TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Angst heiligt die Mittel" (ARD)

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TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Angst heiligt die Mittel" (ARD)
1.1., ARD, 20.15 Uhr: "Polizeiruf 110: Angst heiligt die Mittel"
Nach einigem Hin und Her hat sich die ARD entschlossen, den wegen des Terroranschlags kurz vor Weihnachten in Berlin abgesetzten "Tatorts" aus Dortmund ("Sturm") durch einen "Polizeiruf" des NDR zu ersetzen. Die Krimis aus Rostock gehören zum Besten, was das "Erste" sonntags zu bieten hat, und sind außerdem immer für eine Überraschung gut.

Das gilt auch für "Angst heiligt die Mittel". Ein größerer Kontrast zur letzten Episode ist kaum denkbar: "Im Schatten" war eine Kombination aus Polizeifilm und Mafia-Thriller, die ihre Spannung jedoch vor allem aus den Feindseligkeiten innerhalb des Teams bezog. Die sind in der neuen Folge zwar nicht ausgeräumt, aber man kommt wieder miteinander aus. Das Drehbuch von Grimme-Preisträgerin Susanne Schneider ("Fremde, liebe Fremde") knüpft ohnehin nur zart und angenehm beiläufig an die Vorgeschichte an: Bukow (Charly Hübner) ist durch den Wind, weil sein Vater nach einer Operation im Koma liegt, und die Bewerbung von Katrin König (Anneke Kim Sarnau) als Leiterin der Abteilung Operative Fallanalyse beim LKA in Berlin war erfolgreich. Als sie die Kollegen mit Champagner überraschen will, ist das Revier verwaist: Diesmal geht es nicht gegen die Mafia, sondern um einen Mord auf dem Land.

Es hat eine lange Tradition, Großstadtpolizisten in die Provinz zu schicken, wo sie es nicht mit hartgesottenen Berufsverbrechern, sondern mit Menschen aus der Nachbarschaft zu tun bekommen. Auch Schneider schlägt viel Kapital aus der Konfrontation der Städter mit den Landeiern, die in Geschichten dieser Art meist etwas klischeehaft geraten. Das ist in "Angst heiligt die Mittel" nicht anders, aber zumindest die Rahmenbedingungen hat die Autorin der Realität abgeschaut: Die Menschen in Bassow sind in Aufruhr, seit gleich zwei Sexualverbrecher ins Dorf gezogen sind; der eine ein "Kinderschänder", der andere ein Vergewaltiger. Zu einem Fall für die Kripo wird die Sache, als eines Tages eine obdachlose Frau tot auf einer Bank gefunden wird. Für die Bassower steht außer frage, wer die Tat begangen hat, und tatsächlich scheinen die Indizien zu belegen, dass der Vergewaltiger Kukulies (Markus John) zumindest an der Tat beteiligt war. Als sich sein Mitbewohner kurz drauf das Leben nimmt und Kukulies spurlos verschwindet, sind aus Sicht der Dorfbewohner alle Zweifel beseitigt; aber nicht für Bukow und König.

Christian von Castelburg hat mit "… und raus bist du!", "Einer trage des anderen Last" und vor allem "Sturm im Kopf" ausgezeichnete bis herausragende Filme mit dem Rostocker Team gedreht. "Angst heiligt die Mittel" unterscheidet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich von seinen bisherigen Episoden. Das gilt vor allem für die Bilder, weil Kameramann Martin Farkas, mit dem der Regisseur auch bei den anderen "Polizeiruf"-Krimis zusammengearbeitet hat, dem im Hochsommer gedrehten Film fast so etwas wie Urlaubsstimmung verleiht. Sogar das sonst eher triste Revier wirkt in der tiefstehenden Morgensonne fast heimelig. Auch Bassow ist auf den ersten Blick ein sympathischer Ort. Für die Einwohner gilt das allerdings nicht. Schon ihr Erscheinungsbild sorgt dafür, dass sie alle etwas zwielichtig und heruntergekommen anmuten, auch wenn es sich nur Details wie ungewaschenen Haare oder abgenutzte Kleidung handelt. Außerdem begegnen die Menschen den Eindringlingen aus der Stadt selbstredend mit Misstrauen; die Mauer des Schweigens ist ein weiteres typisches Merkmal solcher Geschichten.

Die Handlung ist grausig

Auch das Tempo ist der Umgebung angemessen. Gemessen an den Stakkatosequenzen aus "Sturm im Kopf" ist die Schnittfrequenz diesmal geradezu gemütlich. Die Handlung wiederum, ein weiteres Kennzeichen des Provinzkrimis, ist dafür umso grausiger. Die Details der Tat sind ausgesprochen widerwärtig, und das erst recht, als sich rausstellt, dass das Opfer nichts anderes als das im Titel angesprochene Mittel zum Zweck war. Die Dorfbewohner entpuppen sich als die wahren Monster, und nun wird die Geschichte endgültig unangenehm: Kukulies ist keineswegs abgehauen, er wird auf einem Dachboden gefangen gehalten und gefoltert. Später gelingt es ihm, sich zu befreien, und einen Jungen als Geisel zu nehmen. Das zerbrochene Glas am Hals des kleinen Linus und die Drohung, ihn an Kinderhändler zu verkaufen, sorgen endgültig dafür, dass "Angst heiligt die Mittel" zwar ein fesselnder Krimi, aber alles andere als angenehme Unterhaltung ist.