Vom verbindlichen Leben im evangelischen Pfarrhaus

Vom verbindlichen Leben im evangelischen Pfarrhaus
Eine Württemberger Vikarin heiratet einen Moslem und darf deswegen ihre Ausbildung zur Pfarrerin nicht fortsetzen. An die private Lebensweise ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer stellt die Kirche offensichtlich besondere Anforderungen. Das hat seinen Grund: Ehepartner müssen den Pfarrdienst mit tragen. Dabei ist das Bild vom evangelischen Pfarrhaus mit der (selbstverständlich evangelischen) Ehefrau, die ehrenamtlich mitarbeitet und die Pfarrerskinder großzieht, durch die gesellschaftliche Entwicklung längst überholt.
23.11.2011
Von Anne Kampf

Wittenberg um 1520. Martin Luther hat gerade damit begonnen, die abendländische Theologie umzukrempeln. Dabei er spart das Privatleben der Priester nicht aus: Vom Zölibat hält Luther gar nichts. Im Jahr 1525 heiratet der Augustinermönch die geflohene Nonne Katharina von Bora. Der Luthersche Haushalt wurde zum Prototyp des evangelischen Pfarrhauses: Während Martin Predigten schrieb, lehrte und diskutierte, leitete Katharina einen Haushalt, der den Umfang eines mittelständischen Betriebes hatte: Sie versorgte die eigenen sechs Kinder, dazu Waisen, Studenten, Bedienstete und Gäste, sie bewirtschaftete Gärten, Felder und ein Brauhaus.

Zugegeben - ganz so viel hat die Pfarrfrau heutzutage nicht mehr zu tun. Doch das Grundgerüst des familiären Lebens im Pfarrhaus hat sich bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten, wenn nicht sogar teilweise bis heute: Er kümmert sich um Theologie und Gemeinde, sie um Haushalt und Kinder. Darüber hinaus nimmt sie unbezahlt gemeindliche Aufgaben wie Sonntagsschule oder Frauenkreis wahr. Bildung wird groß geschrieben im evangelischen Pfarrhaus: Aus den Kindern soll etwas werden. Konflikte oder Ehekrisen hat es nicht zu geben. Ihrer Vorbildfunktion für andere Familien in der Gemeinde sind sich die Eheleute im Pfarrhaus durchaus bewusst.

[listbox:title=Mehr im Netz[Pfarrdienstgesetz der EKD##Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland##Studierendenrates Evangelische Theologie SETH##Katharina von Bora##EKD-Text: Empfehlung zu Fragen des Pfarrhauses (2002)]]

Das Bild ist überzeichnet und doch nicht allzu weit von der Realität entfernt. Viele evangelische Pfarrhäuser funktionieren so, und sie funktionieren gut. Der Wert dieses Modells steht nicht in Frage. Aber können (und wollen) ihm alle Pfarrerinnen und Pfarrer heutzutage noch entsprechen - und darf die Kirche das von ihnen erwarten?

Was ist, wenn der Pfarrer gar keine Frau hat, oder eine, die ihren eigenen Beruf ausübt und womöglich deswegen woanders wohnt? Was, wenn es keine Kinder gibt im Pfarrhaus? Wenn nicht er der Pfarrer ist, sondern sie die Pfarrerin? (Leitet ihr nicht berufstätiger Mann dann etwa den Kindergottesdienst und den Frauenkreis?) Was ist, wenn sie, die Pfarrerin, eine Frau liebt oder er, der Pfarrer, einen Mann? Oder um zu dem aktuellen Fall aus Württemberg zurückzukommen: Was ist, wenn die Pfarrerin jemanden heiratet, der einer anderen Religion angehört und deshalb gar nicht in der Gemeinde mitarbeiten kann?

"Ehepartnerinnen und Ehepartner sollen evangelisch sein"

Die Landeskirchen können von ihren Pfarrerinnen und Pfarrern nicht mehr ausschließlich das Modell "Martin und Katharina" erwarten. "Die Welt ist doch schon lange nicht mehr so", sagt auch Oberkirchenrätin Sigrid Unkel, Referentin für Dienstrecht im Kirchenamt der EKD. Dennoch schwingt im neuen Pfarrdienstgesetz, das die Synode der EKD im Jahr 2010 verabschiedet hat, immer noch das Leitbild von Ehe und Familie für das Zusammenleben im Pfarrhaus mit.

