Wenn der Glaube in die Pubertät kommt

Foto: khuntapol - Fotolia
Wenn der Glaube in die Pubertät kommt
Launenhaftigkeit und emotionale Wechselbäder in Kombination mit der abweisenden Stacheligkeit eines Kaktus fordern Eltern pubertierender Kinder heraus. Aber nicht nur die Beziehung zu den Eltern verändert sich in der Pubertät. Auch der Glaube macht einen Wandel durch.

Lisa ist vierzehn und sie steckt mitten in der Pubertät. Vorbei die Zeiten, in denen sie den Eltern selbstverständlich und vertrauensvoll Einblick in das gab, was sie bewegt, und in denen sie ihre wichtigsten Bezugspersonen waren. Zur gelegentlich durchaus zoff- und emotionsgeladenen Ablösung vom Elternhaus kommt Lisas Abschied vom eigenen religiösen Kinderglauben. Denn sie stellt auch den Glauben an den "lieben Gott" ihrer Kindertage in Frage, der alles kann und immer da ist.

Der dänische Familientherapeut Jesper Juul wird nicht müde zu betonen: "In der Pubertät tun Kinder, was sie tun müssen: Sie wachsen." Allerdings ist dieses Wachstum mit Wachstumsschmerzen verbunden. Denn gesteuert durch die Ausschüttung von Sexualhormonen sind Körper und Seele im Umbau. Pubertierende haben mit Stimmungsschwankungen und Pickeln zu kämpfen. Sie sind unzufrieden mit ihrem Äußeren, sind sehnsuchtsvoll und unsicher im Blick auf das andere Geschlecht. Selbstzweifel paaren sich mit Größenfantasien und die Frage, wer sie denn eigentlich sind.

Der Tübinger Professor für Religionspädagogik Alfred Biesinger hält es für normal und wichtig, dass sich in der Pubertät auch der Glaube wandelt. "Der Glaube häutet sich genauso, wie sich die Gestalt vom Jungen zum Mann und vom Mädchen zur Frau häutet", so Alfred Biesinger. Er fände es nicht sehr günstig, wenn ein Erwachsener "immer noch mit seinem Kindheitsglauben herumlaufen würde und sich nicht auch einmal den Zweifeln gestellt hätte".

Denn so wie Pubertierende ihre Eltern nicht länger idealisieren, sondern sie mit ihren Fehlern und Schwächen wahrnehmen, äußern sie auch im Blick auf Gott, Kirche und Glauben Zweifel: "Wo ist Gott im Leiden - wenn es ihn überhaupt gibt? Wie kann der Gott, den die Eltern als guten Vater vorgestellt haben, Krankheit, Schrecken, Tod und Krieg zulassen? Wieso ist die Welt, wie sie ist? Bedroht, ungerecht, böse? Wie passen Naturwissenschaft und Glaube zusammen?", so lauten die Fragen.

Bei Lisa wurden diese in der Pubertät aufbrechenden Fragen durch den vermutlichen Selbstmord eines Freundes so verschärft, dass sie eine massive Essstörung entwickelte. Zum Glauben ist sie radikal auf Distanz gegangen. Für ihre Mutter, Renate Schmied* (Name geändert)  ist das eine doppelte Herausforderung. Denn sie selbst kam erst vor zwei Jahren durch einen Glaubenskurs in Kontakt zum christlichen Glauben. Auf viele Fragen, die ihre Tochter stellt, sucht sie selbst eine Antwort.

Gott entgegenzweifeln

Albert Biesinger sieht in den in der Pubertät aufbrechenden Zweifeln eine Chance für einen vertieften Glauben von Kindern und Eltern: "Es gilt nicht, das Zweifeln auszutreiben, sondern Zweifel ernst zu nehmen und als Chance zu verstehen, denn Zweifel sind immer auch Denkherausforderungen", sagt der vierfache Vater, der sich in seiner Familie und in mehreren Büchern intensiv mit dem Thema Glauben in der Pubertät auseinandergesetzt hat.

Die Pubertät ihrer Kinder kann Eltern einen Anstoß geben, selbst neu nach Gott zu fragen und eine Wandlung des eigenen Glaubens zu erleben. Voraussetzung dafür ist für Biesinger "die Sehnsucht nach einem beziehungsreichen Leben, die Sehnsucht nach Menschen, auf die Verlass ist, die Sehnsucht nach einem Gott, der mich kennt und annimmt und dennoch unendlich größer ist als alles, was ich denken kann".

Sich mit dem Verständnis der christlichen Botschaft immer wieder neu zu beschäftigen, ist eine Aufgabe, die auch Eltern lebenslang herausfordert. Die sich im Lauf des eigenen Lebens wandelnden Situationen werfen immer wieder neue Fragen auf. Eltern, die mit ihren kleineren Kindern vielleicht ganz unbefangen Bilderbücher zur Schöpfung oder zur Arche Noah betrachtet haben, erleben mit, wie ihre Kinder spätestens in der Pubertät kritische Fragen stellen: "Wie ist das alles zu verstehen? Widerspricht nicht die Naturwissenschaft den biblischen Schöpfungserzählungen?" So kann die Pubertät der Kinder durchaus Anlass sein, sich selbst mit dem bis dahin womöglich unreflektierten eigenen Verständnis der Bibel zu befassen und sich für eine differenziertere Lesart zu öffnen, die verstehen will, wann und wie biblische Texte entstanden sind, und sie nicht einfach unhistorisch für "wahr" zu halten.

Gerade in Umbruchzeiten wie der Pubertät kommt es weniger auf fertige, unverrückbare Antworten, auf statische Glaubensüberzeugungen und feste Gewissheiten an als auf Gesprächsbereitschaft sowie auf eine "Grund-legende" Atmosphäre des Vertrauens und der Verlässlichkeit. Dazu gehört auch, eigene Fragen und Zweifel einzugestehen. Ein "Ich weiß das auch nicht" kann hilfreicher sein als ein Beharren auf vermeintlich dogmatisch richtigen Antworten.

Renate Schmiedt jedenfalls hat sich entschlossen, ihre Tochter vertrauensvoll auf deren schwierigen Weg zu begleiten und sie dennoch loszulassen. "Ich muss sie ihren Weg gehen lassen. Das könnte ich kaum, wenn ich nicht wüsste, dass Gott dennoch da ist", sagt sie. Zugleich ist die Pubertätskrise ihrer Tochter Anlass für Renate Schmied, eine Wandlung im eigenen Gottesbild zuzulassen: Gott auch im Leiden zu vertrauen, ernst zu nehmen, dass auch Jesus selbst das Leiden kennt. Zu erleben, dass Glauben nicht heißt, unangefochten und ohne Fragen und Krisen zu leben - das ist für sie eine wichtige Vertiefung ihres eigenen Glaubens, auf die sie nicht verzichten möchte.