Jude zu sein war normal

Historischer Stadtrundgang in Schwerin
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Eine besondere Stadtführung in Schwerin erinnert daran, dass Juden und Christen in Deutschland lange Zeit selbstverständlich zusammenlebten.
Stadtführung in Schwerin
Jude zu sein war normal
Dass Juden und Christen in Deutschland lange Zeit selbstverständlich zusammenlebten, ist fast in Vergessenheit geraten. Seit April ruft eine besondere Stadtführung in Schwerin das in Erinnerung.

Wenn Kerstin Eichhorst und Peter Scherrer vom Schweriner Marktplatz zum historischen Schlachtermarkt schlendern, sind sie nicht als Touristen unterwegs. Die Zwei wollen in den Straßen der Altstadt etwas Neues entdecken. Oder besser gesagt, etwas Altes. Die beiden Stadtführer sind auf den Spuren der jüdischen Geschichte in Schwerin. Seit Kurzem bieten sie dazu einen Rundgang an.

"Juden waren ein ganz normaler Teil des Alltagslebens hier", sagt Peter Scherrer. Er hat Geschichte studiert und arbeitet seit vielen Jahren als Tourguide im Schweriner Schloss. "Diese Alltäglichkeit des miteinander Zusammenlebens, das wollen wir gerne näherbringen." Das Interesse an der Stadttour ist groß. Gleich die erste Führung Mitte April ist mit rund 30 Personen komplett ausgebucht. Bei strahlend blauem Himmel geht es an den alten Bürgerhäusern vorbei zur Synagoge.

"Das ist historisch gesehen der Ort, an dem jüdische Besiedlung zuerst stattgefunden hat. Schon im 17. Jahrhundert lebten hier jüdische Kaufleute", erzählt Scherrer. Als die Nationalsozialisten viele Synagogen in Deutschland zerstörten, blieb das Gebäude zunächst verschont. Die Schlägertrupps hatten Angst, dass ein Feuer in der eng bebauten Altstadt auch andere Häuser zerstören könnte.

"Wenn Sie dort weitergehen, kommt man zur Pfandleihe, die auch von einem Juden betrieben wurde", erklärt Historiker Scherrer und deutet mit dem Arm die Straße hinunter. Mehr als ein Jahr haben er und seine Kollegin intensiv recherchiert, um den Rundgang vorzubereiten. Insgesamt acht feste Termine sind bis November geplant. Für Gruppen gibt es auch die Möglichkeit, auf Anfrage zusätzliche Termine zu buchen.

"Ich bin völlig überwältigt gewesen, was da alles gekommen ist", sagt Kerstin Eichhorst und strahlt. Die 66-Jährige ist Rentnerin, arbeitet aber wie ihr 65-jähriger Kollege weiter als Stadtführerin in Schwerin. "Wir gehen davon aus, dass heute bei der ersten Führung ein paar Leute kommen, die gar keine Karte kriegen. Aber die können dann trotzdem mitkommen, das ist kein Problem."

Unterstützung bekommen die beiden Tourguides durch die Stiftung Mecklenburg. Sie stellt den organisatorischen Rahmen für die neue Führung. In die Planungen war auch die jüdische Gemeinde in Schwerin eingebunden. Rund 650 Menschen jüdischen Glaubens leben aktuell in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. "Die Juden in Schwerin haben die Stadt mitgeprägt", erklärt der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, Yuriy Kadnykov.

"Viele von ihnen waren aktive Bürger, einige gehörten auch zum sogenannten Großbürgertum und sie haben bis heute das Bild der Landeshauptstadt geprägt." Bei dem Weg durch die Altstadt geht es von der Synagoge am Schlachtermarkt zu Orten, an denen Juden lebten und arbeiteten. Auch die Geschichten von Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus jüdischen Mitbürgern halfen, werden erzählt. Ein Rundgang dauert etwa 70 Minuten und kostet pro Person 7 Euro. Dafür gibt es neue Einblicke in ein Stück des alten Schwerin.