TV-Tipp: "Der Andere" (ZDF)

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TV-Tipp: "Der Andere" (ZDF)
21.11., ZDF, 20.15 Uhr: "Der Andere"
Menschen, die aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden, Kulturen, die aufeinanderprallen: Die Verknüpfung dieser beiden Themen zieht sich wie ein roter Faden durch die Filmografie von Feo Aladag; selbst wenn "Der Andere" erst die dritte Regiearbeit der Österreicherin ist, die einst als Schauspielerin begonnen und nach ihrem mit der Promotion abgeschlossenen Studium (Psychologie und Kommunikationswissenschaften) das Regiehandwerk erlernt hat.

Ihr Debüt war 2009 das Drama "Die Fremde" mit Sibel Kekilli als junge Türkin, die ihren Mann verlässt und zu ihren Eltern nach Berlin flüchtet. "Zwischen den Welten" (2014) handelte von der Freundschaft zwischen einem deutschen Afghanistan-Soldaten (Ronald Zehrfeld) und seinem einheimischen Übersetzer. "Der Andere", Aladags erster Fernsehfilm, erzählt eine Geschichte, die diese beiden in gewisser Weise kombiniert: Nama (Nama Traore), ein Junge aus Mali, landet nach mehrjähriger Odyssee ohne Papiere in Berlin. Dort kommt er zunächst in ein Hostel für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge. Da er recht erwachsen wirkt, bezweifeln die Behörden, dass er tatsächlich erst 17 ist. Als er deshalb in ein Heim für Asylbewerber verlegt werden soll, ergibt sich ein überraschender Ausweg: Der alte Willi (Jesper Christensen) kümmert sich um den Jungen und nimmt ihn bei sich auf. Die gute Tat hat allerdings zur Folge, dass nun ein lange schwelender Konflikt zwischen Willi und seinem Sohn Stefan (Milan Peschel) offen ausbricht. Außerdem hat Stefan als Polizist durch seinen tagtäglichen Umgang mit Flüchtlingen eine Vielzahl von Vorurteilen entwickelt. Als sich das Trio trotzdem irgendwie arrangiert, eskaliert der Fremdenhass der Nachbarschaft in eine erschütternde Tat.

Aladag, die ihre Filme stets auch selbst schreibt und produziert, nimmt sich viel Zeit, um die Geschichte zu erzählen. Wenn die Figuren miteinander sprechen, schaut die Kamera ihnen geduldig zu. Auf diese Weise verhindert die Regisseurin, dass Namas Schicksal bloß Vorwand für ein deutsches Drama ist; selbst wenn sich der Titelzusatz "Eine Familiengeschichte" auf Willi und Stefan bezieht. Tatsächlich werden die beiden "Söhne" des Alten gleichrangig eingeführt. Der Prolog spielt zwar in Namas Heimat, aber die eigentliche Handlung beginnt mit Stefan, der die Ausweise von vermeintlichen oder tatsächlichen Flüchtlingen im Zug kontrolliert. Wenige Einstellungen genügen, um zu illustrieren, welche Belastung es selbst für die engagiertesten Mitarbeiter in den Behörden bedeutet, den zuversichtlichen Satz "Wir schaffen das" im Alltag umzusetzen. Später streut Aladag allerdings auch eine Szene ein, in der eine Beamtin bei ihrem Dienst nach Vorschrift höchst unsympathisch wirkt. Da der Film in Momenten wie diesen gern Namas Perspektive einnimmt, vermittelt "Der Andere" ganz vorzüglich, wie sich der Junge fühlen muss: mutterseelenallein in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht spricht. Aladags Stammkamerafrau Judith Kaufmann hat auf emotionale Effekthascherei verzichtet, aber trotzdem die richtigen Bilder gefunden: Deutschland fühlt sich für Nama kalt an; auch im Sommer.

Obwohl die Geschichte aufgrund der teilweise großen Zeitsprünge episodisch strukturiert ist, entwickelt sich dank der ruhigen Erzählweise, zu der auch die stimmige stille Musik (Alex Komlew) ausgezeichnet passt, ein flüssiger Rhythmus. Stefan allerdings verschwindet alsbald aus dem Film. Er hinterlässt den Eindruck eines zutiefst einsamen und unglücklichen Mannes. Was aus seiner Familie geworden ist und welche Rolle Willi dabei spielte, reicht Aladag erst später nach. Zunächst konzentriert sie sich auf die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem Alten und dem Jungen: Willi, der als Kind gegen Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Flucht nach Dänemark seine Mutter verloren hat, kann gut nachvollziehen, wie sich Nama fühlt. Er nimmt ihn unter seine Fittiche und zieht aus dem Altenheim zurück in sein Haus, in dem sich Stefan seinem Selbstmitleid hingibt. Prompt beginnen die Nachbarn zu tuscheln, und dabei bleibt es nicht; ein Mann spricht eine als "Ich meine es doch nur gut mit dir"-Botschaft kaschierte Warnung aus. Bei einem feuchtfröhlichen Abend mit anderen Flüchtlingen, die Willi beim Ausbau einer Einliegerwohnung geholfen haben, fliegt plötzlich ein Pflasterschein durch die Scheibe; und das ist nur der Anfang.

Vorzügliche Schauspieler

Dank Aladags entschleunigtem Regiestil ist "Der Andere" nicht zuletzt eine Bühne für die Hauptdarsteller, die in zum Teil winzigen Nebenrollen prominent unterstützt werden (unter anderem von Katja Riemann, Alwara Höfels und Jörg Schüttauf). Der auch im internationalen Kino sehr gefragte Däne Jesper Christensen wirkt seit Jahrzehnten immer wieder in deutschen Produktionen mit und ist eine wunderbare Besetzung für den alten Mann. Für Milan Peschel ist die Rolle des seelisch aus der Bahn geworfenen Familienvaters ohnehin wie geschaffen, schließlich verkörpert er auch in seinen Komödien im Grunde stets tragische Figuren. Laiendarsteller Nama Traore schließlich muss lange Zeit ohne Worte auskommen, weil der Junge die Sprache nicht spricht; er macht seine Sache ebenfalls vorzüglich. Dass Aladag trotz der erschütternden Ereignisse ein versöhnliches Ende gefunden hat, das weder kitschig noch verlogen wirkt, mag ein Tribut an die Gepflogenheiten des Fernsehfilms sein; der Schluss relativiert trotzdem nicht, was Nama zuvor erleben musste.