Dort heißt es in Paragraph 39 in den Absätzen 1 und 2: "(1) Pfarrerinnen und Pfarrer sind auch in ihrer Lebensführung im familiären Zusammenleben und in ihrer Ehe an die Verpflichtungen aus der Ordination (§ 3 Absatz 2) gebunden. Hierfür sind Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und gegenseitige Verantwortung maßgebend. (2) Pfarrerinnen und Pfarrer sollen sich bewusst sein, dass die Entscheidung für eine Ehepartnerin oder einen Ehepartner Auswirkungen auf ihren Dienst haben kann. Ehepartnerinnen und Ehepartner sollen evangelisch sein. Sie müssen einer christlichen Kirche angehören; im Einzelfall kann eine Ausnahme zugelassen werden, wenn zu erwarten ist, dass die Wahrnehmung des Dienstes nicht beeinträchtigt wird."

Warum wird so viel Wert auf christliche Ehepartner gelegt? Sigrid Unkel meint, das habe schon seinen guten Sinn: "Der Ehepartner einer Pfarrerin oder die Ehepartnerin eines Pfarrers muss ja den ganzen Pfarrdienst in der Gemeinde mittragen. Man ist eingespannt, man kriegt das ganze Gemeindeleben mit, man hat daran seinen aktiven Anteil, und das muss man einfach mit aushalten und mittragen."

Pfarrerverband diskutiert über Fragen des Privatlebens

Außerdem stehe die Pfarrersfamilie in besonderer Weise in der Öffentlichkeit: "Man lebt mit seiner ganzen Familie wie auf dem Präsentierteller. Da wird schon mal kritisch geguckt, ob das, was die Pfarrerin tut, auch mit dem übereinstimmt, was sie auf der Kanzel erzählt. Oder vielleicht wird auch gefragt, wie glaubwürdig die Predigt von jemandem ist, der seine eigenen Familienmitglieder mit seinem Glauben bisher nicht anstecken kann oder will, wo er doch seinen Glauben zu seiner beruflichen Lebensaufgabe gemacht hat."

Der Pfarrberuf hat eben seine Besonderheiten: Wer sich dafür entschieden hat, kann nicht mehr zwischen Amt und Person, zwischen Beruf und Privatleben trennen. Die Pfarrerin oder der Pfarrer ist immer mit der ganzen Person und zu jeder Zeit Verkündiger des Evangeliums und Seelsorger für die Menschen. Deswegen spielt das Privatleben durchaus eine Rolle, und deswegen achtet die Dienstherrin darauf, wie Pfarrerinnen und Pfarrer leben - nämlich in geordneten Verhältnissen, die dem Evangelium nicht widersprechen.

Im Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland sind diese Fragen hochaktuell. "Welche Pfarrer braucht das Land" ist der Arbeitstitel für das nächste Treffen. "Wir diskutieren, wie ein gelingendes Privatleben für Pfarrerinnen und Pfarrer gelebt werden kann", erklärt der Vorsitzende Thomas Jakubowski. "Dabei wollen wir nicht nur auf den Dienst schauen, sondern auch auf den Menschen, der das Evangelium lebhaft verkörpern muss." Zum Thema Ehe und Familie gibt es in der Pfarrerschaft sehr unterschiedliche Meinungen. Deswegen bezieht der Verband keine konkrete Position, sondern will ein Forum für die notwendige Diskussion bieten.

Das "Leitbild" wurde aus dem Gesetz gestrichen

So ganz kann der Vorsitzende Thomas Jakubowski seine persönliche Meinung aber doch nicht zurückhalten: "Leben und Familie muss mit dem übereinstimmen, was wir nach außen hin abgeben. Dabei geht es auch um den Schutz des eigenen Dienstes. Konfessionsverschiedene Ehen sind denkbar und werden auch gelebt, aber es gibt Rückfragen." Jakubowski drückt sich vorsichtig aus, vermeidet sorgsam den Begriff "Leitbild" für die Beschreibung der Pfarrhaus-Ehe. Das hat seinen Grund.

Als der Entwurf des neuen Pfarrdienstgesetz auf den Weg gebracht wurde, lautete Paragraph 39 Absatz 1 noch so: "Für Pfarrerinnen und Pfarrer sind Ehe und Familie nach evangelischem Verständnis das Leitbild für das verbindliche Zusammenleben. Dieses Leitbild ist in der Amts- und Lebensführung zu vertreten." Im Ringen um den Gesetzestext hat der Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer erreicht, dass der Begriff "Leitbild" gestrichen wird, denn damit, so die Argumentation, würden andere Lebensformen abgewertet. Nun ist vom "familiären Zusammenleben" und von "Ehe" die Rede. In der Begründung zu dem Paragraphen heißt es, der Begriff "familiäres Zusammenleben" sei "bewusst weit gewählt".

Wichtig ist der EKD, dass diejenigen, die im Pfarrhaus zusammenleben, das in verbindlicher und verlässlicher Weise und in gegenseitiger Verantwortung tun. So steht es in Paragraph 39, Absatz 1 - und das müsste reichen, meint Maike Dreesmann vom leitenden Gremium des Studierendenrates Evangelische Theologie SETH. Den zweiten Absatz, in dem von evangelischen oder zumindest christlichen Ehepartnern die Rede ist, "den hätten wir gerne gar nicht", so die Vertreterin der Theologiestudierenden. Die Kirche müsse auf die gesellschaftlichen Veränderungen eingehen.

"Die Wahl des Ehepartners macht doch nicht aus, ob man seinen Job gut macht!" ist Maike Dreesmann überzeugt. "Selbst wenn man mit seiner ganzen Person das Evangelium verkündet - was hat es denn damit zu tun, wer da noch zu Hause sitzt?" Paragraph 39 Absatz 1 reicht nach Ansicht der Studierenden-Sprecherin vollkommen aus. "Ich wüsste nicht, warum die Landeskirche und auch die Gemeinde sich so tief in das Privatleben eines Pfarrers einmischen sollten."

Reformierte Kirche will ganzen Absatz streichen

Auch die Evangelisch-Reformierte Kirche findet die nähere Ausführung "Ehepartner sollen evangelisch sein. Sie müssen einer christlichen Kirche angehören" in Absatz 2 schlicht überflüssig. Die Synode habe darüber ausführlich diskutiert, berichtet Pressesprecher Ulrich Preuß, "weil Pfarrer der Meinung sind, dass da Vorschriften gemacht und Engführungen formuliert werden, die bestimmte Dinge ausschließen, zum Beispiel die Heirat mit Jüdinnen." Preuß verweist darauf, dass schon mit Paragraph 3 im Pfarrdienstgesetz alles gesagt sei: Dort steht, Pfarrerinnen und Pfarrer hätten "sich in ihrer Amts- und Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird." Eheangelegenheiten seien nur dann von Belang, wenn sie den Dienst beeinträchtigen. "Das reicht", meint Preuß. Die Synode der Evangelisch-Reformierten Kirche hat die EKD aufgefordert, den zweiten Absatz von Paragraph 39 aus dem Pfarrdienstgesetz zu streichen.

Doch das Gesetz befindet sich mit seinem beschlossenen Wortlaut schon auf dem Weg in die einzelnen Landeskirchen. In Baden ist es schon in Kraft getreten. Beschlossen wurde es bisher in der Reformierten Kirche, in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche VELKD für ihre acht Gliedkirchen, in der Union Evangelischer Kirchen (UEK) sowie in Anhalt, Lippe, Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und in Kurhessen-Waldeck (EKKW). Bei der EKD geht man davon aus, dass das Gesetz zum 1. Januar 2013 in allen Landeskirchen in Kraft treten wird.

Dann gilt Paragraph 39 zwar überall - aber nicht überall in gleicher Strenge. Sigrid Unkel erklärt, dass bewusst ein Interpretationsspielraum geschaffen wurde. Die Landeskirchen haben die Möglichkeit, Richtlinien oder Ausführungsbestimmungen zu formulieren - oder schlicht in der Praxis über Anwendung und Ausnahmen zu entscheiden. "Die Form ist sehr variabel", sagt Unkel, und weist noch einmal darauf hin, welchen Sinn der "Ehe- und Familie"-Paragraph eigentlich haben soll: "Letztlich geht es darum, ob ich als Pfarrerin oder Pfarrer so viel Akzeptanz in einer Gemeinde finde, dass ich eine gute Arbeit leisten kann." 


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.