Der letzte Pastor von Timbuktu

Foto: Philipp Breu
Der letzte Pastor von Timbuktu
Im Bürgerkrieg 2012 war Timbuktu im Norden von Mali eine der ersten Städte, die von den islamistischen Rebellen und Tuareg-Milizen eingenommen wurde. Nahezu alle Christen flohen damals. Pastor Bouya aber ist zurückgekehrt.
15.09.2014
Unterstützt d. d. Akademie für neuen Journalismus
Philipp Breu und Sebastian Weis

Der Sand weht durch die schmalen Gassen. Erbarmungslos brennt die Sonne herab, es hat weit über 40° Grad. Die kaputte Straße wird vom Sand verschluckt. Und oft fällt auch der Strom aus. Die Lebensbedingungen in Timbuktu - der "Perle der Wüste" - waren nie die freundlichsten. Doch lange konnten die Menschen hier immerhin unbehelligt ihrem Tagwerk nachgehen.

Einer von ihnen ist Pastor Bouya. Der schmale ältere Herr wischt sich den Sand aus dem Gesicht, seine gelbe, farbenfrohe Tracht leuchtet im hellen Licht Timbuktus. Er freut sich unendlich über Besuch, bisher hat er Interviews nur übers Telefon gegeben, aber Besuch von Journalisten hatte er noch nie. Bouya lebt mit seiner Familie in einem kleinen Haus am Stadtrand, 100 Meter weiter beginnt die Wüste. Er ist der wahrscheinlich letzte Pastor in der nordmalischen Wüstenstadt.

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Timbuktu war im Bürgerkrieg im April 2012 von einer Allianz aus Tuareg und Islamisten eingenommen worden. Die 50.000 Einwohner starke Stadt, welche vorrangig von ihrer kulturellen Bedeutung und den europäischen Touristen lebte, erlebte einen beispiellosen Niedergang. Die Touristen blieben aus, viele Malier hatten kein Einkommen mehr. Vor allem, nachdem die Islamisten in der Stadt als Machtdemonstration einige der Manuskripte von Timbuktu verbrannten. Diese Schriften, in denen über hunderte von Jahren Ergebnisse von islamischen Studien niedergeschrieben wurden, die drei Lehmmoscheen der Stadt und einige Mausoleen gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es war schnell klar, dass das kulturelle Erbe Timbuktus und damit auch des ganzen Landes bedroht war.

Während zumindest die Moscheen unbeschädigt blieben, wurden auf dem Friedhof der Stadt die Mausoleen von drei lokalen Heiligen zerstört. "Nur Gott darf angebetet werden!" lautete die Begründung der Islamisten.

Die Lehmmoscheen der Stadt Timbuktu gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Doch nicht nur materielle Güter erlitten Schaden: Die Mitglieder der evangelischen Gemeinde der Stadt, einst etwa 150 Personen, mussten flüchten oder komplett in den Untergrund abtauchen. Von ehemals vier christlichen Kirchen ist heute nur noch eine in Benutzung. Auf kaum mehr als 20 Mitglieder schätzt der evangelische Pastor Bouya seine Gemeinde heute, insgesamt gibt es in Timbuktu wohl noch circa 2000 Christen.

Als am dritten April 2012 die Scharia, das islamische Recht, in Timbuktu ausgerufen wurde, musste auch Bouya, wie viele Mitglieder seiner Gemeinde, flüchten. Pastor Bouya hat so viel zu erzählen, dass er kaum ruhig sitzen kann. Immer wieder knetet er zwischen den Sätzen seine Hände. Die Worte sprudeln ohne Unterbrechung oder langes Überlegen aus ihm heraus. "Die Christen machen in Mali keine fünf Prozent der Bevölkerung aus, über 90 Prozent der Malier sind Muslime. In Timbuktu waren die Christen jedoch schon vor 2012 eine überaus kleine Gemeinde - und heute sind es noch weniger." Aber bereits vor 2012 hat Bouya die zunehmende Diskriminierung der Christen miterlebt: "Ein Muslim in Timbuktu wollte sich taufen lassen, doch seine Eltern waren dagegen. Also informierten sie die Muslime. Das Taufwasser war schon bereit, da verhafteten sie ihn. Er bekam fast vier Tage lang nichts zu essen, bevor er wieder frei kam. Sie wollten damit sagen: 'Schaut her, hier ist ein Christ. Er ist gleich einem Tier, deswegen nehmen wir ihn und sperren ihn ein, weil er es so verdient!‘"

Pastor Bouya erzählt.

