So evangelisch sind die AfD-Wähler

"Jesus Christus gehört zu Deutschland" steht auf einem Plakat bei einem AfD-Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung im Oktober 2015.
Foto: imago/Christian Ditsch
AfD-Protest in Berlin: "Religiosität kann sowohl vor Vorurteilen schützen, als auch Vorurteile bestärken", sagt Hilke Rebenstorf.
So evangelisch sind die AfD-Wähler
Was weiß man über die Sympathisanten der AfD und welche Rolle spielt die Religionszugehörigkeit? Hilke Rebenstorf vom Sozialwissenschaftlichen Institut gibt im Interview Einblick in das Handwerk der Meinungsforschung.

Wer wählt in evangelischen Kreisen die AfD oder sympathisiert mit ihr?

Hilke Rebenstorf: Die AfD ist ein noch sehr junges Phänomen. In vielen allgemeinen Bevölkerungsumfragen ist die Frage nach der AfD-Wahl noch gar nicht gestellt worden. Trotzdem hat sich die Partei in dieser kurzen Zeit ihres Bestehens bereits stark gewandelt. Wer 2013 sein Kreuz auf dem Wahlzettel bei der AfD gemacht hatte, wählt sie möglicherweise heute nicht mehr. Damals prägte Bernd Lucke die Partei, heute sind Alexander Gauland, Frauke Petry und Beatrix von Storch die führenden Köpfe. Mittlerweile gibt es ein paar Wahlanalysen, die Auskunft über die Wähler geben. So hat die Forschungsgruppe Wahlen zum Beispiel anlässlich der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 13. März 2016 Wähler nach ihrer Konfessionszugehörigkeit und Kirchganghäufigkeit gefragt. Konkret wurden vor der Wahl vom 7. bis zum 11. März 1.037 und am Wahltag 18.000 ausgewählte Wahlberechtigte in 160 Wahlbezirken nach Alter, Schulbildung, beruflicher Stellung und Konfessionszugehörigkeit befragt. Die AfD wird überwiegend von jungen und kaum von älteren Männern gewählt. Frauen, die die AfD wählen, sind hingegen meist mittleren Alters. Dass eine neue Partei eher von jüngeren Männern gewählt wird ist typisch. Eine Ausnahme von dieser Regel bildeten die Grünen. Die Grünen wurden von Anfang an auch von Frauen gewählt. Das lag an ihren speziellen Schwerpunkten. Aus der Wahlforschung weiß man, dass ältere Menschen aufgrund ihrer jahrzehntelangen gewohnten Parteibindung sich nur schwer auf eine neue Partei einlassen. Schon allein, weil sie nicht mehr so experimentierfreudig sind.

Sind viele Protestanten unter den Wählern der AfD?

Rebenstorf: Tatsächlich wählen mehr Protestanten als Katholiken diese Partei. In Rheinland-Pfalz haben 13 Prozent aller Protestanten und zehn Prozent der Katholiken sie gewählt. Am stärksten ist die AfD jedoch unter den Konfessionslosen. Der Anteil Konfessionsloser in Rheinland-Pfalz ist mit 17 Prozent der Gesamtbevölkerung aber zu gering, als dass die meisten Wähler der AfD tatsächlich konfessionslos sind. 19 Prozent aller konfessionslosen Wahlberechtigten haben ihr Kreuz auf dem Wahlzettel dort gemacht.

Und welche Rolle spielt die Religionszugehörigkeit bei den AfD-Sympathisanten?

Rebenstorf: In Sachsen-Anhalt gibt es nur wenige Kirchenmitglieder. Da lässt sich nicht viel sagen. In Baden-Württemberg hingegen gibt es keine Auffälligkeiten bezüglich der Konfessionszugehörigkeit der AfD-Wähler, was aber auch nicht weiter verwunderlich ist. Die evangelische Kirche ist mit deutschlandweit knapp 23 Millionen Mitgliedern immer noch eine Volkskirche, auch in Baden-Württemberg. Entsprechend werden dort auch Positionen vertreten, wie sie sonst auch in der Bevölkerung üblich sind. Evangelische Kirchenmitglieder sind nicht immun gegenüber vorhandenen Einstellungen. Was aber heißt Konfessionszugehörigkeit heute? Ist sie tatsächlich damit verbunden, dass man glaubt? Wir wissen mittlerweile, dass Religiosität neben der Konfessionszugehörigkeit weitere Dimensionen hat. Charles Y. Glock hat in den 1950er Jahren ein Model der verschiedenen Dimensionen von Religiosität entwickelt, das in Deutschland von Stefan Huber weiter ausgearbeitet wurde: die intellektuelle Dimension, die tatsächliche Glaubensdimension, die öffentliche Praxis und die private Praxis, die religiösen Erfahrungen sowie mögliche Konsequenzen des Glaubens für das eigene Leben. Wir können klar sagen, dass die Einstellung, also auch mögliche Diskriminierungstendenzen und Vorurteilsstrukturen, gekoppelt sind mit Religiosität, aber nicht mit der Konfessionszugehörigkeit.

