TV-Tipp: "Tannbach - Schicksal eines Dorfes" (ZDF)

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TV-Tipp: "Tannbach - Schicksal eines Dorfes" (ZDF)
8.1., ZDF, 20.15 Uhr
Wer der Meinung ist, Fernsehen sollte auch bei ernsten Themen einen gewissen Unterhaltungseffekt haben, erspart sich diese 270 Minuten besser. "Tannbach - Schicksal eines Dorfes" ist die Fortsetzung des Dreiteilers, der 2015 mit großer Besetzung anhand eines Mikrokosmos’ die Geschichte des geteilten Nachkriegsdeutschlands erzählt hat. Inhalt und Inszenierung der neuen Trilogie sind allerdings derart freudlos, dass das Projekt komplett in Tristesse versinkt.

Es gibt kaum eine Rolle, die zur Identifikation einlädt. Die Handlung ist bevölkert mit Kriegsverbrechern, alten Nazis und bornierten Sozialisten; alle anderen sind entweder Denunzianten oder Opportunisten. Die meisten Mitwirkenden werden zudem betont unattraktiv präsentiert. Das passt zur vermittelten Stimmung: Die Handlung erstreckt sich vom Dezember 1960 bis zum Sommer 1968 und dem gewaltsamen Ende des "Prager Frühlings"; Regisseur Alexander Dierbach lässt diesen Zeitraum auch dank der überwiegend in düsteren erdigen Farben gehaltenen Bilder (Kamera: Ian Blumers) wie eine bleierne Zeit wirken. Die tempoarme Inszenierung ist derart frei von Überraschungen oder gestalterischer Raffinesse, dass der Mehrteiler wie ein klassisches und entsprechend altmodisches Fernsehspiel wirkt.

Dabei sind eigentlich alle Voraussetzungen für eine fesselnde Geschichte gegeben. Das fiktive Dorf Tannbach liegt exakt auf der Grenze, die Bayern von Thüringen und somit nach 1945 die amerikanische von der sowjetischen Besatzungszone trennt. Der erste Zyklus endete 1952 mit der endgültigen Teilung des Landes. Acht Jahre später befinden sich Ost und West im Kalten Krieg, die Fronten haben sich verhärtet. Im geteilten Tannbach entwickelt sich das deutsch-deutsche Verhältnis wie unter einem Brennglas: Der Osten blutet aus, weil viele Bauern keine Lust haben, ihre Arbeitskraft dem Sozialismus zur Verfügung zu stellen; im Westen leben die Handlanger des Nationalsozialismus ihr Leben weiter, als wäre nichts geschehen. Geschickt verknüpft Silke Zertz - ihr Drehbuch ist nach einer Vorlage von Josephin und Robert von Thayenthal entstanden und von Produzentin Gabriela Sperl überarbeitet worden – die Weltgeschichte mit vielen familiären Dramen. Das ist vor allem im Osten spannend, weil das junge Ehepaar Anna und Friedrich Erler mit viel Enthusiasmus ein neues Land aufbauen will. Henriette Confurius und Jonas Nay gehören zu den wenigen Darstellern, die ein überwiegend positives Menschenbild vermitteln, selbst wenn Anna in ihrer Staatsgläubigkeit schließlich einen furchtbaren Fehler begeht. Aber Nay muss sich am Schluss von Teil eins aus der Saga verabschieden, und damit gibt es außer Confurius keine Figur mehr, die das Herz erwärmt.