Nach dem Putsch 2012 war in den Städten und Orten, die von den Islamisten erobert wurden, die in der malischen Verfassung zugesicherte Religionsfreiheit praktisch ausgeschaltet. Doch nicht nur Christen traf es schwer: Viele gemäßigte Muslime waren ebenso das Ziel von Anfeindungen wegen "unislamischem Verhalten". Das konnte eine Frau sein, die keine Kopfbedeckung trug oder Menschen, welche die lokalen Heiligen anbeteten.

Solche Dinge waren früher nie ein Problem in Mali: Religion wurde von den Maliern schon immer sehr frei gelebt. Dann kam der 21. März 2012. Als Hauptmann Amadou Sanogo mit einer Gruppe Soldaten den Präsidenten Amadou Toumani Touré von seinem Amt enthob, übernahm das Militär die Macht. Die Militärs waren unzufrieden, weil Touré die Unruhen im Norden nicht in den Griff bekam. Islamistische Rebellen und Tuareg störten dort das fragile Gleichgewicht, und Malis schwache Armee hatte dem wenig entgegen zu setzen. Das Machtvakuum nach dem Militärputsch wirkte wie ein Katalysator und die Rebellen rückten vor, nahmen Stadt für Stadt ein und riefen sogar einen eigenen Staat aus, der allerdings von keiner Regierung anerkannt wurde. Als die Rebellen den Süden erreichten und der Hauptstadt Bamako näher kamen, trat schließlich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich auf den Plan und entsandte ihre Truppen nach Mali. Innerhalb weniger Wochen war der Aufstand niedergeschlagen und die Rebellen waren wieder dort, wo sie her kamen: In der Wüste.

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Der von Pastor Bouya geschilderte Fall steht exemplarisch für viele ähnliche in Timbuktu. Dabei wurden nicht nur die Christen unter der islamistischen Besatzung im Norden Malis benachteiligt. El Hadj Djitteye, ein 28-jähriger Übersetzer und Journalist aus Timbuktu, ist selbst Muslim. Er erzählt: "Als die Franzosen kamen, habe ich mich das erste Mal nach neun Monaten Besatzung rasiert." Der junge Mann, der zeitweise für die UN-Mission im Land gearbeitet hatte, war Augenzeuge von öffentlichen Auspeitschungen, Steinigungen und dem Abtrennen der Hände von verurteilten Dieben. "Ich selbst habe mich mit meiner Freundin fast nur noch im Haus aufgehalten. Wir hatten große Angst, auf die Straße zu gehen."

Die Ereignisse von 2012 hatten einen nachhaltigen Einfluss auf das christliche Leben im ganzen Land. Die meisten Christen flohen nach Bamako, wo die Kathedrale der katholischen Kirche steht. Die Sonntagsmesse zieht regelmäßig viele hundert Gläubige an und zum Beginn des Ramadan stehen Christen und Muslime zusammen im großen Hof hinter der Kathedrale, grillen gemeinsam und trinken Mangosaft. In Bamako funktioniert das Konzept der Religionsfreiheit noch.

"Ich bitte darum, in die Gebete anderer eingeschlossen zu werden"

"Viele Christen aus Timbuktu wohnen noch heute in Bamako, weil sie befürchten, dass sich die Ereignisse wiederholen könnten. Sie warten lieber ab, wie sich die Dinge entwickeln. Andere hingegen sind zurückgekehrt", sagt Pastor Bouya. Viele der Zurückgekehrten säßen jedoch auf gepackten Koffern: "Sie trauen dem Frieden nicht."

Nach dem Gespräch führt Pastor Bouya die Gäste um sein Haus herum. Die Islamisten haben es während seiner Abwesenheit bewohnt. Er zeigt auf Schäden und Risse in der Fassade, im Fundament und am Dach: "Sie haben wilde Partys gefeiert und sich mit Frauen vergnügt, aber meine Satellitenschüssel zerstört, weil sie behauptet haben, man könne satanische Kanäle damit empfangen."

Pastor Bouya mit den beiden Autoren

Doch die Ereignisse von 2012 hatten tatsächlich auch noch etwas Gutes: Vielen Maliern ist jetzt erst bewusst geworden, wie wichtig der Einklang zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen für die Stabilität des Landes ist. Pastor Bouya erzählt: "Als wir nach der Befreiung zurückkamen, wurden wir von vielen muslimischen Brüdern willkommen geheißen. Sie waren am Ende froh, dass wir zurück waren. Viele von ihnen haben uns als ihre Gäste aufgenommen."

Gefragt nach seinen Wünschen für die Zukunft seiner Gemeinde, hält Bouya kurz inne. Für einige Sekunden blickt er an seinem Haus vorbei in Richtung Wüste und sagt dann: "Hauptsächlich bitte ich darum, in die Gebete anderer eingeschlossen zu werden. Bei dieser ganzen Sache sind wir immer noch Brüder und Schwestern, auch wenn wir hier in Timbuktu für Viele am anderen Ende der Welt sind."