"Der Tod kann auch eine Erlösung sein"

Christian Redl sagt: "Ich glaube, dass kein Mensch nur gut ist."
Foto: Katharina John
Christian Redl sagt: "Ich glaube, dass kein Mensch nur gut ist."
"Der Tod kann auch eine Erlösung sein"
Christian Redl ist Schauspieler. Als solcher ist er im Fernsehen und auf der Leinwand meist als zwielichtige Gestalt zu sehen. Das Böse scheint ihm auf den Leib geschneidert. Ein Gespräch über die Faszination des Bösen, die Angst und den Tod.

Sie sind in der Vergangenheit sehr häufig in der Rolle des "Bösewichts" zu sehen gewesen, vor allem in Fernseh- und Kinoproduktionen. Zudem haben sie gerade eine CD-Produktion gemacht, bei der Sie "Die Blumen des Bösen" von Baudelaire eingelesen haben. Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund: Was ist für Sie "das Böse"?

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Christian Redl: Bei Baudelaire steht das Böse für die dunklen Triebe, für das Abgründige, für das Verbotene.

Aber auch für das Faszinierende - und auch Romantische geradezu, oder?

Redl: Ja. Es gibt da auch diese Antwort von einem Schauspielkollegen. Der wurde gefragt, wieso er immer die Bösewichte spielt - und nie den Helden. Da hat er gesagt: "Das Böse leuchtet mehr!" Und das ist ja durchaus wahr. Wenn man zum Beispiel Faust und Mephisto nimmt, dann ist der Schauspieler, der Mephisto spielt, immer im Vorteil, weil es einfach die spannendere Figur ist, ganz klar.

Und identifiziert man sich dann auch mehr mit dieser Figur?

Redl: Nein, sie ist nur einfach faszinierender, weil sie viel mehr Schattierungen hat. Und weil sie natürlich in uns etwas weckt, was im Verborgenen lauert. Weil wir auch gerne einmal so sein möchten, uns das aber nicht trauen. Was ist denn das Faszinierende an Figuren wie Hannibal Lecter aus "Das Schweigen der Lämmer"? Das sind Menschen, die eine Grenze überschritten haben – etwas, was wir uns niemals trauen würden.

Haben wir dann tatsächlich so eine Sehnsucht, auch einmal so etwas "Böses" zu tun?

Redl: Also meine These ist ja, sehr stark am Existenzialismus orientiert, dass es so ist, wie es Georges Simenon gesagt hat: "Das Böse lauert in uns allen. Es ist nur eine Frage des Zufalls, ob das Schicksal oder die Umstände uns zum Täter werden lassen. Und die Zivilisation ist nichts anderes als ein Zähmungsversuch, um das Böse in uns in den Griff zu bekommen." Ich glaube, dass kein Mensch nur gut ist.

Und warum werden dann vor allem Sie immer wieder als Böser, als krimineller und undurchsichtiger Typ besetzt?

Redl: Das liegt vor allen Dingen an einer Rolle, auf die ich erst heute wieder in einem Lokal angesprochen wurde: Da kam ein Mann auf mich zu und sagte: "Jetzt sehe ich Sie endlich mal leibhaftig! Sie sind doch der Hammermörder! Sie haben mir Angst und Schrecken eingejagt als Kind, das war ganz fürchterlich!" Das ist jetzt 30 Jahre her. Das erlebe ich immer wieder. Dabei bin ich nun wirklich das Gegenteil eines gewalttätigen Menschen. Ich weiß wirklich nicht, wo das herkommt. Es liegt wohl an meiner Physiognomie. Man glaubt, dass ich das gut verkaufen kann.

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Verletzt Sie das?

Redl: Nein, überhaupt nicht. Genervt hat es mich schon, aber das ist ja mein Beruf. Und es ist ja auch spannend. Nur ein bisschen einseitig. Dabei spiele ich am Theater schon lange komische Rollen - aber im Fernsehen konnte sich das bisher scheinbar keiner vorstellen.

Und wie spielt man dann so überzeugend einen Mörder, wenn man weit davon entfernt ist, irgendjemandem etwas anzutun?

