TV-Tipp: "37 Grad: Die Wahrheit und ihr Preis" (ZDF)

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TV-Tipp: "37 Grad: Die Wahrheit und ihr Preis" (ZDF)
24.10., ZDF, 22.15 Uhr: "37 Grad: Die Wahrheit und ihr Preis"
"Whistleblower": Das klingt erst mal aufregend. Whistleblower sind Menschen, die Missstände aufdecken, an denen sie selbst direkt oder indirekt beteiligt waren. Ihr Mut, die Öffentlichkeit zu informieren, macht sie zu Helden. Aber sie sind auch Verräter, zumindest aus Sicht ihrer früheren Kolleginnen und Kollegen oder Arbeitgeber; und den Verräter lieben frei nach Caesar nicht mal jene, die vom Verrat profitieren.

Obwohl die Enthüller ihrem moralischen Kompass gefolgt sind, müssen sie ihre Aufrichtigkeit oft genug auch materiell teuer bezahlen. Der Titel für Daniel Harrichs Reportage über zwei Männer, die Skandale in der Pharmabranche öffentlich gemacht haben, ist daher klug gewählt: "Die Wahrheit und ihr Preis" stellt Menschen vor, die sich nicht als Helden fühlen, weil sie etwas getan haben, das aus ihrer Sicht selbstverständlich war. Dass ihre Tat auch ökonomische Folgen habe würde, war ihnen klar; mit einem sozialen Absturz haben sie jedoch nicht gerechnet. Moral, sagt einer der beiden, "muss man sich leisten können."

Harrich ist vor allem als Autor und Regisseur investigativer Fernsehfilme bekannt geworden; seine letzte Arbeit war der im Frühjahr ausgestrahlte ARD-Film "Gift", der auf fesselnde Weise den milliardenschweren Handel mit gefälschten Medikamenten anprangerte. Protagonisten seiner Reportage sind der ehemalige kaufmännische Leiter einer Apotheke im Ruhrgebiet sowie ein früherer Pharmagroßhändler. Der eine hat rausgefunden, dass sein Chef Krebsmedikamente aus eigener Produktion bis zu 80 Prozent unterdosiert hat. Der andere war pharmazeutischer Großhändler für Produkte der Krebstherapie und hat vor zwölf Jahren einen riesigen Pharmaskandal öffentlich gemacht, bei dem es um den gleichen Sachverhalt ging wie in "Gift".

Für "37 Grad" ist das auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Stoff, der eher als Enthüllungsreportage in eine Reihe wie "die story" passen würde. Andererseits ist so etwas letztlich eine Frage der Aufbereitung und des Schwerpunkts. Natürlich informiert Harrich auch über die Hintergründe, doch im Zentrum seines Films steht die Frage, welche Konsequenzen der Entschluss, nicht länger zu schweigen, für die beiden Männer hatte; und für ihre Frauen. Auf einem anderen Sendeplatz hätte sich der Autor sicher stärker auf die sachliche Ebene konzentriert, und tatsächlich schildern die beiden Männer die Ereignisse vergleichsweise nüchtern; auch Inszenierung und Musik sind neutral gehalten. Für den empathischen Teil sorgen die beiden Lebensgefährtinnen, und das keineswegs, weil Gefühle angeblich Frauensache sind. Sie schildern vielmehr aus erster Hand, wie hoch der Preis war, den die Whistleblower zahlen mussten. Sie sind es auch, die ihre Empörung über den Undank der Gesellschaft äußern. Beide Männer sind heute arbeitslos, der Pharmahändler hat Firma und Reputation verloren, in seiner Branche wird er als Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Dabei ist das Ausmaß der Skandale, die sie aufgedeckt haben, kaum zu überschauen; der Bottroper Apotheker hat keineswegs nur Patienten in seinem Umfeld, sondern in mehreren Bundesländern versorgt. Der Unternehmer musste zudem noch verkraften, dass seine erste Frau starb, während er um das Überleben seines Betriebs kämpfte.

Formal orientiert sich "Die Wahrheit und ihr Preis" am üblichen Schema von "37 Grad"; ähnlich wie bei einer Doku-Soap wechselt der Film mehrfach von einem Protagonisten zum anderen. Davon abgesehen aber unterscheidet sich Harrichs Herangehensweise wohltuend von der oft emotionalisierten Machart der Reihe. Der vom erfahrenen Udo Wachtveitl gewohnt angenehm gesprochene Kommentar verzichtet akustisch wie auch inhaltlich auf zusätzliche Gefühlsverstärker. Der doppelte Skandal - hier die Wahrheit, dort der Preis - ist ohnehin bewegend genug. Es ehrt Harrich außerdem, dass er die Dinge nicht beschönigt. Gerade eingedenk seiner eigenen Recherchen zu den rechtsterroristischen Hintergründen des Oktoberfest-Attentats 1980 ("Der blinde Fleck", 2013) oder zu illegalen deutschen Waffenexporten ("Meister des Todes", 2015) weiß er natürlich, wie wichtig Insider-Informationen sind, um Missstände aufzudecken. Angesichts der drohenden Konsequenzen wird dieser Film potenzielle Whistleblower wohl eher davon abhalten, mit brisantem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen.