Der Generationenvertrag rückt weiter in Schieflage

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Der Generationenvertrag rückt weiter in Schieflage
Immer weniger Junge müssen für immer mehr Alte aufkommen, vom "Krieg der Generationen" ist oft die Rede. "2030 treten für zehn neue Ruheständler nur fünf neu in den Arbeitsmarkt ein", sagt Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts Bevölkerung und Entwicklung, bei der Podiumsdiskussion im Zentrum Älterwerden auf dem Kirchentag.

"Die Alten beuten die Jungen aus." So lautet einer der provokanten Sätze über das Alter, die bei den Mitmachangeboten im Zentrum Älterwerden an der "Papierknüllmaschine" symbolisch vernichtet werden können. "Der Spruch empört mich", sagt eine 82-jährige, mit vier Kindern und geringer Rente, und legte den hellblauen Zettel in die Maschine, die – eine Mischung aus Kunst und Technik – nach mehreren Minuten den perfekt geknüllten Papierball ausspuckt.

Podium mit Moderatorin Sandra Y. Stiegler (von links), Bischof Fischer, Ursula Weidenfeld, Franz Müntefering.
Im ersten großen Podium des Zentrums geht es am Donnerstag um Generationengerechtigkeit. Immer weniger Junge müssen für immer mehr Alte aufkommen, vom "Krieg der Generationen" ist oft die Rede. Die Silberhaare im Saal verabschieden zwar keine Resolution. Aber sie applaudieren immer wieder zu den unbequemen Fakten und Appellen, mit denen Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts Bevölkerung und Entwicklung, und die anderen Experten sie konfrontieren. Klingholz erklärt, wie der Generationenvertrag – die mittlere Generation unterstützt die junge und die alte Generation – in die Schieflage rückt. "2030 treten für zehn neue Ruheständler nur fünf neu in den Arbeitsmarkt ein." - "Wir vererben Staatsschulden, Pensionsversprechen, das Bruttoinlandsprodukt von zwei Jahren an Verbindlichkeiten." Der Klimawandel durch das Verheizen fossiler Reserven, die Erosion der Ackerböden und das Bevölkerungswachstum in den armen Ländern führten künftig zu mehr Flüchtlingsströmen, so Klingholz. Seine Klage: "Wir nutzen die letzte Phase einer demographischen Dividende, die sich erzielen lässt, wenn großer Anteil der Bevölkerung im Erwerbsleben ist. Den Babyboomern verdanken wir die aktuellen Rekordsteuereinnahmen. Aber das wird nicht so bleiben. Wir legen in dieser Phase zu wenig zurück. Wir planen nicht für Flüchtlinge, Klimawandel und den Pflegebereich. Wir erfinden immer neue Wohltaten für die wachsende Gruppe der Älteren, die von der schrumpfenden Gruppe finanziert werden muss."

Was tun, "ohne sich im Geflecht hunderter Reformvorschläge zu verheddern?" Bildung gehört laut Klingholz zum wichtigsten, und zwar vor allem im frühkindlichen Bereich, um benachteiligten Kindern gerechte Startchancen mitzugeben. Und weil Bildung hilft, produktiver und länger zu arbeiten, die Kriminalitätsraten senkt und die Gesundheit fördert. "Familienförderung" würde falsch verstanden. Wer Kinder habe, fördere die Restgesellschaft. Bis zu Bismarcks Sozialgesetzgebung waren Kinder die Altersvorsorge. Heute investierten Eltern doppelt in die Rentenversicherung, durch Steuern und die Kosten für die Kinder, ohne es doppelt zurück zu bekommen.

Die Wachstumsglaube müsse aufhören. Statt sich für Wohlstand weiter zu verschulden, müssten Gesellschaftsmodelle gesucht werden, die möglichst vielen ein Wohlergehen ermöglichen, auch bei wirtschaftlicher Stagnation. 