Redl: Das hat Anthony Hopkins, der den eben schon erwähnten Kannibalen Hannibal Lecter gespielt hat, einmal schön beantwortet: Er hat gesagt: "Ich bin kein Kannibale - aber ich kann es mir vorstellen, einer zu sein." Man braucht einfach nur die entsprechende Fantasie. Bei Schauspielern, die angeblich 'ihre Rollen leben', die 'gar nicht mehr rauskommen aus der Figur', ist das in aller Regel einfach nur eitles Getue. Ich finde außerdem, dass man das Böse ohnehin am besten mit ganz sparsamen Mitteln darstellen sollte. Denn das Böse ist ja nicht schrill, sondern es lauert eher im Verborgenen, so dass man es manchmal nur in den Augen sieht...

"Das Böse ist nicht schrill"

Aber braucht man nicht ein gewisses Maß an Eitelkeit - oder zumindest Darstellungsdrang - um den Beruf des Schauspielers zu ergreifen? Wie war das bei Ihnen?

Redl: Das kann ich Ihnen sagen. Ich war ja auf der Waldorfschule in Kassel. Auf dem Gymnasium war ich zweimal sitzengeblieben, mein Vater war damals Stadtschulrat und es war eine Riesenblamage für ihn. In meinem Zeugnis stand: "Christian neigt zum Träumen". Das fand er ganz furchtbar. Auf jeden Fall gab es dort auf der Waldorfschule eine Theatergruppe. Mein Deutschlehrer war ein verhinderter Regisseur - und ich habe mit 17 den Prinzen von Homburg gespielt und mit 18 den Hamlet. Damit hatte ich damals überhaupt kein Problem. Und auf der Bühne hatte ich dann auch den berühmten Erweckungsmoment: Es saßen 600 Leute in der Schulaula - und mit einem Mal spürte ich: Die hören mir ja alle zu! Ich bin im Zentrum der Aufmerksamkeit, ich bin wichtig! Plötzlich wusste ich, wo ich hingehöre, was ich machen wollte.

Im Titelstück Ihrer neuen Musik-CD "Sehnsucht" geht es auch um eine Kindheit voller Unsicherheiten. Ist das Ihre Kindheit, von der das Stück handelt?

Redl: Ja, die ganze CD ist autobiografisch grundiert. Sehnsucht handelt von meiner Kindheit. Als Kind hatte ich schreckliche Angst, dass hinter einem bestimmten Bretterzaun ein bedrohlicher Abgrund lauerte: Ich glaubte, dass hinter der Bretterwand die Welt wirklich zu Ende war und dass man in einem Abgrund verschwand – und für immer und ewig verloren war. Es gab aber auch diesen Kindheitsmoment, der tatsächlich unvergesslich und schön war: Als ich an der Hand meiner Großmutter durch den winterlichen Wald ging und mich beschützt und geborgen fühlte: Da war alles gut! Mir konnte nichts passieren. Später musste ich dann mit ansehen, wie sie sich erhängt hatte. Und neben mir mein weinender Vater. Ich war damals fünf und fühlte mich schutz- und hilflos.

Ausschnitt Christian Redl - Sehnsucht

Im letzten Lied auf der CD, "Abgang", stellen Sie sich Ihren eigenen Tod vor.

Redl: Ja (lacht), das ist natürlich nicht autobiografisch. Das ist sozusagen eher eine autobiografische Fantasie. Dass man irgendwann seine letzte Vorstellung spielt und dann rausgeht und ganz alleine ist. Es ist Nacht, der Wind bewegt die Wolken, man setzt sich auf eine Bank und - plötzlich ist es vorbei. Das wäre ein schöner Tod, finde ich. Wenn man sagen kann: Das war's also. Komm, Gevatter...

Ausschnitt Christian Redl - Abgang

Dafür muss man aber bereit sein, oder?

