"Wir müssen Flüchtlingen unsere Welt erklären"

Zu Gast bei "hart aber fair" am 29.02.2016 (v.l.n.r): Cem Özdemir, B‘90/Grüne, Bundesvorsitzender, Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender und stellv. Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG, und Petra Bosse-Huber, Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in
Foto: WDR/Dirk Borm
Petra Bosse-Huber (re) mit Cem Özdemir und Uwe Hück bei "hart aber fair".
"Wir müssen Flüchtlingen unsere Welt erklären"
Bischöfin Petra Bosse-Huber über Integration und Arbeit
"Der Integrations-Check", so hatte die "Hart aber fair"-Redaktion die Talksendung am Montagabend überschrieben. Dass die Diskussion mit Frank Plasberg weniger platt als der Titel ausfiel, lag nicht zuletzt an der Gästeauswahl. Probleme bei der Ausbildung junger Flüchtlinge wurden aufgedeckt, Lösungsvorschläge kamen auf den Tisch. Auch EKD-Kirchenamts-Vize Petra Bosse-Huber brachte Ideen mit.

Es sollte ein Vorbild an Integration sein: In Templin, der Heimatstadt von Kanzlerin Angela Merkel, hat eine Gruppe Unternehmer Praktikumsplätze für Flüchtlinge ausgeschrieben. Das Ergebnis war ernüchternd. "Über 80 Prozent haben abgebrochen", erzählte Bürgermeister Detlef Tabbert am Montagabend bei "Hart aber fair". Einer von den Abbrechern ist Asif. "Ich musste acht Stunden stehen und Holzleisten stapeln. Das bin ich nicht gewohnt. Ich hatte danach keine Kraft fürs Fußballtraining", sagte er im Interview. Er will nun Deutsch lernen und studieren. Auch beim 19-jährigen Clement aus Ghana gab es Probleme. In einem Malerbetrieb hat er als Lehrling angefangen. "Er verhielt sich wie ein Dienstbote, hat uns alles abgenommen", erzählt sein Chef im Einspielfilm. "Das wird in Ghana erwartet. Ich habe ihm erklärt, dass wir ein Team sind."

"Jung, männlich, ungebildet? Der Integrations-Check" – unter diesem saloppen Titel fragte Frank Plasberg nach den Chancen von Flüchtlingen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Aus Sicht von Asylgegnern können es die Geflüchteten nur falsch machen: Entweder sie gehen nicht arbeiten und nutzen dann "unser Sozialsystem aus" – oder sie gehen arbeiten und "nehmen uns Deutschen die Arbeitsplätze weg". Vielleicht verzichtete die Redaktion deshalb darauf, jemanden aus diesem Lager einzuladen. Die gesamte Sendung verlief dadurch ungewohnt harmonisch und konstruktiv.

"Wir brauchen bis 2025 mehr Arbeitskräfte"

"Wir müssen mit der Idealisierung von Flüchtlingen aufhören. Das sind genauso normale Leute wie wir. Es gibt Fleißige, Faule, Gebildete und Ungebildete", sagte Bischöfin Petra Bosse-Huber, Vizepräsidentin im EKD-Kirchenamt. Sie kenne genug Deutsche, die sich genauso verhalten würden wie Asif. "Damit ist der Weg nicht zu Ende, damit fängt der Weg an. Die Jugendlichen kommen aus einer Welt, die anders ist. Sie brauchen Dolmetscher, Integrationskurse und vor allem Menschen, die ihnen unsere Welt erklären", forderte die Bischöfin.

Vielen Flüchtlingen fehle es an Bildung, sagte Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. "Was sie mitbringen, reicht nicht, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen." Als erstes müssten sie Deutsch lernen und sich dann schulisch und beruflich qualifizieren. "Wir müssen viel investieren. Das zahlt sich später aus", sagte Wößmann. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir glaubt sogar an einen unmittelbaren Vorteil der Investitionen: "Wir sollten die Flüchtlinge als Katalysator für notwendige Modernisierungen am Arbeitsmarkt sehen. Wir brauchen neue Instrumente. Uns ist es nicht gelungen, dass Langzeitarbeitslose vom Boom am Arbeitsmarkt profitieren." Auch Uwe Hück, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG, sieht Vorteile: "Wir brauchen bis 2025 mehr Arbeitskräfte. Deshalb müssen wir jeden integrieren."

Doch auch wenn für alle Gäste der Schlüssel zur Integration die deutsche Sprache ist, mangelt es an Deutschkursen. Auch wenn der Arbeitsmarkt brummt, behindern Regelungen wie die Vorrangprüfung den Einstieg der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Angesichts der jetzigen Ausnahmesituation forderte Wößmann, solche Gesetze für ein bis zwei Jahre auszusetzen.

"Lernen, was sie in Deutschland erwartet"

Eine pragmatische Lösung schlug auch Petra Bosse-Huber vor: Da viele Flüchtlinge wegen Sprachbarrieren am Theorieteil einer Ausbildung scheiterten, müsse man umdenken. Sie plädierte für eine gestaffelte Berufsbildung: Nach einem Jahr Ausbildung könnten die Flüchtlinge beispielsweise arbeiten, ihre Sprachkenntnisse verbessern und sich anschließend weiter qualifizieren. Dass viele die Ausbildung abbrächen, um woanders "schnelles Geld" zu verdienen, wie Plasberg sagte, ließ die Bischöfin nicht gelten: "Das hört sich immer so an, als ob die Leute Reibach machen wollten. Viele Jugendliche übernehmen Verantwortung für ihre Familien, die irgendwo festsitzen. Deshalb benötigen sie Geld. Wir müssen einen Weg finden, sie gleichzeitig auszubilden."

Templins Bürgermeister Detlef Tabbert beobachtet, dass vor allem Syrer motiviert seien, am Arbeitsmarkt weiterzukommen. "Die anderen sind deprimiert, weil Deutschland ihnen nicht garantieren kann, dass sie hierbleiben." Der Grünen-Politiker Cem Özdemir forderte, dass in den Verfahren schneller entschieden werden müsse: "Afghanen warten bis zu 13 Monate, Somali bis zu 14 Monate. Das ist verlorene Zeit." Damit es für Menschen wie Afis keine verlorene Zeit ist, starten Wirtschaft und Politik in Templin einen neuen Versuch. "Wir müssen fair sein und die Sache beim zweiten Mal anders angehen. Die Jugendlichen sollen die Chance haben zu lernen, was sie in Deutschland erwartet", erklärte Tabbert. Ob der junge Afghane in Templin bleiben darf, kann er ihm jedoch nicht sagen. Seine Zukunft in Deutschland ist genauso ungewiss wie die von Clement.