TV-Tipp: "Lotte Jäger und das tote Mädchen" (ZDF)

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TV-Tipp: "Lotte Jäger und das tote Mädchen" (ZDF)
12.9., ZDF, 20.15 Uhr: "Lotte Jäger und das tote Mädchen"
ARD und ZDF erzählen in ihren Fernsehfilmen regelmäßig Geschichten, die zwar in der Gegenwart spielen, deren Wurzeln jedoch in der DDR liegen. Meist war das Ministerium für Staatssicherheit in die Verbrechen verwickelt. Besonders reizvoll sind Fälle, in deren Verlauf die heutigen Ermittler tief in die ostdeutsche Vergangenheit eintauchen müssen (etwa in "Für immer ein Mörder - Der Fall Ritter", ZDF 2014). Lotte Jäger macht nichts anderes...

Die Potsdamer LKA-Kommissarin (Silke Bodenbender) konnte nach zwölf Jahren Mordkommission keine Leichen mehr sehen und kümmert sich nun als Sonderermittlerin um "kalte Fälle" ("Cold Case" lautet der Titel einer ganz ähnlich angelegten US-Serie): ungeklärte Morddelikte, die irgendwann zu den Akten gelegt worden sind. Das Reihenpotenzial dieser von Dominik Grafs langjährigem Autor Rolf Basedow entwickelten Figur ist offensichtlich. Tatsächlich ist ein weiterer Film bereits in Planung.

Jägers erster Fall führt sie zum Haus Hubertusstock. Das Anwesen war schon zu Kaiserzeiten die offizielle Jagdresidenz des deutschen Staatsoberhaupts und wurde von der SED genutzt, um prominente ausländische Gäste zum Schuss kommen zu lassen; tagsüber im Wald, an den feuchtfröhlichen Abenden hinter verschlossenen Türen. Basedow ("Im Angesicht des Verbrechens"), der gemeinsam mit Graf alle wichtigen Fernsehpreise gewonnen hat, Koautor Ralf Zöller und Regisseurin Sherry Hormann beginnen den Film mit einem Wechselbad: Auf die sehr entspannte Einführung der Hauptfigur folgt eine clever montierte Rückblende ins Jahr 1988, die nahelegt, eine junge Frau werde von Jägern durch den Wald gehetzt. Ein Schnitt führt die Geschichte zurück in die Gegenwart und zu einer zufälligen Begegnung, die die beiden Handlungsebenen miteinander verknüpft und Lotte Jäger überhaupt erst ermitteln lässt.

Die Sequenz wirkt gerade dank der treibenden Musik von Fabian Römer ungeheuer dynamisch und packend, doch der Eindruck täuscht: Hormann nutzt die Thriller-Elemente nur zum Auftakt; fortan ist "Lotte Jäger und das tote Mädchen" ein ruhig und sachlich erzählter Film, in dem die Heldin nacheinander alle Beteiligten aufsucht. An der Qualität der Geschichte ändert das nichts: Die junge Frau aus dem Prolog ist damals erschlagen im Wald gefunden worden; ihr Freund musste ins Gefängnis. 27 Jahre später sieht er einen Beteiligten von früher in der U-Bahn. Bei einem Sturz auf der Treppe wird er zwar schwer verletzt, aber die Erzählungen seiner Frau genügen Lotte Jäger, um den Todesfall aufzurollen.

Der Reiz der Handlung liegt einerseits in der Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit, andererseits natürlich in der Frage, was damals wirklich passiert ist und welche Rolle die verschiedenen Beteiligten gespielt haben. Zu den Schauwerten des Films gehört neben den gut ausgewählten Schauspielern (unter anderem Anna Maria Mühe, Andreas Schmidt-Schaller, Robert Hunger-Bühler und Marie Gruber) auch der Drehort: Weite Teile der Handlung sind an den Originalschauplätzen entstanden. Ein gewisser Kitzel soll vermutlich auch durch die leicht kolportageartig wirkende Rekonstruktion eines typischen Bonzenfests entstehen. Tatsächlich jedoch werden diese Szenen ganz und von Isolda Dychauk dominiert. Schon mit der ersten Rückblende setzt Hormann ein entsprechendes Zeichen, als die Schauspielerin beim Lauf durch den Wald mit roter Lockenpracht und blauem Kleid von Regie und Kamera (Hanno Lentz) perfekt eingeführt wird. Umso erschütternder ist kurz drauf die Erkenntnis, dass die junge Birgit in der Nacht nach der Jagd ums Leben gekommen ist. Im Verlauf ihrer Nachforschungen rekonstruiert Jäger die Ereignisse und enthüllt Schicht um Schicht sämtliche Vertuschungsversuche, bis sie schließlich zur verblüffenden Wahrheit vorstößt.

Klassischer Krimi

Nach dem flotten Prolog wechselt der Film zwar deutlich den Aggregatszustand und wandelt sich zum klassischen Krimi, aber dank Silke Bodenbender, die die Ermittlerin mit viel Frische, Neugier und Lebensfreude versieht, bleibt "Lotte Jäger und das tote Mädchen" sehenswert. Geschickt war auch die Idee, die Kommissarin aus dem Westen stammen zu lassen: Das vergrößert einerseits die Kluft zwischen Ermittlerin und Zeugen und liefert andererseits einen plausiblen Vorwand für die vielen notwendigen Erklärungen der DDR-Verhältnisse. Dass sich Frau Jäger zwischendurch über ihren Mann ärgert, als der mit einer anderen flirtet, ist zwar überflüssig, aber weniger störend als Hormanns Verzicht darauf, Anna Maria Mühe als Birgits Freundin und Kollegin Sonja altern zu lassen: Der Zahn der Zeit hat ihr die Haare gekürzt, ansonsten sind die 27 Jahre spurlos an ihr vorübergegangen.