TV-Tipp: "Dolores" (One)

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TV-Tipp: "Dolores" (One)
23.6., One, 21.00 Uhr: "Dolores"
Das Leben und der Film haben schon für viele ungewöhnliche Liebesgeschichten gesorgt, aber "Dolores" erzählt von einer Romanze, die es so wohl noch nie gegeben hat. Die Parabel über die Korrumpierbarkeit eines braven Zeitgenossen, der plötzlich über enorme Macht verfügt, basiert auf einem Comicroman und handelt von einem braven Modellbauer, der sich unsterblich in eine Filmschönheit verliebt.

Da "Dolores" als "Debüt im Dritten" für den SWR entstanden ist, hat Sebastian Feld die Geschichte in eine baden-württembergische Kleinstadt übertragen. Ansonsten aber orientiert sich sein Drehbuch weitgehend an der 1991 erschienenen belgischen Vorlage von Francois Schuiten & Benoit Peeters (Text) und Anne Baltus (Zeichnungen): Als der Filmstar Dolores Moor (Franziska Petri) vor seinem Haus eine Panne hat, lernt der brave Modellbauer Georg Letterer (Udo Schenk) eine Welt kennen, die der zurückgezogen lebende Mann bis dahin nicht mal vom Hörensagen kannte. Die Schauspielerin will nach Hollywood übersiedeln, hängt aber sehr an ihrem vom Vater entworfenen Elternhaus. Weil sich Letterers Arbeiten durch eine regelrechte Detailversessenheit auszeichnen, bittet sie ihn, das Haus nachzubauen; Geld und Zeit spielen keine Rolle. Der Bastler verwendet nur Originalmaterialien, sodass im Lauf der Monate tatsächlich ein perfektes Abbild entsteht, das sich durch eine ganz besondere Magie auszeichnet: Durch Zufall findet er heraus, dass er die Wirklichkeit beeinflussen kann; Veränderungen, die er am Modell vornimmt, haben auch Änderungen in der Realität zur Folge. Weil er sich längst unsterblich in die unerreichbare Filmschönheit verliebt hat, trachtet er danach, sie für immer an sich zu binden. Wer ihm auf die Schliche kommt, wird kaltblütig aus dem Weg geräumt, bis er die Geliebte schließlich ganz für sich allein hat.

Die Geschichte spielt in den Fünfzigern. Natürlich stand Michael Rösel für seine erste Langfilmregie nicht das Budget einer großen Kinoproduktion zur Verfügung, weshalb sich der Zeitbezug im Wesentlichen auf das prachtige Oldsmobile des Filmstars reduziert. Ansonsten gibt es kaum Außenaufnahmen. Das fällt aber fast nicht auf, weil der Regisseur handwerkliche Lösungen gefunden hat. Ganz erheblichen Anteil daran hat die Musik: Jörg Lemberg orientiert sich unüberhörbar am Stil von Alfred Hitchcocks bevorzugtem Komponisten Bernard Herrmann; auf diese Weise entsteht fast automatisch ein Fünfziger-Flair. Dazu passt auch die Auswahl der beiden Hauptdarsteller. Franziska Petri ist weder Grace Kelly noch Kim Novak, aber auch sie zeichnet sich durch jene eher kühle Form von Schonheit aus, wie sie Hitchcock an seinen weiblichen Stars schätzte. Noch besser besetzt ist Udo Schenk, der in mindestens der Hälfte seiner öber zweihundert Rollen einen Schurken oder Mordverdächtigen verkörpert hat. Hier darf er endlich auch mal Zwischentöne spielen, zumal sich Georg Letterer fast unmerklich verändert: Anfangs ist er zwar ein Sonderling, aber dennoch unzweifelhafter Sympathieträger. Das bleibt auch so, als er in die Villa Moor übersiedelt. Zuerst scheint er sich in Dolores’ Assistentin Simone (Mona Petri, nicht verwandt mit Franziska) zu verlieben. Tatsächlich versucht er jedoch, die Frau zumindest außerlich in den Star zu verwandeln. Interessanterweise orientiert sich Lembergers musikalisches Leitmotiv nicht etwa am Hitchcock- Thriller "Vertigo", der zumindest in dieser Hinsicht eine ganz ähnliche Geschichte erzählt, sondern an "Psycho" (allerdings ohne die schrillen Geigen aus der berühmten Duschszene). Während Autoren von Literaturadaptionen ihre Vorlagen meist drastisch kürzen müssen, hat Feld die Liebelei mit der Assistentin gegenüber dem Comic deutlich ausgebaut: Als Simone Georgs Spiel durchschaut und erkennt, dass sie nur ein Ersatz ist, sorgt er dafür, dass sie ihn nicht verraten kann.

Abgesehen vom Vorspann, bei dem die Namen der Beteiligten liebevoll in die Bastelutensilien integriert sind, fällt "Dolores" filmisch nicht weiter aus dem Rahmen. Zum Ausgleich sorgt Rösels Kameramann Willy Dettmeyer immer wieder fur verblüffende Effekte: Bei vielen Szenenwechseln erkennt man erst dank Georgs scheinbar riesiger Hand, dass die Filmbilder nicht die Villa, sondern das Modell zeigen. Die Eingriffe des Bastelgenies in die Wirklichkeit finden dagegen in erster Linie auf der Tonspur statt. Für einen der seltenen heiteren Momente sorgt allerdings Georgs Rache an einem Lackaffen aus Hollywood, den er mit einem kleinen Schubser gegen den Modellsessel ins Leere plumpsen lässt.

Gelungen ist auch die Rekonstruktion eines typischen Fünfzigerjahre-Melodrams, das sich Georg im Kino anschaut. Dolores spielt darin eine Jüdin, die sich in einen SS-Mann verliebt hat, und natürlich hat diese Liebe noch geringere Erfolgsaussichten als die Gefühle Georgs; also ändert er in einem Tagtraum, in dem er sich in die Rolle des Helden fantasiert, kurzerhand den Schluss. Auch diese Szene ist optisch sehr schön umgesetzt: Der Film wird scheinbar auf eine Wand hinter dem Sessel projiziert, in dem er eingeschlafen ist. Die scheinbar zeitgenössischen Filmplakate von den Kinohits der Diva muten dagegen trotz amüsanter Details (einer der Ko-Stars heist Grant Kerry) zeichnerisch recht amateurhaft an.

Die von Feld gemeinsam mit Frieder Scheiffele gefuhrte Produktionsfirma Schwabenlandfilm hat zuvor vor allem die SWR-Regionalserie "Laible und Frisch" produziert; Regie führte ebenfalls Michael Rösel. In solchen Produktionen sind die Charaktere erfahrungsgemäß eher zugespitzt. Das erklärt vielleicht, warum die Nebenfiguren (mit Ausnahme von Simone) in "Dolores" allesamt weitaus weniger überzeugen als die beiden Hauptrollen: Georgs Bruder Franz (Alexander Horbe) ist ein emotionaler Erpresser und eine furchtbare Nervensäge, der arrogante Chauffeur Anton (Mathias Hermann) sieht in dem Modellbauer einen Nebenbuhler und piesackt den armen Mann nach Kräften. Beide könnten auch aus einem Kinderfilm stammen, was schade ist; bloß weil die Geschichte unübersehbar märchenhafte Züge trägt, müssen die Nebenrollen nicht wie Figuren aus einem Kasperletheater wirken.