Redl: Das ist die Aufgabe, die ich mir gestellt habe: Ich versuche mir ganz konkret vorzustellen, was das bedeuten könnte und konzentriere mich auf diese Bereitschaft. Das würde ich wahnsinnig gerne schaffen - dass ich, wenn es soweit ist, sage: Ja, es ist gut. Es ist gut! Ich habe es auch ganz anders erlebt. Zum Beispiel bei meinem Bruder. Der lag im Hospiz und hatte Wahnvorstellungen und hat nur geschrien. Er ist unter unglaublichem Widerstand gestorben. Für mich geht es darum, mich von diesem Widerstand zu befreien. Denn dem Tod kann man ja sowieso nicht entkommen.

Aber das hat ja vielleicht auch mit der Vorstellung von dem zu tun, was danach kommt. Haben Sie Angst vor dem Tod?

Redl: Das ist natürlich eine Frage des Glaubens. Brecht hat mal gesagt: "Und es kommt nichts hinterher!" Mein Bruder hatte tatsächlich die Vorstellung einer drohenden Hölle gehabt, das hat ihn auch vom Selbstmord abgehalten. Ich würde einfach sehr gerne erleben, dass mich das nahende Ende nicht in Angst versetzt. Dass ich auf einer Wolke in den Himmel schwebe, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann mir auch nicht den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist bildlich vorstellen, wie das einige Katholiken tun. Niemand weiß, was "danach" mit uns passiert.

###mehr-info### Es gibt ja diese Berichte von den Nahtoderfahrungen, wo alles hell und leicht und schwerelos wird. Vorstellen kann ich mir das schon ein bisschen, seit ein guter Freund von mir an Krebs gestorben ist. Der war in seinen letzten Lebensjahren sehr angespannt, weil er auch viele familiäre Probleme hatte. Er wurde nach seinem Tod in seinem Dorf aufgebahrt. Dort habe ich ihn besucht. Als er dann so da lag, habe ich festgestellt, dass ich noch nie ein so entspanntes Gesicht gesehen habe. Das hat mir Trost und Hoffnung vermittelt. Ich dachte: Der Tod kann auch eine Erlösung sein.

Und wie kann man die Gelassenheit gegenüber dem eigenen Tod Ihrer Meinung nach erreichen?

Redl: Man muss sich darauf vorbereiten. Man darf es nicht verdrängen. Man sollte darüber reden – und es nicht totschweigen. Ich denke, unser Leben ist eine Vorbereitung auf den Tod, der ein Teil davon ist.

Und es kann ja auch jederzeit soweit sein.

Redl: Ja, Hamlet sagt: "In Bereitschaft sein ist alles."

Die Angst vor dem Tod ist eine existenzielle Angst. Kann vielleicht auch so eine Angst das Böse erzeugen?

Redl: Ja. Da fällt mir ein ganz simples Beispiel ein: Als ich zum ersten Mal nach New York fuhr, wurde mir gesagt: "Wenn du Angst zeigst, bist du Opfer. Dann provozierst du das Böse."

Da ist allerdings das Böse beim Anderen gemeint, das man dann provoziert. Aber wie ist das bei einem selbst?

Redl: Bei vielen Tätern ist es wohl so, dass sie eigene Ängste dadurch überwinden, dass sie "böse Dinge" tun. Bei mir habe ich das glücklicherweise noch nie erlebt, auch nicht in Extremsituationen.

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Und was ist das Gegenteil von "böse"? "Gut" oder "lieb"?

Redl: Wohl beides. Das kann auch etwas Langweiliges haben, zumindest in der Schauspielerei, wie schon erwähnt. Allerdings bewundere ich Persönlichkeiten wie Mutter Theresa zum Beispiel sehr. Gelebte Barmherzigkeit verdient für mich den höchsten Respekt. Leute, die sich für etwas einsetzen, wie zum Beispiel "Ärzte ohne Grenzen" oder "Greenpeace" - das bewundere ich tausendmal mehr als zum Beispiel die Schauspielerei, in der das Risiko absolut überschaubar ist...

Aber braucht es nicht beides?

Redl: Hildegard Knef hat mal etwas Wunderbares gesagt, am Ende ihres Lebens: "Die entscheidende Frage ist doch nicht: War ich glücklich, hatte ich ein gutes Leben? Sondern: Wie viele Menschen habe ich glücklich gemacht?" Das hat mir sehr imponiert. Sie war eine kluge Frau.