu ahnen, dass die Auflösung sie mit den finstersten Abgründen menschlicher Grausamkeit konfrontieren wird.

Es gibt zwar diverse Leichen, aber trotzdem fällt "Die toten Mädchen von Wien" über weite Strecken hinsichtlich der Gewalttaten nicht weiter aus dem Rahmen; mit Ausnahme der ausgesprochen finsteren Auflösung. Das ist jedoch nicht der Grund, warum "Blind ermittelt" unbedingt fortgesetzt werden sollte. Schon allein das detektivische Duo ist sehenswert, und das nicht nur wegen der originellen Paarung. Auch die Wahl der Darsteller war klug: hier Hochmair als ziemlich cooler Ex-Polizist, der gemeinsam mit seiner Schwester (Patricia Aulitzky) ein nobles Hotel besitzt, in dem er auch lebt; dort Guenther als leutseliger Berliner mit kleinkrimineller Vergangenheit, der jede Frau anbaggert, die ihm über den Weg läuft, und der schließlich ungeahnten Mut offenbart. Für den am Bodensee aufgewachsenen gebürtigen Grazer ist das schon deshalb eine reizvolle Rolle, weil der Schauspieler im Krimi gern als Verdächtiger besetzt wird; selbst im "Polizeiruf" aus Rostock, wo er eigentlich zu den Guten gehört, wird er regelmäßig zum Gegenspieler.

Falk sorgt zudem mit seinen Sprüchen für eine gewisse Lockerheit, die einen angenehmen Gegensatz zum düsteren Fall bildet. Auch Haller krönt seine coolen Auftritte gern mit Humor in eigener Sache, der aber nie zynisch wirkt. Der Film ist trotzdem weit davon entfernt, komisch zu sein, auch wenn der Auftakt, als Haller seiner Freundin mit großer Geste und vielen Blütenblättern im Stil eines Antrags feierlich einen Schlüssel überreicht, genauso gut der Beginn einer Komödie sein könnte; bis die Explosion der Romantik abrupt ein Ende setzt. Später stellt sich raus, dass der Schlüssel zu einem Karmann Ghia gehört, in dem Falk seinen neuen Chef chauffieren darf. Kara-Darstellerin Anna Roth kann übrigens trotz des Ablebens ihrer Figur weiter mitwirken: In einer berührenden Szene bittet Haller seinen Partner, ihm die Tagebücher seiner Freundin vorzulesen; er hofft auf weitere Hinweise zu ihrem letzten Fall. Falk legt also los, aber dann übernimmt Kara.

"Die toten Mädchen von Wien" ist ohnehin immer wieder für Überraschungen gut. Haller hat zwar das Augenlicht verloren, weshalb ihn seine Gegenspieler stets unterschätzen, aber dafür seine anderen Sinne geschärft, allen voran das Gehör; auch das trägt dazu bei, dass die Geschichte (Drehbuch: Ralph Werner, Don Schubert) regelmäßige unerwartete Wendungen nimmt. So stellt sich zum Beispiel raus, dass der mutmaßliche Attentäter (Stipe Erceg) offenbar selbst in eine Falle gelockert worden ist; ihm verdankt Haller den Tipp, den alten Fall aufzurollen. Aber auch die Bildgestaltung verdeutlicht, dass Jano Ben Chaabane ein ganz besonderer Krimi vorschwebte. Dank kunstvoll arrangierter Einstellungen und eines speziellen Umgangs mit dem Licht ist der Krimi auch in ästhetischer Hinsicht ein ungewöhnlicher Film. Die Thriller-Musik ist ebenfalls vorzüglich. Der Regisseur hat früher für Comedy-Formate wie "Circus HalliGalli" gearbeitet und im letzten Jahr mit der Priesterkrimiserie "Culpa – Niemand ist ohne Schuld" (13th Street) ein beachtliches Fiction-Debüt hingelegt; dort waren Kameramann Tobias Koppe und Komponist Tim Schwerdter bereits beteiligt. Wenn der Auftakt beim Publikum gut ankommt, dürfen Haller und Falk hoffentlich weiter ermitteln.