40 Jahre Lebensarbeitszeit, 20 Jahre Ruhestand

"Heute haben wir vierzig Jahre Lebensarbeitszeit und zwanzig Jahre Ruhestand", rechnet Klingholz vor: "Wenn die Lebenserwartung alle zehn Jahre um zwei bis drei Jahre steigt, können wir nicht erwarten, dass die Zeit der Freizeit dient, die von einer kleiner werden Gruppe finanziert wird. Zwei Drittel Arbeit, ein Drittel Ruhestand, das ist transparent. Dann sind wir 2060 bei einem Renteneintrittsalter von 70 Jahren. Es braucht sehr viel höhere Mathematik, die Rente mit 63 zu rechtfertigen. Der Sozialstaat ist die Kriegskasse für die Wiederwahl, weil ein wachsender Teil der Wähler profitiert." Raunen und wieder Applaus im Publikum. "Ich würde auch gern früher aufhören, aber wir machen uns Sorgen um die Zukunft unserer fünf Kinder", so hatte ein Zuhörer  seine Wahl des Podiums begründet. Die Sorge um die "Generation Praktikum" wurde wiederholt geäußert.

Alle müssen länger aktiv bleiben, vielleicht auch in einem neuen Beruf in der Phase jenseits der fünfzig, wie Podiumsgast Ursula Weidenfeld, Wirtschaftsjournalistin, riet. Oder im freiwilligen Ehrenamt? Franz Müntefering, früherer Arbeits- und Sozialminister, formulierte klar: "So lange dein Kopf klar ist, bist du mitverantwortlich für das, was passiert. Helfen, wer Lust hat, das funktioniert nicht. Ob das Arbeiten bezahlt wird, ist egal."

Lebenserwartung von 100 Jahren

So egal doch nicht: "Welcher Arbeitgeber nimmt mich mit Ende 50?", fragte jemand aus dem Publikum. Nein, es werde keinen Kriege der Generationen geben, sagt Franz Müntefering: "Es werden sich nicht die reichen Alten mit den armen Alten gegen die Jungen verbünden, oder alle Jungen gegen alle Alten." Denn nur 70 Prozent seien im Alter abhängig von Renten und Steuern, 30 Prozent nicht. "Wer ein bestimmtes Einkommen hat, der schiebt das Problem den anderen zu. Der macht seinen Weg."

Hinter der Frage nach der Gerechtigkeit zwischen Alt und Jung tauchte die Frage nach der Umverteilung zwischen arm und reich auf. "Warum haben Sie als Minister im Amt angesichts der Probleme nichts getan?", fragt die Moderatorin Sandra Y, Stiegler aus Magdeburg in Richtung Politik nach. Ihre zweijährige Tochter hat eine Lebenserwartung von 100 Jahren, so hatte sie zu Beginn dem Publikum die Bedeutung des Themas vor Augen gemalt. Müntefering reagiert erst patzig und erklärt dann, dass die Rente mit 67 eine der unpopulären Entscheidungen war, nach der die SPD die Wahl verloren hatte. Zehn Jahre ist das her, das ist den Jungen nicht so im Gedächtnis wie ihm. Und Ursula Weidenfeld erinnert an das Steuerkonzept der Grünen bei der letzten Bundestagswahl, was mit zu Stimmenverlusten führte. Wobei sie selbst eher dafür sei, dass Vermögende Stiftungen unterhalten und so helfen.

Ulrich Fischer, bis vor einem Jahr badischer Landesbischof, der für den erkankten Ex-Ratspräsident Wolfgang Huber eingesprungen war, erinnerte an das 1997 verabschiedete ökumenische Sozialwort. Hier war deutlich von der wachsenden Kluft zwischen arm und reich die Rede gewesen. Die zeigt sich auch im Alter. Was muss passieren, damit die Konsequenzen aus dem demographischen Wandel gezogen werden? "In der Ökologie brauchten wir erst die Fukushima-Katastrophe, bis es voran ging", überlegt er. Vielleicht sei es hier ähnlich. "Die Alten beuten die Jungen aus", dieser Satz lädt zum Weiterdenken ein.