Die Welt wird komplizierter - das Demonstrieren auch

Bonner Friedensdemonstration 10. Oktober 1981
Foto: epd-bild/Hartwig Lohmeyer
Demo im Oktober 1981 in Bonn gegen die Stationierung von Pershing 2 Raketen und Cruise Missiles auf dem Gebiet der Bundesrepublik.
Die Welt wird komplizierter - das Demonstrieren auch
Es brennt an allen Enden der Erde: Krieg im Nahen Osten, Bürgerkrieg in der Ostukraine, im Sudan, in Nigeria und – fast vergessen – Folter und Hunger in Syrien. Wäre es nicht Zeit für einen großen Aufschrei der Friedensbewegung, für eine Mega-Demo in Berlin? Wo sind die Friedenskämpfer der 80er und 90er Jahre geblieben? Immerhin: Die Friedensgebete in den Kirchen gibt es noch.

Roland Blach weiß kaum noch, wo ihm der Kopf steht. Zu viele Brandherde auf einmal. Was soll er als erstes angehen als Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft? "Bei all dem, was in den letzten ein zwei Wochen hochgekocht ist: Kann ich da noch so weiter arbeiten wie ich das die letzten ein, zwei Jahre gemacht hab?", fragt sich Blach. "Wohin wenden wir uns denn jetzt eigentlich, was ist denn jetzt der Fokus?" Die Antwort gibt er sich selbst: "Mit unseren Ressourcen haben wir jetzt nicht die Möglichkeit, allen Kriegen und Konflikten hinterherzurennen." Lieber versuchen Roland Blach und seine Mitstreiter, ihre bewährten Kampagnen "so konsequent und zielgerichtet wie möglich weiter fortzusetzen", Kampagnen gegen Atomwaffen oder Rüstungsexporte und die pädagogische Arbeit in den Schulen.

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Fehlen tatsächlich "nur" die Ressourcen, um eine gemeinsame große Demo zu organisieren – wie damals1982, zur Hoch-Zeit der Friedensbewegung, als Hunderttausende gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen in Deutschland auf die Straße gingen? Nicht nur. "Ein Phänomen ist sicherlich die Komplexität der Zusammenhänge", vermutet Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Es ist nicht mehr so einfach, mit klaren Parolen, mit klaren Botschaften, mit klaren Transparenten aufzutreten." Außerdem, sagt Roland Blach, fehle es an Betroffenheit. So schlimm die Nachrichten aus Syrien, aus der Ukraine und aus Israel auch sein mögen – die Kriege sind weit weg. "Es war halt damals immer die Frage der eigenen Bedrohung durch Atomwaffen, die 30 Kilometer entfernt waren", erklärt der Friedensaktivist, "und diese Problematik jetzt, Krieg A und Konflikt B irgendwo 300, 500, 2000 Kilometer weit weg, die bringt die Leute einfach nicht dazu, sich so einzumischen."

Selbst junge Menschen, unverbraucht von den Friedenskämpfen vergangener Jahrzehnte, haben offenbar keine große Motivation, demonstrieren zu gehen – obwohl Jugendliche angesichts des Leidens oft "hochbetroffen" seien, berichtet Michael Freitag, der bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (AEJ) das Referat für Theologie und Jugendforschung leitet. Allerdings machten sich bei Jugendlichen und ihren Betreuerinnen und Betreuern Ohnmachtsgefühle und Resignation breit, "weil ja keiner weiß, was sollen wir eigentlich machen, gegen wen sollen wir eigentlich gerade demonstrieren? Wo sind die Bösen?"

Nicht von der Friedensvision ablassen

Dass sich heute kaum ein Teenager klar auf eine Seite schlage, sei eigentlich ein Erfolg der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen, erklärt Michael Freitag: "Wir haben ja ziemlich erfolgreich daran gearbeitet, Schwarzweißdenken aufzubrechen." Wenn Menschen in der Lage seien, "Empathie zu entwickeln und Fremdinteressen als berechtigt wahrzunehmen", dann werde die Welt eben komplizierter. "Unsere erfolgreiche Arbeit gegen einseitiges Denken und gegen fundamentalistische Positionen hat dazu führt, dass man in solchen Konflikten keine einfache, eindeutige Position mehr einnehmen kann." Und wer keine eindeutige Position einnehmen kann, der geht auch nicht demonstrieren. "Ich empfinde es gar nicht so, dass die junge Generation sich nicht engagiert", sagt Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der EKD. "Sondern sie sind sehr viel unideologischer und eher an Lösungswegen interessiert und versuchen zu diskutieren." Das findet auch Brahms eher positiv.