Je fundamentalistischer, umso mehr neigt man also zu Diskriminierungen?

Rebenstorf: Ja. Das gilt aber nicht grundsätzlich. Wir wissen, wenn jemand sehr stark religiös ist, dann neigt er eher zur Homophobie, lehnt also Homosexualität ab. Er neigt aber nicht zum Rassismus. Es gibt bestimmte Formen der Religiosität, die sich unterschiedlich auswirken, je nachdem wie exklusiv die eigene Religion empfunden wird. Es gibt sehr religiöse Menschen, die einerseits einen gemeinsamen Glaubenskern mit anderen Religionen zugestehen und wiederum andere, die Gemeinsamkeiten ablehnen und die Unterschiede betonen. Religiosität kann sowohl vor Vorurteilen schützen, als auch Vorurteile bestärken.

Was wissen Sie noch über AfD-Sympathisanten?

Rebenstorf: Aus der Wahlforschung wissen wir, dass Menschen normalerweise ihre Partei aus Überzeugung wählen. 75 bis 80 Prozent der Wähler sagen: "Ich habe die Partei gewählt, weil ich von ihr überzeugt bin." Bei der AfD jedoch verhält es sich anders. Sie hat lediglich 20 Prozent so genannte Überzeugungswähler. Viele wissen nicht, wofür diese Partei eigentlich steht. Daran erkennt man das große Protestpotential. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass viele Befragte sagten: "Wenn möglich, hätte ich auch gern die CSU gewählt". Es scheint so etwas wie eine Repräsentationslücke im konservativen Parteienspektrum zu geben.

Wie misst man die politische Einstellung bei Wahlumfragen?

Rebenstorf: Indem die Menschen nach der Wahl, wenn sie das Wahllokal verlassen, befragt werden. Sie werden nach bestimmten Stichprobenkriterien ausgewählt und gebeten, anonym anzugeben, wie sie gerade gewählt haben. Welcher Wahlbezirk ausgesucht wird, wird  wiederum repräsentativ ausgewählt.

Und wie schafft man es, ehrliche Antworten von den Befragten zu erhalten?

Rebenstorf: Die Frage, wer was gewählt hat, ist relativ unproblematisch. Danach kann man direkt fragen. Manchmal wird einem die Antwort verweigert. In allgemeinen Bevölkerungsumfragen werden mehrere Fragen gestellt. Beispielsweise gibt es die Frage nach der Parteibindung. Sie kann eingeleitet werden mit: "Viele Menschen neigen in Deutschland längere Zeit einer Partei zu. Wie ist das bei Ihnen?" Damit signalisiert man dem Befragten, das es ganz normal ist, einer Partei zugeneigt zu sein. Dann lässt sich fragen: "Wie ist das denn bei Ihnen?" Oder man fragt nach der Parteiensympathie. In Umfragebögen wird dazu oftmals ein Thermometer dargestellt, das vielen Menschen aus dem Politbarometer im Fernsehen bekannt ist. Anhand einer Skala von -5 bis +5 wird die Intensität von Sympathie abgefragt. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat eine gute Fragemethodik entwickelt, um bei heiklen Themen Menschen nach ihrer Meinung zu befragen. So werden zwei verschiedene Positionen nebeneinander gestellt. Dazu heißt es: "Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein. Da gibt es diese Person A, die sagt…" und dann folgt irgendetwas Positives über eine Partei, meistens ein Argument, das aus den Medien bekannt ist. Weiter geht es dann "Person B sagt hingegen …" und dann folgt ein gängiges negatives Argument. Dann wird gefragt: "Welcher Meinung stimmen Sie eher zu?" Dadurch werden beide Ansichten zunächst als legitim dargestellt und der Befragte kann sich auch legitimer Weise entscheiden.

Ist es für manche nicht ein Tabu, öffentlich zu sagen, dass sie AfD-Mitglied sind?

Rebenstorf: Die AfD hat fast gar keine Mitglieder. So hatte die Partei in Sachsen-Anhalt zur Zeit der Wahl 300 Mitglieder. Sie ist eine Partei, in die man nicht eintritt, sondern die man im Zweifel wählt. In Sachsen-Anhalt hat sie 25 Prozent der Stimmen bekommen.

Wie lässt sich die Sympathie zur AfD erfragen?

