TV-Tipp des Tages: "Tatort: Die Feigheit des Löwen" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Tatort: Die Feigheit des Löwen" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Die Feigheit des Löwen", 30. November, 20.15 Uhr im Ersten
Der Schlüsselsatz dieses sperrigen und unbequemen Krimis fällt fast ganz am Schluss, als Hauptkommissar Falke einem Syrer vorwirft, er habe "den Krieg nach Deutschland geholt".

Er spricht vom Bürgerkrieg in Syrien, der in diesem Film ständig präsent ist, weil im Hintergrund immer wieder Fernsehgeräte typische Nachrichtenbilder zeigen. In einer fast surrealen Krankenhausszene sieht man absurd viele Menschen mit typischen Kriegsverletzungen: als seien sie kurz zuvor aus einem der omnipräsenten Bildschirme in die deutsche Realität geklettert.

Grauzone zwischen Moral und Gesetz

Ähnlich anspruchsvoll ist die zunächst völlig undurchsichtige Handlung. Für deren Qualität birgt allerdings schon allein der Name Friedrich Ani. Der Schriftsteller, Schöpfer unter anderem von Kommissar Tabor Süden, ist einer der angesehensten Krimiautoren hierzulande; seine Drehbücher lieferten die Basis für eine Vielzahl ausgezeichneter Fernsehfilme. Kaum jemand weiß allerdings, dass sein Vater Syrer war. Diese Tatsache hat im Leben des gebürtigen Oberbayern zwar keine große Rolle gespielt, aber natürlich hat er einen besonderen Bezug zum Vaterland seines Vaters. Entsprechend differenziert fällt dieser Krimi aus, der sich schließlich als Geschichte über eine Grauzone zwischen Moral und Gesetz erweist: Viele hierzulande lebende Syrer wollen ihre Angehörigen nach Deutschland holen. Weil das legal offenbar nicht möglich ist, versuchen sie es mit Hilfe von Schleusern und gefälschten Papieren, was als Anstiftung zu organisierter Kriminalität gilt; auch wenn man bei diesem Stichwort eher an Mafia-Gangster denkt.

Bundespolizist Falke und seine Kollegin Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) kommen ins Spiel, weil sie in Oldenburg Hinweisen auf einen Passfälscher nachgehen. Zunächst jedoch erzählen Ani und der junge Regisseur Marvin Kren, der auch den letzten "Tatort" mit Möhring und Schmidt-Schaller inszeniert hat ("Kaltstart"), eine ganz andere Geschichte. Die ist zwar sehr bewegend, trägt aber auch zur Verwirrung bei, weil sie mit dem Rest der Handlung im Grunde nichts zu tun hat: Bei einer Personenkontrolle muss ein Polizist notgedrungen einen Angreifer erschießen. Im Kofferraum seines Autos findet Falke einen kleinen syrischen Jungen, der seine vor Stunden gestorbene Schwester im Arm hält. Die Szenen, in denen der Kommissar versucht, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen, gehören zu den wenigen herzerwärmenden Momenten des Films, doch sie sind bloß ein Exkurs: Hauptfiguren neben dem Ermittlerduo sind ein deutsch-syrisches Ehepaar (Karoline Eichhorn, Husam Chadat). Die beiden stehen für die zentrale These des Films: Wenn der syrische Bürgerkrieg nach Deutschland kommt, wird dies zur Folge haben, dass es auch hier zwei Seiten gibt, und die Risse werden Verwandte und Freunde entzweien; hinter der Krimifassade ist "Die Feigheit des Löwen" ein Familiendrama.

Die charismatischste Rolle in dieser sehr lange sehr undurchsichtigen Anordnung spielt Harun, der Bruder des Deutschsyrers. Auf ihn ist auch das arabische Sprichwort gemünzt, dem der Film seinen Titel verdankt: "Der Löwe ist ein Feigling in einem fremden Land." Als Besetzung schwebte Kren ein Schauspieler vor, der Navid Negahban, dem Darsteller des Terroristen Abu Nazir aus der US-Serie "Homeland", so ähnlich wie möglich sieht. Zu seiner großen Verblüffung gelang es, Negahban selbst zu engagieren.

Der gebürtige Iraner hat eine Zeit lang in Deutschland gelebt, bevor er nach Hollywood ging. Seinem Schurken-Image wird er durch eine Mordmethode gerecht, die es in einem Sonntagskrimi garantiert noch nicht gegeben hat; Mediziner sprechen vom Bolustod. Davon abgesehen jedoch entwickelt der "Tatort" wie die meisten Ani-Verfilmungen einen eher hintergründigen Nervenkitzel, weshalb die Frage, ob Falke und Lorenz nach einem feuchtfröhlichen Abend Sex hatten oder nicht, beinahe spannender ist als der eigentliche Fall. Die Musik ist allerdings sehr ungewöhnlich, weil die Komponisten Johannes Lehniger und Peter Schütz typische orientalische Elemente elektronisch verwenden.