TV-Tipp: "Südstadt" (ZDF)

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TV-Tipp: "Südstadt" (ZDF)
26.2., ZDF, 20.15 Uhr
Wer Köln kennt, weiß: Südstadt, das ist nicht nur bloß die Bezeichnung für ein Stadtviertel; Südstadt, oft genug von Wolfgang Niedecken besungen, ist ein Gefühl. Wenn Magnus Vattrodt (Buch) und Matti Geschonneck hier ihre jüngste Zusammenarbeit ansiedeln und den Film dann auch noch "Südstadt" nennen, ist das natürlich ein Signal.

Dass der Handlungsort nicht zufällig ausgewählt worden, zeigen schon die vielen heimeligen Kölnbilder, die an die tragikomische RTL-Serie "Der Lehrer" erinnern und wie dort als Kapiteltrenner fungieren; auch die zunächst noch leutselige Musik führt auf eine falsche Fährte. Die Geschichte selbst könnte zwar auch in Hamburg oder Berlin spielen, aber nach Köln passt sie irgendwie besser. Geschonneck und Vattrodt, für ihre Filme "Liebesjahre" (2011) und "Das Ende einer Nacht" (2012) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, erzählen von drei befreundeten Paaren, die alle im selben Haus wohnen. Ähnlich wie in ihrer gleichfalls gemeinsamen Arbeit "Ein großer Aufbruch" (2015, Deutscher Fernsehpreis für Vattrodt) entwickeln Autor und Regisseur die Handlung als Abrechnung mit Lebensmodellen, die neben der Unfähigkeit, offen und wahrhaft miteinander umzugehen, letztlich auf Lug und Trug basieren; und dabei vor allem auf Selbstbetrug.

Geschonneck nennt Geschichten dieser Art gern "Gegenwartsfilme"; im Filmschaffen der DDR markierte diese Genrebezeichnung den Unterschied zu historischen Stoffen. Aber der Begriff steht nicht nur für die Zeit, in der ein Stoff angesiedelt ist. "Gegenwart" heißt in diesem Fall auch, dass das Drehbuch von Vattrodt, der selbst in Köln wohnt, etwas darüber erzählt, was aus den Träumen der Menschen geworden ist; und natürlich über die Stadt und das Land, in dem sie leben. Schon deshalb hebt sich "Südstadt" wohltuend von all’ den Krimis ab, die ARD und ZDF permanent zeigen und die letztlich nur dem Zeitvertreib dienen. Dieser Film jedoch wirkt nach, weil viele Zuschauer sich selbst oder Freunde in den Figuren wiedererkennen werden, allen voran im Ehepaar Anne und Martin Lehmann (Anke Engelke, Matthias Matschke). Sie ist Pädagogin an einer Gesamtschule, er promovierter Soziologe, der nie das Biotop seiner Universität verlassen hat. Um sich nach zwanzig Ehejahren zu trennen, sagt Martins Vater Eberhard (Manfred Zapatka) mal, brauche man keine Gründe; Gründe brauche man nur, um weiter zusammenzubleiben. Seiner Schwiegertochter, die ein Verhältnis mit einem Kollegen (Pierre Besson) hat, muss er das nicht erzählen; ihr erster Auftritt zeigt sie bei einer Scheidungsanwältin. Im Rahmen eines Treffens, bei dem ihre Freundin Eva (Andrea Sawatzki), eine Notärztin, ihren neuen Lebensgefährten Thomas (Dominic Raacke) vorstellen will, offenbart Martin seiner verblüfften Frau, dass sein Unijob nicht verlängert worden ist; erst geraume Zeit später findet sie raus, dass das nur ein Bruchteil der Wahrheit ist. Dieses Schema zieht sich durch alle Erzählstränge: Auch Eva, die gehofft hatte, die Beziehung zu Thomas bestehe endlich mal nicht aus den Komponenten "Liebe, Wahnsinn, Drama" entdeckt, dass er sie in Bezug auf seine Trennung von Gattin Karen (Julia Stemberger) belogen hat. Beim dritten Paar, Saskia und Kai (Bettina Lamprecht, Alexander Hörbe), Eltern einer fünfjährigen Tochter, kommt es zum großen Krach, als sie wieder arbeiten will.

 

Aufgrund der sechs nahezu gleichwertigen Rollen hat Vattrodt die Geschichte fast zwangsläufig sehr episodisch strukturiert und in viele oft kurze Szenen zerlegt, was den Erzählrhythmus mitunter etwas kurzatmig wirken lässt; im Unterschied zu "Ein großer Aufbruch" oder Geschonnecks thematisch ebenfalls als Lebensresümee konzipiertem Film "Silberhochzeit" (2006) gehorcht die Handlung zudem nicht der klassischen Einheit von Ort und Zeit. Andererseits kann sich das vorzügliche Ensemble auf diese Weise erst richtig entfalten, weil der Film die handelnden Personen in ständig wechselnden Konstellationen zeigt. Nur deshalb kommen auch die verschiedenen Wahrheiten ans Licht. Während die anderen Filme auf ihre Weise tragikomisch waren, ist "Südstadt" ein Fest für Zyniker, zumal es stets dann, wenn sich die Figuren am Tiefpunkt wähnen, immer noch schlimmer kommt. Das emotionale Spektrum reicht vom bittersten Moment, als ein Kinderwunsch zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt geäußert wird, bis zu einer schmerzlich-schönen Trauerfeier, als Anne und ihr Chor zu Ehren des verstorbenen Chorleiters Eberhard den Bläck-Fööss-Gassenhauer "Drink doch eine met" singen. Gespielt ist das alles derart vorzüglich, dass übliche Prädikate beinahe unzureichend wirken; gleiches gilt für Vattrodts formidable Dialoge. Nicht nur das Ensemble, auch die jeweiligen Paare sind perfekt zusammengestellt, allen voran Anne und Martin; dank der langjährigen Zusammenarbeit von Engelke und Matschke bei "Ladykracher" wirkt die Vertrautheit zwischen den beiden besonders innig.