Rebenstorf: Vorstellbar ist folgende Frage: "Es gibt ja unterschiedliche Vorstellungen oder Einstellungen zur AfD oder Beurteilungen dieser Partei. Die Person A sagt: 'Die AfD ist viel zu nah an der NPD und rechtsextrem'. Wohingegen die andere Person sagt: 'So pauschal kann man das überhaupt nicht sagen. Die AfD macht doch das und das und das'. Dann fragt man: "Welcher Ansicht stimmen Sie eher zu?" So wird einem mitgeteilt, mit welcher Ansicht der Befragte eher sympathisiert.

"Die AfD hat überall noch stark den Nimbus einer Protestpartei."

Mit welchem Selbstverständnis treten viele AfD-Sympathisanten auf?

Rebenstorf: Das lässt sich nur schwer sagen. Die AfD gibt sich ja nicht überall gleich und hat viele Gesichter. Eine Studie des Otto-Brenner-Instituts untersuchte die Politiker und die Landesprogramme der Parteien vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt dahingehend, wie unterschiedlich auf die spezifische Bevölkerung in den jeweiligen Bundesländern eingegangen wird. So gab es in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr eine große Kampagne gegen den Sexualkundeunterricht in den Schulen, gegen "Gender-Dikatatur" und für ein traditionelles Familienbild. Dieses Thema konnte die AfD aufgreifen, um das konservativ-bürgerliche Milieu zu erreichen. In Sachsen-Anhalt wiederum kommt man nicht so gut wie in Baden-Württemberg mit einem konservativen Familienbild an. Dort gab es eine andere Stoßrichtung. In Sachsen-Anhalt lässt sich die Bevölkerung stärker über die Flüchtlingspolitik polarisieren. In Baden-Württemberg ist ein Wirtschaftsprofessor der Parteivorsitzende, in Sachsen-Anhalt ist ein anderer Typus im Vorsitz vertreten. Die AfD ist sehr unterschiedlich ausgeprägt und hat überall noch stark den Nimbus einer Protestpartei.

Um christliche AfDler zu erreichen, stehen die Befrager bestimmt nicht nach einem Gottesdienst am Kirchenausgang. Wie erreicht man ein repräsentatives Umfrageergebnis?

Rebenstorf: Nach dem Gottesdienst am Kirchenausgang stehen? Bei den wenigen Gottesdienstbesuchern käme man damit heute nicht mehr weit. Das Politbarometer oder DeutschlandTrend befragt für kleinere Meinungsuntersuchungen zwischen 1.000 und 1.200 Menschen. Die Auswahl funktioniert oftmals per Zufallsauswahl aus Telefonlisten. Quotenvorgaben sorgen für den repräsentativen Durchschnitt. Dem Gespräch am Telefon sind Fragen vorgeschaltet, damit tatsächlich gleich viele Männer und Frauen in den verschiedenen Alters- und Bildungsgruppen regional in Deutschland verteilt erreicht werden. Bei einer mündlichen Befragung hat man in der Regel, das nennt sich Sample Points, bestimmte Straßenecken von denen aus man nach einem festgelegten Muster Haushalte abklappert und dort klingelt. Die Auswahl der Befragten in den Privathaushalten erfolgt dann nach einer festen Vorgabe. Es wird beispielsweise diejenige Person ausgewählt, die als nächste Geburtstag hat, oder eine weibliche Person eines bestimmten Alters, oder der Haushaltsvorstand (der auch weiblich sein kann) und Ähnliches. Ist diese Zielperson nicht zu Hause, muss der Interviewer sie eventuell mehrmals aufsuchen. Eine Schwierigkeit hierbei ist, dass viele Menschen einen nicht gern in die Wohnung lassen. Und Telefoninterviews sind einfach deutlich preiswerter. Alles hat aber verschiedene Vor- und Nachteile.

Was kann man mit den Umfrageergebnissen in der evangelischen Gemeindearbeit anfangen?

Rebenstorf: Das Phänomen der AfD als soziale Bewegung bleibt spannend. Interessant wird es, wenn die AfD mit "Pegida" zusammengebracht wird: "Pegida" als die 'Schmuddelkinder' und die AfD zumindest auf parlamentarischer Ebene als bürgerliche Sache. Es sagt mir nichts, wenn einer lediglich sagt, er habe die AfD gewählt. Das ist eine Nullinformation. Damit kennen wir noch nicht die Motivation für diese Entscheidung. Es ist wichtiger zu wissen, aus welchen Gründen diese Wahl getroffen wurde. Wegen eines politischen Themas oder aus einer allgemeinen Unzufriedenheit heraus? Diese Aspekte muss ich kennen, um gezielt etwas unternehmen zu können. Gerade in Kirchengemeinden lässt sich miteinander reden, man kann einander zuhören und erfahren, was gerade bewegt. Das lässt sich aufgreifen.