Datenschutz stoppt polizeiliche Facebook-Fahndung

Datenschutz stoppt polizeiliche Facebook-Fahndung
Die Polizei Hannover darf seit vergangenem Freitag nicht mehr auf Facebook nach Personen fahnden. Gebremst hat das erfolgreiche Pilotprojekt der Landesdatenschutzbeauftragte. Niedersachsen will bald eine endgültige Entscheidung treffen – und damit auch die Weichen für die Social-Media Fahndung in den andern Ländern stellen.
25.01.2012
Von Miriam Bunjes

Die Polizeidirektion Hannover hat mehr als 97.000 Fans auf Facebook. Als am ersten Adventssonntag mitten in der Hannoveraner Innenstadt eine 20-Jährige Studentin ermordet wird, verbreiteten 57.000 User den Zeugenaufruf an ihre Freunde. Die inzwischen gelöschte Phantomzeichnung des Täters wurde sogar 172.000 Mal "geteilt", wie es im Social-Media-Sprech heißt, und hat damit laut Pressestelle der Polizei Hannover auf Facebook mehrere Millionen Menschen erreicht. Den Täter hat die Polizei dadurch noch nicht geasst, aber laut ihrem Facebook-Post mehr als 300 Hinweise aus der Bevölkerung erhalten.

In anderen Fällen führten die Hinweise der Facebook-User schon zum Erfolg. Acht Fälle hat die Polizei Hannover durch ihre seit März 2011 laufende Facebook-Fahndung aufgeklärt: vermisste Kinder gefunden, U-Bahnprügler identifiziert – und ist entsprechend überzeugt von ihrer Fahndungsmethode.
Doch seit Freitag ist damit Schluss. Personenbezogene Fahndungen über Facebook und damit die Suche nach Tätern oder Vermissten wurde vom niedersächsischen Innenministerium untersagt. Vorerst, betonen die Macher der Seite. Und: "An ein Abschalten des Accounts ist nicht gedacht."

Das Problem: Die Datenübermittlung in die USA

Grund für das vorläufige Ende der Erfolgsstory ist der Datenschutz. "Mit deutschem Recht ist die Fahndung auf Facebook jedenfalls nicht zu vereinbaren", sagt Michael Knaps, Sprecher des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten Joachim Wahlbrink. Damit meint er den Paragraphen 131 in der Strafprozessordnung, der die Rahmenbedingungen für eine öffentliche Fahndung regelt. Bislang wurde er so ausgelegt, dass er auch für das Internet und damit auch für Social Media-Netzwerke wie Facebook gilt.

Nur: "Die Daten werden bei Facebook auf Server in die USA übermittelt und dort vom Unternehmen auch ausgewertet", sagt Knaps. In den USA gelte allerdings ein anderes Recht. "Die Daten können leicht auch an die US-Sicherheitsbehörden weitergegeben werden, seit dem 11. September sind Unternehmen sehr schnell dazu verpflichtet", sagt Knaps. Die Folgen könnten zum Beispiel Einreiseverbote sein.

Genau diese Datenübermittlung – auf die weder deutsche Nutzer noch deutsche Behörden Einfluss haben – sei nicht durch den Paragraphen 131 abgedeckt. Datenübermittlung wird dort gar nicht erwähnt. "Wir haben hier in Deutschland das Recht auf informationelle Selbstbestimmung", sagt Knaps. "Das ist damit unvereinbar." Und: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Innenministerium zu einer anderen rechtlichen Einschätzung kommen kann."

Innenministerium entscheidet über Facebook-Fahndung

Über die Rechtsauffassung der Datenschützer wird zurzeit im niedersächsischen Innenministerium beraten. Durchsetzen kann der Datenschutzbeauftragte sie nämlich nicht: Ihm fehlen Sanktionsmöglichkeiten. "Wir wollen bis Ende des Monats eine Entscheidung treffen", sagt Ministeriumssprecher Frank Rasche. "Im Moment gibt es noch widersprüchliche Rechtsauffassungen."

Die Entscheidung wird vielerorts mit Spannung erwartet, denn im vergangenen Jahr haben einige Polizeidirektionen die erfolgreiche Fahndungsmethode kopiert. Die Polizeiinspektion Harburg bei Lüneburg hat als niedersächsische Behörde das gleiche Verbot bekommen wie ihr Vorbild Hannover, der Landkreis Friesland hat sein Facebook-Angebot vorsorglich schon ganz eingestellt, berichtete der NDR.

Das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern sucht weiterhin per Facebook nach Zeugen und Vermissten. Aber: "Wir haben bisher keine personenbezogene Fahndung nach Straftätern mit Bildern oder Phantombildern über Facebook gestartet", sagt LKA-Sprecherin Synke Kern. "Das haben wir aus Datenschutzgründen im Vorfeld festgelegt, deshalb sind wir von der Entscheidung in Hannover voraussichtlich nicht betroffen."

Die Seite der Kriminalpolizei Bremerhaven steht noch – ohne Hinweis auf eine mögliche Veränderung der Rechtsauffassung. "Wir warten ab und haben auch nichts neues mehr auf die Seite gestellt", sagt Polizeisprecher Wolfgang Harlos. Und auch beim Bundeskriminalamt, auf dessen Facebook-Seite nach den rechten Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrund" gefahndet wird, hält man sich bedeckt: Die Seite läuft weiter, man schaut nach Niedersachsen.

"Darauf werden wir nicht verzichten können"

"Auf Dauer kann sich die Polizei dieser Art Öffentlichkeitsfahndung nicht verschließen", sagt Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. "Es gibt aber noch Klärungsbedarf." In der Polizei gäbe es neben dem Datenschutz auch noch andere Vorbehalte. "Die Facebook-Fahndung bindet viel Personal, weil sehr viele Hinweise kommen können, denen nachgegangen werden muss", sagt Witthaut. "Viele Hinweise sind anonym, und ihre Echtheit muss erst geprüft werden – das hat natürlich personelle Folgen."

Die Facebook-Fahndung erschließe aber die Möglichkeit, mit einer jüngeren Zielgruppe in Kontakt zu kommen, die über traditionelle Medien nicht oder schlechter erreicht würden. "Darauf werden wir nicht verzichten können", meint Witthaut. Voraussichtlich im Februar wollen die Innenminister der Länder im Arbeitskreis Polizei und Innere Sicherheit über die Facebook-Fahndung und ihrer bundesweiten Regulierung beraten. Ob dies dann das endgültige Aus für die Facebook-Fahndung bedeutet, bleibt abzuwarten.


Miriam Bunjes ist freie Medienjournalistin.