Konservative Protestanten bestimmen den US-Wahlkampf

Konservative Protestanten bestimmen den US-Wahlkampf
Im US-Vorwahlkampf macht von allen amerikanischen Christen der harte Kern der Republikaner von sich reden: Eiferer gegen die Homoehe, Fernsehprediger, die Schwangerschaftsabbrüche selbst nach einer Vergewaltigung verbieten wollen, in amerikanische Fahnen gehüllte Obama-Hasser. Auf ihre Stimmen sind Romney, Santorum und Gingrich jetzt angewiesen - auch bei der nun anstehenden Vorwahl in Maine. Wo aber steht die schweigende Mehrheit der amerikanischen Christen?
09.02.2012
Von Max Böhnel

In keinem anderen Land der Welt sind die Christen so schwer zu durchschauen wie in den USA. Das liegt zum einen daran, dass "Gods own country" im Vergleich mit anderen Industrienationen tatsächlich eine Bastion des Glaubens geblieben ist. Zwei Drittel der Amerikaner glauben, dass es einen Gott gibt, in Westeuropa ist es ein Drittel. Fast die Hälfte der Amerikaner geht einmal pro Woche in die Kirche – in Skandinavien ist es jeder zwanzigste, im katholischen Spanien jeder vierte.

Viele Faktoren kommen zusammen, um die USA zur Ausnahmenation in Sachen Christentum zu machen: die Bedeutung von Religion(en) in der Gesellschaft sowie die schiere Masse und unvergleichliche Vielfalt der Christen zwischen Atlantik und Pazifik. 76 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind den letzten verfügbaren Zahlen von 2008 nach Christen, mit schätzungsweise 235 Millionen Christen also nicht nur die übergrosse Mehrheit in den USA, sondern auch das Land mit den meisten Christen weltweit.

Aus historischen Gründen, einer davon die Einwandererwellen, waren die USA der Marktplatz der Religionen, und sie sind es geblieben. Für jeden Geschmack ist etwas im Angebot - und wenn nicht, dann bieten die peinlich genau beobachtete Religionsfreiheit und die Freiheit des Marktes jedem die Möglichkeit, eine neue religiöse Richtung zu erfinden und zu vermarkten. So machen die amerikanischen Katholiken mit fast 70 Millionen Mitgliedern mit Abstand die grösste christliche Einzelgemeinde aus, gefolgt von der Southern Baptist Convention. Aber letztere ist den Protestanten zuzurechnen, wie viele weitere auch, etwa die Methodisten, die Presbyterianer, die Lutheraner und die Episkopalier.

Meinungsforscher machen in den USA Trend zum Konservatismus aus

Grob aufgerechnet machen jedenfalls die Katholiken ein Viertel aus, die Protestanten die Hälfte. Insgesamt identifizieren sich beachtliche acht von zehn Amerikanern mit einer der zahlreichen Konfessionen – was Meinungsforschungsinstituten schier unerschöpfliches Umfragematerial liefert. Da alle zwei Jahre Wahlen auf Bundesebene stattfinden, studieren Politiker aus Regierung und Opposition ständig die Ergebnisse und passen ihre Wahlkampfrhetorik entsprechend an. "God bless America" – dieser Gruss des Präsidenten nach jeder grösseren Rede gehört seit Jahren unwidersprochen hinzu.

Das Pew-Forschungszentrum in der amerikanischen Hauptstadt Washington D.C., eine zum Konservatismus neigende Denkfabrik, liefert seit Jahren zuverlässige wissenschaftliche Umfrageergebnisse, darunter auch aus den Bereichen Religion und öffentliches Leben. Anfang Februar förderte Pew die jüngsten Trends zur Rechts- beziehungsweise Linksorientierung religiös orientierter Amerikaner zutage. Das Ergebnis: in allen Bereichen kaufen die Republikaner den Obama-Demokraten den Schneid ab. Die Tendenz lautet "weg von den Liberalen" und "hin zu den Konservativen". Grundlage der Meinungsumfrage waren 84000 Telefoninterviews, die zwischen 2008 (dem Wahljahr Obamas) und 2011 repräsentativ geführt wurden.

Wer ist in den USA am konservativsten? Weisse evangelikale Protestanten!

Das Institut stellte fest, dass im Umfragezeitraum von drei Jahren die registrierten Mitglieder der Demokraten, unabhängig von ihrer Religiosität abnahmen, während die Zahl der Republikaner in etwa gleich blieb. Gleichzeitig nahm bei den denjenigen christlichen Wählern, die sich selbst als religiös bezeichneten, die Sympathien für die Partei Obamas ab. Gemeint sind damit die regelmässigen wie auch die unregelmässigen Kirchgänger.

Prozentuell gesehen am konservativsten sind üblicherweise die weissen evangelikalen Protestanten. Zwei von drei von ihnen hatten sich bei den letzten Präsidentenwahlen gegen Obama oder einen demokratischen Kongressabgeordneten oder Senator entschieden. Heute wären es fünf Prozent mehr, also sieben von zehn. Die Republikaner und ihre Politiker werden den Projektionen nach auch bei den nicht-evangelikalen, moderateren Protestanten Zugewinne verbuchen können. Diese sogenannten "Mainline"-Protestanten, also Methodisten, Presbyterianer oder Lutheraner, hatten sich 2008 mit 45 zu 45 Prozent Demokraten/Republikaner noch die Waage gehalten, was ihre Wahlpräferenzen anging.

Der Pew-Umfrage zufolge würde der amerikanische Durchschnittsprotestant heute inzwischen aber lieber konservativ wählen. In Zahlen ausgedrückt würden die Republikaner von den "Mainline Protestants" 51 Prozent erhalten, die Demokraten aber nur 39 Prozent. Vergleichbare Veränderungen zugunsten des Konservatismus würden sich Pew zufolge auch bei den weissen Katholiken ergeben. Jeder zweite hatte bei den letzten Präsidentschaftswahlen demokratisch gestimmt. Heute würde die Zahl auf 41 Prozent schrumpfen.

Die Gründe des Rechtstrends liegen (noch) im Dunkeln

Über die Gründe für den ausnahmslosen Rechtstrend im religiösen Mainstream der USA lässt sich das Pew-Forschungszentrum freilich nicht aus. Mit Sicherheit beschäftigen die beunruhigenden Zahlen die Strategen im Weissen Haus und die demokratischen Abgeordneten und Senatoren. Ein Hinweis darauf sind andere Umfragen, in denen die Wählerschaft nach ihrer Prioritätenliste gefragt wird. Wirtschaft, Haushaltsdefizit, und Gesundheitsversorgung rangieren darauf seit Monaten mit Abstand ganz oben.

Traditionell "wertorientierte" Themen, die noch vor ein paar Jahren als Kluft in den "Kulturkriegen" zwischen Liberalen und Konservativen galten, befinden sich ganz unten, etwa Abtreibung oder Schwulenehe. Offenbar gilt auch bei den religiös Orientierten Amerikas das Brecht'sche Diktum vom "Fressen vor der Moral". Obama und die Demokraten sind bei ihnen diejenigen, die gegen die Verschuldung, die Arbeitslosigkeit und die Zwangsräumungen nicht entsprechend vorgegangen sind.


Max Böhnel arbeitet als freier Journalist in New York.