TV-Tipp: "Tatort: Zurück ins Licht" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Zurück ins Licht" (ARD)
22.10., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Zurück ins Licht"
Die "Tatort"-Redaktion von Radio Bremen ist immer wieder für Überraschungen gut. Meist sind es die ungewöhnlichen Geschichten, die aus dem Rahmen fallen, diesmal ist es die Hauptfigur.

"Zurück ins Licht" ist das fesselnde Psychogramm einer manipulativen Karrierefrau, die sich eine perfekte Scheinwelt aufgebaut hat. Nach dem Fund der Leiche eines vor Monaten spurlos verschwundenen Pharmahändlers konzentrieren sich Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) erst mal auf die Witwe (Victoria Fleer), zumal sich rausstellt, dass sie ihren Gatten nur noch mit größtem Widerwillen ertragen und längst eine neue Beziehung hat. Aber dann rückt mehr und mehr eine Frau ins Zentrum, die vor allem Stedefreund in ihren Bann zieht: Die charismatische Pharmareferentin Maria Voss hat Bergeners Unternehmen einst enorme Umsätze verschafft. Just in der Mordnacht hatte sie einen schweren Autounfall und lag mehrere Monate im Koma. Die Ärzte waren überzeugt, sie würde nie wieder gehen können, aber Maria hat sich, wie sie sagt, "zurück ins Licht" gekämpft; nun will sie ihre schillernde Karriere fortsetzen.

Natürlich wären auch andere Schauspielerinnen in dieser Rolle vorstellbar, aber sie hätten Maria Voss vermutlich nicht so spielen können wie Nadeshda Brennicke. Während der "Tatort" aus Bremen sonst meist auf ungewöhnliche Geschichten setzt und schon mal eine Künstliche Intelligenz morden lässt ("Echolot"), liefert er sich diesmal ganz und gar einer Figur aus. Das hätte auch ins Auge gehen können, aber Brennicke nutzt die Chance für eine fulminante Vorstellung. Ihre oft mindestens eigen, wenn nicht gar eigenartig anmutende exaltierte Spielweise passt nicht immer zu den Figuren, die sie verkörpert; zu Maria Voss passt sie perfekt, zumal Brennicke auf die flirrende Flatterhaftigkeit verzichtet, mit der sie gerade komödiantische Rollen gern versieht. Sie stattet die manipulative Frau auf faszinierende Weise mit gleich mehreren bipolaren Ambivalenzen aus: entrückt, aber dennoch zielstrebig; anziehend, aber dennoch unnahbar; dominant, aber dennoch fragil; extravertiert, aber dennoch einsam; eben noch einschmeichelnd, im nächsten Augenblick eiskalt. Völlig zu recht heißt es irgendwann sinngemäß, Maria sei nicht von dieser Welt: weil sie sich eine perfekte Scheinwelt aufgebaut hat; eine Traumrolle, in jeder Hinsicht, zumal Brennicke auch viele Monologstrecken gänzlich ohne Mit- oder Gegenspieler mit enormer Intensität füllt.

Die Ermittlungsebene wird in einer derartigen Konstruktion fast zwangsläufig zweitrangig. Dass es letztlich um kriminelle Aktivitäten in der Arzneimittelwirtschaft geht, ist eher eine Art Nebeneffekt; ohne den Leichenfund zu Beginn hätte das Drehbuch von Grimme-Preisträger Christian Jeltsch ("Einer geht noch") und Koautor Olaf Kraemer auch als Porträt einer krankhaft ehrgeizigen Karrierefrau getaugt, die offenbar bereit ist, für ihren Erfolg alles zu tun; vielleicht sogar über Leichen zu gehen. Gerade im ersten Teil verzichten die Autoren und Regisseur Florian Baxmeyer, der schon seit einigen Jahren jeden "Tatort" aus Bremen inszeniert, auf eine lineare Erzählform und wirbeln verschiedene Ebenen ohne jede Gebrauchsanweisung mutwillig durcheinander; aber es funktioniert. 

Ähnlich bedeutsam wie die Hauptdarstellerin ist die Bildgestaltung. Baxmeyer und Kameramann Hendrik A. Kley bereiten Brennicke eine angemessene Bühne; es sind nicht zuletzt die unterschiedlichen Lichtvarianten, die die verschiedenen Facetten Marias betonen. Darüber hinaus gibt es immer wieder einprägsame Bilder, etwa von Marias Ausflügen, wenn sie auf Rollerblades im signalroten Mantel durch die Nacht gleitet. Ihr Haus ist, je nach Geschmack, ein Traum oder Albtraum in strahlendem Weiß mit vielen Spiegeln; eine Ausstattung, die Kley weidlich nutzt. Auch sonst setzt Baxmeyer immer wieder optische, oft von der guten elektronischen Musik (Stefan Hansen) zusätzlich betonte Akzente. Am Anfang verdeutlichen öffentliche Mülleimer, die sich im Zeitraffer füllen, wie die Zeit vergeht; später gibt es eine rasend schnell montierte Fotoserie, die Marias vermeintlich mondänes Leben dokumentiert.

Ein besonderer Fall ist "Zurück ins Licht" nicht zuletzt für Stedefreund: Der Kommissar kann dieser rätselhaften Frau, die gleichzeitig Sphinx und Sirene ist, nicht lange widerstehen. Dabei hat er sich gerade erst dazu durchgerungen, seiner Beziehung zur nicht minder verwirrenden BKA-Kollegin Linda (Luise Wolfram) einen offiziellen Rahmen zu geben: Die bei der Tatortanalyse brillante, sozial aber eher unverträgliche Linda zieht bei ihm ein und überrascht ihn mit einem Kinderwunsch. Stedefreunds gemütliche Wohnung mit ihrem heimeligen Licht ist ein klarer Gegenentwurf zum kalten Heim Marias. Für Mommsen war es sicherlich eine willkommene Herausforderung, dass sich der knuffige Kommissar gegen diese beiden extremen Frauenfiguren behaupten muss. In der schönsten Szene des Films balgt sich das Liebespaar wie Kinder auf dem Spielplatz, in der irritierendsten will Stedefreund wissen, wer Linda wirklich ist. Ihre Antwort könnte auch von Maria Voss stammen: "Ich bin viele".