TV-Tipp: "Sarahs Schlüssel" (ARD)

TV-Tipp: "Sarahs Schlüssel" (ARD)
TV-Tipp: 17.7., ARD, 0.05 Uhr: "Sarahs Schlüssel"
Die Geschichte ist Fiktion, aber sie könnte sich genauso zugetragen haben; und der historische Hintergrund ist ohnehin authentisch. Gilles Paquet-Brenner, in Frankreich vor allem als Regisseur von Action-Filmen bekannt, hat sich eines Themas angenommen, um das die Franzosen auch nach knapp siebzig Jahren lieber einen Bogen machen: die Deportation der Pariser Juden im Juli 1942.

Ein einziger Satz bringt das Dilemma auf den Punkt. Er fällt in der Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt. Eine alte Frau, damals Zeugin der Deportation, fragt mit bitterer Ironie: "Was hätten wir denn tun sollen? Die Polizei rufen?!" Es waren uniformierte Pariser Polizisten, die die Verhaftungen durchgeführt haben.

Die eigentliche Handlung des Films aber ist eine andere. Das Drehbuch (Serge Joncour und Paquet-Brenner) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Tatiana De Rosnay (auf deutsch bei Bloomsbury und im Berlin Verlag). Titelfigur ist ein zehnjähriges jüdisches Mädchen. Als Sarah Starzynski (Mélusine Mayance) klar wird, dass ihre Eltern verhaftet werden sollen, versteckt sie ihren kleinen Bruder hinter einer verschließbaren Tapetentür und beschwört ihn, sich nicht zu rühren. Fortan klammert sie sich an den Schlüssel in ihrer Hand, damit sie nicht vergisst, ihren Bruder zu befreien.

Doch das ist nur die eine Ebene des Films. Die andere spielt in der Gegenwart und erzählt von der amerikanischen Journalistin Julia (Kristin Scott Thomas). Sie soll für ein internationales Nachrichtenmagazin an die Ereignisse des Jahres 1942 erinnern. Zur gleichen Zeit lässt ihr Mann Bertrand (Frédéric Pierrot) die Wohnung seiner Eltern renovieren. Als sie rausfindet, dass die Familie die Wohnung seit 1942 besitzt, beginnt sie zu recherchieren. Parallel dazu erzählt Paquet-Brenner Sarahs Geschichte: Gemeinsam mit über 10.000 weiteren Juden harren sie und ihre Eltern bei brütender Hitze und ohne Wasser im Pariser Velodrom ihres Schicksals. Nach dem Transport in ein Lager vor den Toren der Stadt und der Trennung von ihrer Mutter gelingt Sarah die Flucht. Ein barmherziges altes Ehepaar (als späterer Ziehvater: Niels Arestrup) fährt mit ihr in die Stadt, um nach ihrem Bruder zu schauen.

Mit großem Geschick verbindet das Drehbuch die beiden Erzählstränge. Nicht nur inhaltlich, auch ästhetisch handelt es sich im Grunde um zwei völlig verschiedene Filme. Sarahs subjektive Sicht ließ Paquet-Brenner mit der Handkamera (Pascal Ridao) drehen. Auf diese Weise erlebt man die barbarischen Ereignisse aus unmittelbarer Nähe. Doch auch Julias Ebene entwickelt eine derartige Intensität, dass schon allein die große Emotionalität wie eine Klammer wirkt. Gleichzeitig lebt der Film auch von der Neugier, denn natürlich will man wissen, was aus dem kleinen Jungen geworden ist und wie Sarahs Leben nach dem Krieg weiter ging. Nicht zuletzt in der Fortschreibung ihrer Geschichte liegt der große Mehrwert des Films, denn im Roman verliert Autorin De Rosnay ihre Heldin einfach aus den Augen.

Julias Recherchen führen sie schließlich erst nach New York und dann nach Florenz, wo sie Sarahs Sohn trifft, der die Geschichte seiner Mutter gar nicht kennt. Dass es Paquet-Brenner gelungen ist, für diese vergleichsweise winzige Rolle Aidan Quinn zu gewinnen, rundet die herausragenden schauspielerischen Leistungen des Films ab. Kristin Scott Thomas ist gerade wegen ihres sparsamen Spiels sowieso eine großartige Besetzung, zumal Julia, nach jahrelangen vergeblichen Versuchen endlich schwanger, schockiert feststellen muss, dass ihr Mann gar kein zweites Kind mehr haben will. Als Naturtalent entpuppt sich auch die junge Mélusine Mayance, die Paquet-Brenner zu einer zwar berührenden, aber nie gefühligen Leistung führt. Ohnehin ist es dem Regisseur auf bemerkenswerte Weise gelungen, diese zutiefst emotionale und immer wieder tragische Geschichte vergleichsweise unsentimental zu erzählen. Gemessen daran ist der ergreifende Epilog fast schon hemmungslos rührselig.