TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Sandy" (ARD)

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TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Sandy" (ARD)
11.1., ARD, 20.15 Uhr
Manchmal beginnen gute Geschichten wie ein Gruß aus der Küche, der die Vorfreude auf ein köstliches Mahl weckt: weil ein kluger Autor mit kleinen Andeutungen Erwartungen schürt, die er fortan auf kleiner Flamme köcheln lässt. Holger Karsten Schmidt ist bekannt dafür, seine Helden, etwa den unscheinbaren Dorfpolizisten aus der ARD-Krimireihe „Harter Brocken“, mit völlig unerwarteten Herausforderungen zu konfrontieren.

Im fünften Drehbuch zu seiner Krimireihe „Nord bei Nordwest“ dauert es allerdings eine ganze Weile bis zum Aufeinandertreffen zwischen dem ehemaligen Polizisten Hauke Jakobs (Hinnerk Schönemann) und seinen hartgesottenen Kontrahenten; da sind die vermeintlich eigentlichen Gegenspieler, die die Handlung überhaupt erst ins Rollen gebracht haben, längst aus dem Rennen.

Zunächst jedoch beginnt „Sandy“ völlig harmlos. Schmidt gilt zwar als einer der härtesten Thriller-Schreiber hierzulande, aber schon seine an Weihnachten ausgestrahlte dritte „Harter Brocken“-Episode war fast familientauglich. Diesmal nimmt sich der Autor viel Zeit, um seine verschiedenen Handlungsstränge zu entwickeln: Zwei Polizisten verschaffen sich mit Hilfe eines gefälschten Durchsuchungsbeschlusses Zutritt zu einem Haus und stehlen wertvollen Schmuck. Kurz drauf suchen sie auch die Praxis von Jakobs heim: Der Tierarzt ist im Rahmen eines Wettbewerbs der Gemeinde Schwanitz mit 5.000 Euro für seinen Gnadenhof beschenkt worden; die sind jetzt weg, weil Praxishilfe Jule (Marleen Lohse) die uniformierten Männer reingelassen hat. Jakobs ist jedoch viel zu sehr mit seinen Gefühlen beschäftigt, um ihr ernstlich böse zu sein. Schuld daran ist die Titelheldin: Aus heiterem Himmel ist seine einstige große Liebe Sandy (Isabell Gerschke) aufgetaucht. Der Tod ihrer Großeltern, die sich bis zum letzten Atemzug geliebt hätten, habe ihr die Augen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben geöffnet, sagt sie. Jakobs, der sein Boot nach ihr benannt hat, ist hin und weg und sofort bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um mit den beiden Sandys rund um die Welt zu schippern. Erst mal jedoch braucht die Dorfpolizistin seine Hilfe: Lona (Henny Reents) hat rausgefunden, dass es sich bei den beiden uniformierten Betrügern um ehemalige Polizisten handelt, die ihre Masche schon seit Jahren durchziehen. Gemeinsam mit dem früheren Hamburger Kripokommissar will sie die Männer stellen – und endlich kommt es zur Vereinigung mit einer weiteren Ebene, die sich von der ersten Szene an durch den gesamten Film zieht.

Dieser zweite Teil der Geschichte macht nicht zuletzt durch seine Rätselhaftigkeit den eigentlichen Reiz von „Sandy“ aus, zumal er mit dem Rest der Handlung zunächst überhaupt nichts zu tun hat. Hauptfiguren sind zwei typische Schmidt-Charaktere: hartgesottene Hamburger Rauschgifthändler, die wie gemütliche Sozialarbeiter ewig um den heißen Brei rumreden, bis sie endlich zur Sache kommen; schon allein die Dissonanz zwischen dem sanften Auftreten und den unvermittelt brutalen Taten sorgt regelmäßig für verblüffende Kontraste. Bindeglied zu Schwanitz ist ein harmloser Biobauer (Arno Frank), der ein bisschen Geheimagent spielt und gern sinnfreie Codes verwendet („Der rote Drachen hat Schnupfen“); die beiden Gangster kochen in seinem Keller ihre Drogen, und natürlich finden sich irgendwann alle Beteiligten mehr oder weniger zufällig auf dem Hof ein.

Die Rollen der Ganoven sind mit kaum bekannten, dafür jedoch markanten Schauspielern besetzt, die zudem ausnahmslos überzeugen; das gilt für Yorck Dippe und Andreas Grötzinger als Großstadtgangster ebenso wie für Sebastian Fräsdorf und Bernhard Conrad als Trickbetrüger. Das durchgehende „Nord bei Nordwest“- Ensemble ist ohnehin sehenswert wie immer. Die Kombination des lakonischen Schönemann mit den beiden rothaarigen Kolleginnen Lohse und Reents ist nach wie vor äußerst charmant, zumal weder die Polizistin noch die Praxishilfe sonderlich begeistert über das Auftauchen von Sandy sind; deren wahrer Charakter wiederum offenbart sich, als es, quasi als Dessert, zur finalen Konfrontation der Guten und der Bösen kommt.

Viele der Drehbücher Schmidts, in denen Schönemann die Hauptrolle spielt hat – „Sandy“ ist bereits ihr 14. gemeinsames Projekt, für „Mörder auf Amrum“ haben beide den Grimme-Preis bekommen – zeichnen sich durch eine reizvolle Vermengung von Thriller und Komödie aus. In „Nord bei Nordwest“ halten sich die Thriller-Elemente jedoch in Grenzen; die Donnerstagskrimis im „Ersten“ („Donna Leon“, „Kommissar Dupin“) setzen in der Regel ohnehin mehr auf Schauwerte als auf Spannung. Augenfutter gibt es in dieser Reihe allerdings weniger, und Nervenkitzel kommt erst am Schluss auf. „Sandy“ ist nach dem originellen Debüt „Schrotten!“ Max Zähles zweiter Film für den NDR. Abgesehen von einer technisch raffinierten Einstellung, als Jakobs bei Sandys Anblick wie vom Donner gerührt ist, fällt die Inszenierung nicht weiter aus dem Rahmen, und Schmidt hat sicher schon spektakulärere Geschichten erzählt; aber die Schauspieler machen ausnahmslos großen Spaß.