Evangelikaler Wahlkampf in Brasilien

Salomo-Tempel in São Paulo
Foto: Nacho Doce / Reuters
In São Paulo hat die "Universalkirche des Reiches Gottes" den Tempel von König Salomo nachgebaut.
Evangelikaler Wahlkampf in Brasilien
Pfingstkirchen haben in Brasilien enormen Zulauf. Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Politik nimmt ihr Einfluss zu. Die Präsidentschaftswahl am 5. Oktober wollen evangelikale Politiker und Parteien zum Ausbau ihrer Macht nutzen: Traditionelle Familienwerte und der Kampf gegen Abtreibung stehen im Mittelpunkt ihrer Agenda. Das politische Establishment ist traditionell katholisch.
13.09.2014
epd
Andreas Behn

Der selbsternannte Bischof Edir Macedo von der "Universalkirche des Reiches Gottes" freute sich über hohen Besuch. Präsidentin Dilma Rousseff und Vizepräsident Michel Temer kamen zur Eröffnung seines neuen Salomo-Tempels Ende Juli in der Metropole São Paulo. Das riesige Bauwerk für 10.000 Gläubige kostete umgerechnet 220 Millionen Euro und ist Symbol für die zunehmende Macht der evangelikalen Kirchen in Brasilien.

Der Besuch der Spitzenpolitiker bei der umstrittenen Gemeinschaft ist Teil des Wahlkampfs. Wer im Rennen um die Präsidentschaft am 5. Oktober die Nase vorn haben will, muss die evangelikale Wählerschaft berücksichtigen. Schätzungen zufolge sind mittlerweile über zwölf Prozent der 200 Millionen Brasilianer Anhänger der Pfingstkirchen, Tendenz schnell steigend. Der Anteil der Katholiken sank zwischen 2000 und 2010 von 74 auf 64 Prozent.

Familienwerte im konservativen Wahlprogramm

Sowohl Amtsinhaberin Rousseff als auch Oppositionsführer Aécio Neves haben Kommissionen eingerichtet, um einen Dialog mit den konservativen Gläubigen zu führen. Wer evangelikale Gemeinden repräsentiert, wird von den traditionellen Parteien umworben: "Alle Parteien versuchen, Pastoren und evangelikale Führer aufzunehmen und zu präsentieren. Damit versuchen sie, die wachsende evangelikale Wählerschaft für sich einzunehmen," erklärt der Politikwissenschaftler João Paulo Peixoto.

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Nur der neue Polit-Star Marina Silva, die anstelle des tödlich verunglückten Eduardo Campos kandidiert, ist auf keine religiöse Lobby angewiesen. Die populäre Ökologin ist selbst aktives Mitglied der Pfingstkirche "Assembleia de Deus" (Versammlung Gottes), einer der traditionellsten Pfingstkirchen Brasiliens. Obwohl sie Politik und Religion strikt trennt, ist ihre Kirchenzugehörigkeit für viele gläubige Brasilianer ein wichtiger Pluspunkt.

Silva gilt derzeit als schärfte Konkurrentin der Sozialistin Rousseff, die für eine zweite Amtszeit kandidiert. Auch der in Umfragen Viertplatzierte hinter Neves kann mit Unterstützung der religiösen Wählerschaft rechnen. Er nennt sich lediglich Pastor Everaldo und predigt bei der "Versammlung Gottes". Das Wahlprogramm seiner sozialchristlichen Partei PSC ist an Familienwerten orientiert und streng konservativ: Gegen das Recht auf Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehe und für die Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit.

Einfluss auf das Abtreibungsrecht

Um ihren politischen Forderungen mehr Gewicht zu verleihen, gründeten evangelikale Abgeordnete bereits 2003 eine fraktionsübergreifende Gruppe im Kongress. Die "Bancada Evangélica" umfasst heute 73 Mitglieder aus fast allen Parteien von insgesamt 513 Parlamentariern und soll bei den kommenden Wahlen auf insgesamt 100 Abgeordnete und Senatoren anwachsen. Allein 270 Pfarrer kandidieren brasilienweit, ein Zuwachs um 40 Prozent, die allermeisten Evangelikale.

Für den beliebten Fernsehpfarrer Silas Malafaia geht es in der Politik um die Wahrung religiöser Werte: "Hunderte Initiativen im Kongress gefährden die Familie oder die guten Sitten." Um diese zu verhindern, müssten die Evangelikalen ihren Einfluss im politischen Spiel geltend machen. "Unterstützung für eine Regierung gibt es nur, wenn unsere Bedingungen akzeptiert werden", sagt Malafaia.

Die kleine Republikanische Partei Brasilien (RPB) ist das erfolgreichste Beispiel für das Zusammenspiel von Politik und Religion. Sie gilt als politischer Arm der "Universalkirche" und gehört seit ihrer Gründung zur Koalition der regierenden Arbeiterpartei PT. Obwohl die PRB nur zehn Bundesabgeordnete stellt, war ihr früherer Ehrenpräsident José Alencar unter der Regierung von Luís Inácio Lula da Silva Vizepräsident. Als kleiner, aber mächtiger Juniorpartner veranlasste die Partei die Kandidatin Rousseff vor der Stichwahl 2010 dazu, sich zum Festhalten an der strengem Indikation im Abtreibungsrecht zu bekennen.