Eine Expertengruppe bei der AEJ ist gerade dabei, "Orientierungen für eine friedensethische Praxis" für die Jugendarbeit zu schreiben. Darin geht es um das Lernen und Einüben von gewaltfreien Konfliktlösungen, und "das ist ja sehr viel mehr als sich in einem Konflikt in der Ukraine zu entscheiden", erläutert Michael Freitag. "Das ist eine akzeptierte Lebenshaltung in unserer Kultur, die aber natürlich von Jugendlichen immer neu gelernt werden muss, auch im persönlichen Umfeld." Dazu kommt die theologische Dimension, die ebenfalls in den neuen Leitlinien eine Rolle spielt: "Wir haben auch angesichts der verwickelten gegenwärtigen Situation immer noch die Vision von Frieden als Leitvision. Wir lassen nicht davon ab." Auch wenn an so vielen Orten auf der Welt die Waffen sprechen, halten Christen am Wort des Propheten Micha fest: "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen." (Micha 4,3)

Friedensgebete: "ein Zeichen der Solidarität"

Seit mehr als 30 Jahren nähren sich die Friedensgebete in den evangelischen Kirchen aus Bibelworten wie diesem. Sie helfen, wenn einem selbst Formulierungen fehlen. "Es gibt ja Ereignisse – ob man an den Ersten Weltkrieg denkt oder auch an die aktuellen Konflikte – da kommt man fast mit Worten nicht ran", sagt Renke Brahms, "insofern ist es natürlich gut, das einfach vor Gott ausbreiten zu können in einem Gebet oder in einem Schweigen oder in einer Zeichenhandlung – eine Kerze anzünden – für die Menschen, an die man da denkt." Gott um den Geist des Friedens zu bitten, sei das eine. "Das andere ist natürlich, ein Zeichen der Solidarität mit anderen zu setzen. Wir wissen, dass Christen im Nahen Osten, in Palästina, in Israel oder in anderen Ländern sehr wohl wahrnehmen, wenn woanders für sie gebetet wird."

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Der Friedensbeauftragte beobachtet, dass gerade in Krisensituationen vielerorts spontane Friedensgebete stattfinden – zum Beispiel, als in der Ukraine Gewalt ausbrach. Daran nähmen nicht nur Kirchgänger teil, sondern auch "Menschen, die gar nicht unbedingt von einem persönlichen Glauben geprägt sind", sagt Brahms. So ist es auch in der Leipziger St. Nikolaigemeinde, wo sich seit 1982 jeden Montag Menschen zum Gebet in der Kirche treffen, von einem solchen Friedensgebet ging 1989 die erste der berühmten Montagsdemonstrationen aus. Auch hier sind die wilden Zeiten lange vorbei – es gibt keine großen Demos wie damals, aber manchmal kleine Mahnwachen im Anschluss. "Spannend ist, dass jeden Montag Menschen kommen", sagt Vikar Christian Wedow, "das Geringste waren mal 25 bis 30 Leute, und es gab Phasen im März/April diesen Jahres, wo es mehr waren, rund hundert", das könnte mit der Ukraine-Krise zusammenhängen.

Was Wedow an den Montagsgebeten schätzt, ist die Atmosphäre der Offenheit: "Hier kann alles gesagt werden und hier kann auch gerungen werden, das empfinden wir als großes Geschenk." Den Betenden ist es wichtig, ihre Sorgen und Bitten vor Gott zu bringen. "Die Menschen erwarten keinen Wunsch-Gott, dem man sagt: 'Mach es mal besser', und das wird dann schon", erklärt Christian Wedow, "sondern Gott hat uns diese Welt gegeben und uns in die Verantwortung gerufen. Es geht darum, dass man sensibel wird und nicht vergisst, an die anderen Erdteile zu denken". Und obwohl die Friedensgebete heute, im Kriegsjahr 2014, nicht in großen Demonstrationen münden, ist der Vikar überzeugt: "Sie haben eine außerordentliche Kraft."