TV-Tipp: "Tatort: Déjà-vu" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Déjà-vu" (ARD)
28.1., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Déjà-vu"
Der MDR-"Tatort" aus Dresden hat in letzter Zeit mehr durch Schlagzeilen jenseits der Kameras als durch die Filme auf sich aufmerksam gemacht. Erst hat sich Miterfinder Ralf Husmann zurückgezogen, weil sich die Geschichten seinem Eindruck nach zu stark in Richtung konventioneller Krimis entwickelten, dann hat Hauptdarstellerin Alwara Höfels ihren Rücktritt erklärt: Sie vermisst den "künstlerischen Konsens". Den Filmen ist dieser Dissens allerdings nicht anzumerken, im Gegenteil; der Verzicht auf die komischen Elemente, für die Martin Brambach ohnehin weitgehend im Alleingang zuständig war, tut den Geschichten gut. Schon "Auge um Auge" war zuletzt eine sehenswerte Abrechnung mit dem finsteren Treiben mancher Versicherungsgesellschaften; Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel outete sich dabei recht unverblümt als Pegida-Sympathisant. Diesmal nimmt der Vorgesetzte der beiden Oberkommissarinnen Sieland und Gorniak (Höfels und Karin Hanczewski) eine völlig andere Rolle ein.

Zu Beginn gibt es eine kurze Szene, in der Brambach sein unverwechselbares komödiantisches Talent ausleben darf, als Schnabel beim Zweikampf mit einer Jalousie den Kürzeren zieht, aber dann wird es ernst: Am Elbufer wird der seit einigen Tagen vermisste kleine Rico tot in einer Reisetasche gefunden. Schnabel ist überzeugt, dass es Parallelen zu einem ganz ähnlichen früheren Fall gibt, der ihn bis heute verfolgt. Damals musste er auf Druck von oben die Akte schließen, weil keine Leiche gefunden wurde; das Kind sei in die Elbe gefallen und ertrunken, lautete die offizielle Version. Nun erwartet der Chef von seinen beiden Mitarbeiterinnen, dass sie jeden Stein umdrehen, und zwar dreimal, doch eine erste Spur ergibt sich erst, als sie einen Hinweis vom Schulamt erhalten. Vor einigen Jahren sei ein Referendar auffällig geworden – und nun wandelt sich der "Tatort" zu einem Lehrstück über Vorverurteilung: Micha Siebert (Niels Bruno Schmidt) hat den Schuldienst damals verlassen, ist der Schwimmtrainer des kleinen Rico und sogar mit den Eltern des Jungen befreundet. Weil der Vater einen anonymen Anruf bekommen hat, stürzt er sich wie von Sinnen auf Siebert; Sieland fällt dabei so unglücklich auf einen Stein, dass sie sich zwei Rippen bricht. Auch die Medien sind informiert worden; Siebert gilt nun als "Monster von der Elbe", sein Auto wird abgefackelt, er selbst später brutal zusammengeschlagen. Die Presse kommt ohnehin nicht gut weg, und Schnabel sammelt weitere Pluspunkte, als er einen besonders unsympathischen Vertreter des Boulevards als Schmierfinken bezeichnet. Siebert ist selbstverständlich unschuldig und auch nicht pädophil. Die Identität des wahren Täters gibt der Film recht früh preis; die Spannung resultiert vor allem aus der Frage, ob es den Ermittlerinnen gelingen wird, einen weiteren Mord zu verhindern, denn der Täter hat sich bereits ein neues Opfer ausgesucht. Am Ende ist es ein Zufall, der Sieland beim Aktenstudium, für das sie nun im Krankenhaus unfreiwillig viel Zeit hat, auf die richtige Spur bringt.

Das Drehbuch stammt von Mark Monheim, der 2014 mit seiner sehenswerten Tragikomödie "About a Girl" auf sich aufmerksam gemacht hat, sowie vom zweifachen Grimme-Preisträger Stephan Wagner ("Mord in Eberswalde", "Der Fall Jakob von Metzler"). Regie führte allerdings Dustin Loose, 2015 Gewinner des Studenten-"Oscars" für seinen Kurzfilm "Die Erledigung der Sache"; "Déjà-vu" ist sein erster Fernsehfilm. Die Inszenierung fällt zwar nicht aus dem Rahmen, aber ihr ist auch zu keinem Moment anzumerken, dass Loose ansonsten bislang nur mehrere Folgen für die ZDF-Serie "Notruf Hafenkante" gedreht hat. Gerade die Arbeit mit den Schauspielern ist dem jungen Regisseur ausgezeichnet gelungen; das gilt neben den prominenten Mitwirkenden wie Alice Dwyer vor allem für die unbekannten Schauspieler. Angemessen sensibel gehen Buch und Regie auch mit dem Schmerz der betroffenen Eltern um; in einer überaus berührenden Szene klagt der Vater (Jörg Witte) des vor drei Jahren verschwundenen Jungen, sein Kind sei "nur noch ein Bild an der Wand".

Für einen zusätzlichen Reizpunkt neben der durch die gute Musik (Dürbeck und Dohmen) noch zusätzlich betonten Anspannung, unter der die Polizei steht, sorgt eine brütende Hitze, die zur Folge hat, dass die Ermittler sehr dünnhäutig agieren. Einzig Sieland verbreitet dem tragischen Fall zum Trotz gute Laune; bis sie im Krankenhaus eine Neuigkeit erfährt, die ihr Leben vermutlich für immer ändern wird. Sollte dies schon ein Vorgeschmack auf Höfels’ Ausstieg sein, ist er geschickt eingefädelt. Auch sonst sind es nicht zuletzt die Details, die der Handlung Komplexität und Plausibilität verleihen. Eine Auseinandersetzung Gorniaks mit ihrem Sohn wegen eines Smartphones, das er von ihrem neuen Freund bekommen hat, wirkt zunächst wie ein überflüssiger Nebenschauplatz, entpuppt sich am Ende jedoch als entscheidender Faktor für die Lösung des alten Falls. Dass Buch und Regie angesichts der tragischen Geschichte auf Scherze verzichten, versteht sich von selbst, aber immerhin gibt es ein kleines akustisches Augenzwinkern: Eine der Polizistinnen hat als Klingelton die Titelmelodie aus der Serie "Der Tatortreiniger", was angesichts der Eifersüchteleien, die sich die ARD-Sender untereinander mitunter liefern, durchaus beachtlich ist, immerhin handelt es sich dabei um eine NDR-Serie. Deren Held hat als Klingelton übrigens die "Tatort"-Melodie.