Im Osten herrscht immerhin Aufbruchstimmung, auch wenn der real existierende Sozialismus vor allem Mangelverwaltung bedeutet. Im Westen jedoch dominieren Missgunst, Eifersucht, Zwietracht und Hass. Die Risse ziehen sich mitten durch die Familien, was als Filmstoff zwar faszinierend ist, emotional jedoch recht strapaziös. Repräsentanten dieser Stimmung sind die beiden Patriarchen Franz Schober und Georg von Striesow, der eine ein unbelehrbarer bösartiger Altnazi, der andere ein Graf mit feudaler Weltsicht und Verbindungen zur Nato. Gerade Alexander Held verkörpert seinen Schober als derart grausames abstoßendes Familienoberhaupt, dass die Figur fast an eine Karikatur grenzt. Dem Grafen (Heiner Lauterbach) hat das Drehbuch immerhin eine Gattin (Anna Loos) zur Seite gestellt, die für die neue Zeit steht: Rosemarie macht dank ihrer unkonventionellen Ideen im Nu Karriere im Unternehmen eines Kleiderfabrikanten (Jürgen Tarrach), aber arbeiten darf sie nur mit Erlaubnis ihres Mannes; so war das damals. Außerdem ist sie eine Spionin, und damit bekommt "Tannbach" eine Dimension, die über das Dorf hinausweist. Immer öfter wechselt die Handlung vom kleinen Dorf ins große Berlin, wo Rosemaries Führungsoffizier bei der Stasi die Fäden zieht. Rainer Bock versieht diesen Mann mit einem beängstigenden Charisma: Der überzeugte Sozialist Robert Leonhardt ist gar nicht mal unsympathisch; das macht ihn zu einer der interessantesten Figuren der Trilogie, erst recht, als er sich in eine Frau (Martina Gedeck) verliebt, die wiederum einen unehelichen Sohn, Horst (Robert Stadlober), vom alten Schober hat. Auf solche oder ähnliche Weise sind sämtlichen handelnden Personen miteinander verbandelt, und da der Dreiteiler auf ein "Was bisher geschah" verzichtet, ist es anfangs gar nicht so leicht, den Bezug zwischen den verschiedenen Familien herzustellen.

Es gibt eine Vielzahl solcher großen und kleinen Geschichten, aber nur wenige sind wirklich berührend. Autorin Zertz vergleicht "Tannach" mit einer "Sinfonie mit großem Orchester", aber mitunter erinnert der Dreiteiler an die Minuten vor dem Konzertbeginn, wenn die Orchestermitglieder letzte Fingerübungen absolvieren, weil Zertz ihre aufgrund der Zeitsprünge zwischen den Teilen zwangsläufig elliptisch erzählte Sinfonie sehr episodisch komponiert hat. Deshalb gibt es ein ständiges Kommen und Gehen: Horst hat einst von Striesows frühere Frau erschossen, arbeitet nun für den BND, entpuppt sich als schwul und muss ins Gefängnis. Schobers Sohn Gustl (Maximilian Brückner) hat eine Affäre mit Rosemarie, was zu einer Wirtshausprügelei mit ihrem Mann führt. Auf der anderen Seite der Grenze findet die verwitwete LPG-Leiterin Anna sehr zum Missfallen ihres Kollegen Adolph (Peter Schneider) Trost beim evangelischen Pfarrer (Clemens Schick); später verliert Anna ihren Posten aufgrund einer miesen Intrige. Weil sich die verschiedenen Handlungsstränge bis auf wenige Ausnahmen nicht kreuzen, können die Mitwirkenden gar keine Ensembleleistung abliefern. Seltsam auch, dass sich die Erwachsenen zwischen Teil 2 (Sommer 1961) und Teil drei (1968) äußerlich überhaupt nicht verändert haben; einzig Anna hat eine weiße Strähne im Haar. Aber daran liegt es nicht, dass "Tannbach" im Unterschied zu anderen zeitgeschichtlichen Prestigeproduktionen wie "Ku’damm 56" oder "Deutschland 83" keinen Sog herstellt; von Edgar Reitz’ ähnlich konzipiertem Klassiker "Heimat" ganz zu schweigen. Dazu passt auch der unbefriedigende Schluss. Der Dreiteiler endet zwar mit einem Knalleffekt, aber die meisten Handlungsfäden bleiben unvollendet. Fortsetzung folgt - vermutlich. Die Teile zwei und drei zeigt das ZDF Mittwoch und Donnerstag um 20.15 Uhr.